Tödliche Polizeischüsse in Nienburg: Zweifel an rechter Gesinnung
Bodycam-Aufnahmen zeigen, dass die Schüsse in Nienburg nach dem Einsatz eines Diensthundes fielen. Hundeführer postet im Netz extrem rechte Inhalte.
Der 46-jährige Mann war am Karsamstag durch acht Polizeikugeln getötet worden. Zuvor hatten 14 Polizist*innen mit einem Polizeihund eine Dreiviertelstunde lang vergeblich versucht, den Mann zu beruhigen. Gegen die Polizist*innen ermittelt jetzt die Staatsanwaltschaft Verden.
Unter den Beschuldigten ist auch ein Diensthundeführer, der neben Hundebildern auf seinen beiden Facebook-Profilen allerlei extrem rechte Inhalte und Verschwörungsideologien verbreitet. Er postet Bilder, die eine härtere Gangart gegen Geflüchtete fordern, wünscht sich mehr Abschiebungen, hat Angst vor Clankriminalität und kommentiert eifrig bei verschwörungsideologischen Blogs.
Außerdem teilt er Inhalte der Gruppe „Polizisten für Aufklärung“, die rund um den ehemaligen Coronaleugner-Polizisten und extrem rechten Verschwörer Michael Fritsch angesiedelt ist. Einige der Inhalte, die der langjährige Diensthundeführer verbreitet, dürften verfassungsfeindlich sein. Kurz nach dem Tod von Lamin Touray postete er etwa ein Video, in dem es gleich zu Beginn von einem Redner heißt: „Man flutet unser Land mit kulturfremden Menschen.“
AfD-Mitgliedschaft dementiert
Auf einer AfD-internen Liste, die der taz vorliegt, taucht der Diensthundeführer mit der Mitgliedsnummer BU-10619752 und als Spender auf. In einer E-Mail an die taz schreibt er, er teile viele, aber nicht alle Positionen der AfD und sei kein Mitglied oder Spender. Zum Einsatz will er sich nicht äußern. Seine politische Meinung habe aber keinen Einfluss auf seine Polizeiarbeit, schreibt er weiter.
Die Staatsanwaltschaft sagt derweil, sie werde zur Identität einzelner eingesetzter Polizeibeamter keine Angaben machen und kommentiert dementsprechend die Online-Aktivitäten des Diensthundeführers nicht. Unter seinen Facebook-Freund*innen befinden sich auch andere Polizist*innen aus Nienburg.
In der Vergangenheit hat die Polizei Nienburg selbst immer wieder Bilder von dem Polizisten und seinem Hund verbreitet und sich mit deren sportlichen Leistungen gerühmt. In einem Youtube-Video über die Hundestaffel ist zu sehen, wie entsprechende Einsätze ablaufen.
Wie es zu der Eskalation am Karsamstag kam, darüber gibt es unterschiedliche Darstellungen. Zunächst hieß es, Touray habe seine Freundin mit einem Messer bedroht. Weil Touray einige Tage zuvor in Hamburg nach einer Kontrolle wegen Fahrens ohne Ticket Polizist*innen verletzt habe und wegen des Notrufs der Freundin, sei man von einer Bedrohungslage ausgegangen, teilte die Staatsanwaltschaft Verden mit.
Tourays Freundin schilderte der taz einen anderen Ablauf der Ereignisse. Die Stimmung sei erst gekippt, als die Polizei eintraf, sagt sie und ein weiterer Augenzeuge. Sie habe lediglich medizinische Hilfe wegen des psychischen Ausnahmezustands ihres Freundes holen wollen, sagte die Freundin der taz.
Vor Ort habe sie angeboten, Touray zur Aufgabe zu überreden. Das habe man ihr aber nicht gestattet und gesagt, man werde stattdessen einen Hund einsetzen. Kurz darauf sei die Lage eskaliert. „Statt zu helfen, haben sie ihn wie ein Tier im Wald erschossen“, sagt Tourays Freundin.
Ein kurzes Video einer Nachbarin, das die letzten Momente in Tourays Leben zeigt, wurde im Internet vielfach geklickt. In diesem scheint es, als sei der letzte Schuss gefallen, nachdem Touray bereits zu Boden gegangen war. Die genaue Folge der Schussabgaben ist bis jetzt in Klärung.
Laut Staatsanwaltschaft zeigen inzwischen gesichtete Bodycam-Aufnahmen, dass Touray sich auf die Polizist*innen zubewegt und mit einem Messer auf einen Polizeihund und in Richtung von Polizist*innen gestochen habe. der Hund sei verletzt, der Angriff auf die Polizist*innen sei mit einem Schild abgewehrt worden. In der Folge seien die tödlichen Schüsse gefallen
Hinterbliebene demonstrieren
Online läuft seit den Ereignissen eine rechte Hasskampagne. Hunderte freuen sich auf X über den Tod Tourays. Einige wünschen sich mehr erschossene Migrant*innen. Die Lokalzeitung Die Harke, die früh kritische Stimmen der Nachbar*innen abbildete und Fragen stellte, wird mit Leserbriefen überflutet. Die CDU-Bürgermeisterin der nahen Gemeinde Schweringen, Elisabeth Kurowski, kommentierte bei der Lokalzeitung als Reaktion auf Protest der Angehörigen: „Wenn hier alles so blöd ist, kann man ja wieder nach Gambia zurückkehren.“
Die Hinterbliebenen Tourays wollen, dass der Polizeieinsatz vollständig aufgeklärt wird und lassen sich anwaltlich vertreten. Der Flüchtlingsrat Niedersachsen unterstützt diese Forderung. Auch die gambische Regierung hat sich eingeschaltet und fordert Aufklärung. Tourays Mutter und dessen Schwester führten eine Demonstration am vergangenen Samstag in Nienburg an.
In einer Rede sagte die Schwester unter Tränen: „Ich mache die Polizei verantwortlich, denn die sollte ausgebildet sein, einen mit einem Messer bewaffneten zu entwaffnen, ohne ihn zu töten.“ Tourays Mutter fühlte sich nicht in der Lage zu sprechen – zu tief sitze der Schock. Ein weiterer gambischer Mann sagte: „Wir dürfen in diesem Fall nicht aufhören, Fragen zu stellen, denn niemand weiß, wer der Nächste ist. Es könnte du, ich oder unsere Kinder sein.“ Weitere Proteste etwa in Stuttgart und Berlin sind geplant.
Transparenzhinweis: In einer vorherigen Version des Textes war davon die Rede, dass in den Bodycam-Aufnahmen laut Staatsanwaltschaft zu sehen war, dass Tourays Messerstiche zuerst mit einem Schild abgewehrt worden waren und er danach mit dem Hund gekämpft habe. Die Reihenfolge war aber, laut Staatsanwaltschaft andersherum. Das haben wir nun korrigiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid