Tod eines Ermittlers in Argentinien: Mord, Selbstmord, Komplott?
Mit immer neuen Überraschungen hält der Tod des Sonderstaatsanwalts Alberto Nismar Argentinien auf Trab. Die jüngste Wende vollzieht die Präsidentin.
B UENOS AIRES taz Ein Staatsanwalt wirft der Präsidentin vor, mutmaßliche Terroristen zu schützen. Vier Tage später liegt er mit einer Kugel im Kopf tot in seinem Badezimmer. So viel kann als Wahrheit gelten. Der Rest ist unklar.
Immer neue Details, Enthüllungen und Kehrtwendungen rund um den Tod des Sonderstaatsanwaltes Alberto Nisman hielten die Argentinier die ganze Woche über in Atem und vor den Bildschirmen. In den Medien geben Richter, Anwälte und ermittelnde Staatsanwälte ebenso freizügig Auskunft wie Politiker, Sicherheitsexperten und Politkommentatoren.
Nisman selbst hatte den Politthriller gestartet, als er am Mittwoch, den 14. Januar, mit der Nachricht an die Öffentlichkeit ging, er werde die Präsidentin, den Außenminister und noch einige andere wegen einer „kriminellen Verschwörung“ anzeigen.
Noch bevor ein Richter überhaupt über die Zulässigkeit der Anzeige entschied, trat Nisman in TV-Sendungen auf und beschuldigte Präsidentin Kirchner, die Aufklärung des schwersten Terroranschlags in der argentinischen Geschichte vertuschen zu wollen.
Der Vorwurf: Straffreiheit gegen Erdöl
Bei einem Bombenanschlag im Juli 1994 auf das jüdische Gemeindezentrum Amia in Buenos Aires waren 85 Menschen getötet und etwa 300 verletzt worden. Nisman war seit 2004 für die Aufklärung zuständig und machte vor allen den Iran dafür verantwortlich.
Jetzt beschuldigte Nisman die Präsidentin, mit dem Iran die Lieferung von Erdöl gegen die Straflosigkeit ausgehandelt zu haben. Kirchner selbst, das gehe aus Gesprächsaufzeichnungen hervor, habe den Auftrag erteilt, das juristische Vorgehen gegen den Iran einzustellen und die internationalen Haftbefehle von Interpol gegen mehrere iranische Beschuldigte zurückzuziehen. Die Regierung nannte ihn schlicht einen Lügner.
Als die Anzeige zwei Tage später von der gerade urlaubsvertretenden Richterin nicht angenommen wurde, lud eine Gruppe oppositioneller Abgeordneter Nisman für Montag ins Parlament ein. Die Spannung knisterte: Würde Nisman dort Beweise vorlegen? Doch dazu kommt es nicht: Nachdem seine Leibwächter Nisman am Sonntag früh nicht erreichen können, wird die Tür seiner Wohnung geöffnet.
Die elektronische Kombination für die eigentliche Eingangstür kennt niemand, aber die Mutter hat den Schlüssel für den Dienstmädcheneingang. Dort steckte der Schlüssel von innen. Ein Schlosser wird geholt, inzwischen ist es 22.30 Uhr. Die Mutter geht als Erstes hinein und findet Nisman erschossen in der Badewanne, die Pistole neben sich. Der erste Obduktionsbefund am Montag besagt, Nisman habe sich selbst erschossen.
Wer für die Regierung ist, sagt „Selbstmord“
Die Präsidentin kuriert derweil eine Knöchelverletzung aus, meidet die Öffentlichkeit und gibt über Facebook die Regierungslinie vor: „Was war es, das einen Menschen zu der furchtbaren Entscheidung bringt, aus dem Leben zu scheiden?“, schreibt sie.
Wer auf Seiten der Regierung steht, folgt der Selbstmordthese, wer gegen sie ist, tippt auf Mord. Noch am Abend kommt es landesweit zu Protesten: „Wir alle sind Nisman.“
Am Dienstag wird bekannt, dass an Nismans Händen keine Schmauchspuren sind. Die Selbstmordthese beginnt zu bröckeln. Am Mittwoch veröffentlicht die argentinische Justiz die knapp 300-seitige Begründung der Anzeige von Nisman. Wesentlich Neues kommt nicht zutage, beweiskräftiges Material gar nicht.
Am Donnerstag kommt die Kehrtwende der Präsidentin. Vom „Selbstmord, der (davon bin ich überzeugt) kein Selbstmord war“, schreibt Cristina Kircher in einem öffentlichen Brief. Das ist mal ein Schachzug. Doch die Kehrtwende der Präsidentin bringt die eigenen Anhänger ins Schleudern. So schnell können manche gar nicht begründen, warum sie nun auch der Mordthese anhängen. In einer gemeinsamen Erklärung stellen sich die Peronisten schließlich hinter die Präsidentin. These jetzt: Nismans Tod ist Zeichen eines Komplotts aus Medien, Teilen der Justiz und des Geheimdienstes gegen die Präsidentin.
Mit dem Anschlag auf die Amia hat all das nichts zu tun, aber eine Gemeinsamkeit gibt es: Man kennt den Ort der Tat und die Zahl der Opfer. Alles andere ist unklar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Jahresrückblick Erderhitzung
Das Klima-Jahr in zehn Punkten
Anschlag von Magdeburg
Aus günstigem Anlass