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Todestag von Oury JallohSie weigerten sich, zu schweigen

Vor 16 Jahren starb Oury Jalloh in Polizeigewahrsam. Damals sah es so aus, als würde die Sache rasch vergessen. Das Gegenteil geschah.

Der Name und das Gesicht von Oury Jalloh haben heute Wiedererkennungswert Foto: Sascha Steinach/imago

Am ersten Todestag Oury Jallohs, der heute vor 16 Jahren in einer Polizeizelle in Dessau verbrannte, versammelten sich 40 Menschen in der Dessauer Innenstadt. Die meisten waren afrikanische Asylsuchende. Sie versuchten die Erinnerung an das Unvorstellbare wachzuhalten, das sich schon in jener Zeit immer deutlicher herausschälte: dass Jalloh sich nicht selbst angezündet hatte, wie Polizei und Justiz bis heute behaupten, sondern lebendig verbrannt wurde.

Die Öffentlichkeit ist kein Gericht, doch es gibt so etwas wie ein gesellschaftliches Urteil

Kaum jemand mochte das damals glauben, kaum ein Medium interessierte sich für den Fall. Das wahrscheinlichste Szenario war, dass die Sache ebenso schnell als „ungeklärt“ im Vergessen versinken würde wie etwa die anderen beiden Todesfälle, Hans Jürgen Rose und Mario Bichtemann, die nur kurz zuvor starben, nachdem sie in das Dessauer Revier gebracht wurden.

Doch die Erinnerung an Jallohs Tod ist heute nicht verblasst oder gar verschwunden. Sie ist vielmehr immer stärker ins kollektive Bewusstsein eingedrungen.

In den letzten Jahren versammelte sich an Jallohs Todestagen eine vierstellige Zahl von Menschen. Sie kamen mit Bussen aus dem ganzen Land, zogen vorbei am Gerichtsgebäude, in dem zwei der beteiligten Polizisten 2008 freigesprochen wurden. Das Urteil hielt selbst der Vorsitzende Richter Manfred Steinhoff für einen Skandal: Polizisten hätten vor Gericht „bedenkenlos falsch ausgesagt“, sie hätten „dem Land Sachsen-Anhalt aufs Übelste geschadet“, klagte Steinhoff damals und schloss mit den Worten: „Ich habe keinen Bock, zu diesem Scheiß noch irgendwas zu sagen.“

Das Ziel ist kein Richterspruch, sondern zu überzeugen

Andere aber redeten weiter. 16 Jahre haben die AktivistInnen der „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“ nicht nachgelassen, die Erinnerung wachzuhalten. Bei einer Podiumsdiskussion vor zwei Jahren sprachen sie darüber, wie sie sich die „Aufklärung“, die sie fordern, vorstellen. Ein neuer – es wäre der dritte – Prozess interessiere sie nicht, sagten sie. Die Justiz habe gezeigt, was von ihr in dieser Sache zu erwarten sei: Nichts. Ihr Ziel, sagten die AktivistInnen, sei vielmehr, die Öffentlichkeit darüber aufzuklären, was geschehen sei. Wenn sie imstande wären, vielen Menschen klarzumachen, dass die offizielle Version vom Tod Jallohs eine Lüge sei, hätten sie erreicht, worauf es ankomme.

Vor allem durch ihre Arbeit kamen immer mehr Belege dafür ans Licht, dass Jalloh sich nicht selbst angezündet hat. Sie wurden diskutiert, verfilmt, flossen zusammen zu einer Gegenerzählung zu den Behauptungen der Justiz. Und sie schärften so das Bewusstsein dafür, wie rassistische Polizeigewalt in Deutschland ablaufen und enden kann – was auch eine wichtige Grundlage war, auf der die Black-Lives-Matter-Proteste im vergangenen Sommer aufbauen konnten.

Die Öffentlichkeit ist kein Gericht. Und doch gibt es so etwas wie ein gesellschaftliches Urteil. Und in diesem ist der Name Oury Jallohs heute gleichsam Synonym für einen Polizei- und Justizskandal der dunkelsten Sorte.

Es ist erst wenige Monate her, da erschien ein 300 Seiten langer Bericht, geschrieben von zwei Juristen, die eingesetzt wurden, weil die CDU im Landtag von Sachsen-Anhalt auf Teufel komm raus einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss verhindern wollte. Die beiden „Berater“ durften nicht einmal „Ermittler“ heißen und ihren Bericht, der letztlich das Handeln der Justiz verteidigt, darf man getrost zu den vielen Bemühungen rechnen, die ganze Sache ein für allemal zum Abschluss zu bringen.

Doch man muss feststellen, dass das nicht funktioniert hat. Zurücktreten musste zwar niemand, aber losgelassen hat die Polizei, die Justiz und die Regierenden in Sachsen-Anhalt der Fall nie. Er haftet ihnen bis heute an, und das wird auf lange Zeit so bleiben.

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3 Kommentare

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  • 9G
    90946 (Profil gelöscht)

    Zwischen dem:



    >>Kaum jemand mochte das damals glauben, kaum ein Medium interessierte sich für den Fall.> Doch man muss feststellen, dass das nicht funktioniert hat.

  • Einerseits überkommt mich eine ohnmächtige Wut angesichts dieses Mordes und den ganzen Versuchen die Tat zu vertuschen.

    Auf der anderen Seite kann den Freunden des Opfers und den Aktivistinnen und Aktivisten gar nicht genug gedankt werden, dass sie diese offene Wunde nicht zuheilen lassen.

    Dass sie auf diesem Weg ihr Vertrauen in den Rechtsstaat verloren haben, kann man ihnen sicher nicht verdenken.

    Wer die ganzen Geschehnisse, die Prozesse, die Gutachten, das alles nochmal Revue passieren lassen möchte, der Wikipedia-Eintrag scheint mir nicht der schlechteste zu sein:

    de.wikipedia.org/wiki/Oury_Jalloh

  • 0G
    04970 (Profil gelöscht)

    1. Wer eingekerkert wird, dem wird vorher (abgesehen von der Bekleidung, aber inkl. Gürtel, Schlipse, Schnürsenkel etc.) jeder Besitz abgenommen.

    2. Bei der auf den Mord folgenden Durchsuchung der Zelle wurde dort KEIN FEUERZEUG gefunden.



    IRGENDEIN eingeschmolzenes Feuerzeug mit unpassenden Faserspuren und unpassender DNA wurde von Dessauer Polizisten erst Tage später als angeblich in der Zelle gefunden präsentiert.

    3. Oury Jalloh war mit ausgebreiteten Armen auf die Pritsche gefesselt, er hätte also gar nicht an ein möglicherweise noch in seiner Kleidung befindliches Feuerzeug gelangen können.

    4. Es wurde durch Versuche bewiesen, dass es unmöglich war, die in der Zelle befindliche Matratze nur mit einem Feuerzeug zu entflammen.

    5. An dem Ermordeten und auf der verbrannten Matratze wurde Brandbeschleuniger nachgewiesen. Wie kam der wohl dahin?

    6. Außer schweren Kopfverletzungen wies Oury Jalloh u.A. mehrere Rippenbrüche auf, die ihm laut Gutachten eindeutig vor dem Brand zugefügt wurden.

    7. Wenn eine betrunkene und noch dazu schwerverletzte Person (u.A. mehrere Rippenbrüche) mit ausgebreiteten Armen auf eine Pritsche gefesselt wird, besteht eine extrem erhöhte Gefahr des Erstickens, was vermutlich auch der Sinn dieser widerrechtlichen Maßnahme war.

    8. Nachdem dieser Plan anscheinend nicht klappte, kam dann der Brandbeschleuniger ins Spiel ...

    9. Außer den diensthabenden Polizisten hatte niemand Zugang zu Oury Jallohs Zelle.

    10. Außer den diensthabenden Polizisten hatte niemand ein Motiv, Oury Jalloh anzuzünden (am allerwenigsten er selbst!): es sollten die an ihm begangenen Gewalttaten vertuscht werden, wovon nach jahrelangen Ermittlungen ja sogar der befasste Staatsanwalt Bittman schließlich überzeugt war, und weswegen den Vorgesetzten nach mehr als 10 Jahren auf einmal auffiel, dass der ja gar nicht ermitteln durfte ...

    11. Grüne in der Regierung (Hessen, Sachsen-Anhalt) unterstützen kriminelle Vertuschungs- bzw. Polizeistaatsmethoden nach Kräften.