Tod eines Staatsanwaltes in Argentinien: Kein Suizid, sondern Mord
2015 wurde Staatsanwalt Alberto Nisman erschossen aufgefunden. Jetzt geht die Justiz erstmals davon aus, dass er ermordet wurde.
Zugleich erhob Bundesrichter Ercolini Anklage gegen den früheren Nisman-Mitarbeiter Diego Lagomarsino wegen Beihilfe zum Mord. Lagomarsino hatte stets offen erklärt, dem Staatsanwalt auf dessen eigene Bitte die Pistole Bersa Kaliber 22 übergeben zu haben, aus der die tödliche Kugel stammt.
Nach Auffassung von Bundesrichter Ercolini leistete Lagomarsino damit „eine notwendige Mithilfe für die Tat, die sich zwischen 20 Uhr am Samstag des 17. Januar 2015 und 10 Uhr am Sonntag des 18. Januar 2015 ereignete“. Neben Lagomarsino klagte er auch vier Leibwächter an, die in dieser Zeit unerlaubt ihre Posten verließen und so einen freien Zugang zu Nismans Wohnung ermöglichten. Der oder die eigentlichen Täter sind unbekannt.
Alberto Nisman war als Sonderstaatsanwalt seit 2004 für die Aufklärung des Bombenanschlags auf das Gebäude des jüdischen Hilfswerkes AMIA am 18. Juli 1994 zuständig. Dabei waren 85 Menschen getötet und 300 verletzt worden. Für den Anschlag macht die argentinische Justiz den Iran verantwortlich. Bis heute wurde niemand zur Rechenschaft gezogen.
Anklage gegen Präsidentin Kirchner war angekündigt
Drei Tage vor seinem Tod erklärte Nisman in einem Fernsehinterview, er werde beweisen, dass die damalige Präsidentin Cristina Kirchner die Aufklärung des Terroranschlags vertuschen wollte und dass er bereits eine Anklageschrift verfasst habe. Zugleich kündigte er an, am darauffolgenden Montag seine Anschuldigungen vor dem Kongress zu erläutern. Dazu kam er nicht. Am Sonntagabend wurde er mit einer Kugel im Kopf im Badezimmer seiner Wohnung tot aufgefunden.
Kaum war die Todesnachricht bekannt, schrieb Cristina Kirchner auf ihrer Facebook-Seite von einem mutmaßlichen Suizid des Staatsanwalts, ruderte jedoch wenig später zurück und sprach nun von einem Komplott eines Teils des Geheimdienstes, der ihr schaden wollte. „Erst haben sie ihn lebend benützt, und dann brauchten sie ihn tot“, schrieb sie.
Die ermittelnde Staatsanwältin Viviana Fein ging dennoch weiter der Selbstmordthese nach. Was folgte, war eine an Ungereimtheiten, Verstößen und dilettantischem Vorgehen kaum zu überbietende Ermittlung, die vor allem den Verdacht nährte, dass nicht aufgeklärt, sondern vertuscht werde sollte.
Mit seinem über 600-seitigen Urteil geht Richter Ercolini jetzt zurück auf Anfang. Was sich genau in der Wohnung von Alberto Nisman abspielte, ist jedoch nach wie vor nicht bekannt. Drei Spezialistenteams hatten versucht, die Vorgänge im zehnten Stock des Wohnturms Le Parc im Stadtviertel Puerto Madero zu rekonstruieren.
Vertuschung der iranischen Verantwortung?
Drei detaillierte Untersuchungsberichte liegen vor, der letzte datiert auf September. Absolut gesicherte Erkenntnisse über das Geschehen bietet keiner der drei, jedoch schließt der letzte mit dem Fazit: „Die Mitglieder dieser interdisziplinären Kommission der nationalen Gendarmerie befinden sich in der Lage anzunehmen, dass es sich bei dem gewaltsamen Tod dessen, der im Leben Natalio Alberto Nisman war, um einen Mord handelte.“
Anfang November übersandte Staatsanwalt Eduardo Taiano einen 1.087-seitigen Antrag auf Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens an Richter Ercolini. Darin sprach Taiano erstmals von einem „homicidio“, also von Mord oder Totschlag. Bis dahin hatte Nismans Tod als „Tod mit ungeklärter Ursache“ gegolten. Staatspräsident Mauricio Macri kam ebenfalls zu dem Schluss: „Nisman wurde umgebracht, und wir müssen wissen, wer das getan hat,“ sagte er Anfang November während einer Auslandsreise in New York.
Aufgrund von Nismans Anklageschrift wurde Anfang Dezember ein Prozess wegen Hochverrats gegen die ehemalige Präsidentin Cristina Kirchner, ihren damaligen Außenminister Héctor Timerman sowie einige weitere Personen eröffnet. Kern der Anklage ist ein 2013 von der argentinischen und der iranischen Regierung unterzeichnetes Memorandum. Darin wurde vereinbart, die Ermittlungen zu dem AMIA-Anschlag einer internationalen Wahrheitskommission zu übergeben. Diese Kommission sollte die von der argentinischen Justiz beschuldigten und mit internationalem Haftbefehl gesuchten iranischen Staatsbürger im Iran befragen. Im Gegenzug sollten die bei Interpol angezeigten Haftbefehle aufgehoben werden.
Die juristische Bewertung des Vorgangs ist in Argentinien umstritten. Der zuerst mit der Anklage betraute Bundesrichter Daniel Rafecas lehnte die Aufnahme eines Ermittlungsverfahrens ab: Das Memorandum sei eine politisch-diplomatische Angelegenheit gewesen – und noch dazu nie in Kraft getreten, weshalb auch keine Straftat vorliege. Anders dagegen die Beurteilung des jetzt ermittelnden Bundesrichters Caudio Bonadio. Schon die Verhandlungen über das Memorandum rechtfertigten eine Anklage wegen Hochverrats, so Bonadio.
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