Tod eine Flüchtlings: Ein Fall für die Mordkommission
In der Kleinstadt Zeven ist der 27-jährige Amadou Diabate umgebracht worden. Seine Freunde glauben an rassistische Motive. Sie werden bedroht.
Aber am 25. Juni 2020 ist Amadou Diabates Leiche in seiner Kellerwohnung aufgefunden worden. Der Tod sei infolge von Fremdeinwirkung eingetreten, das hat das rechtsmedizinische Gutachten ergeben. Ein Tötungsdelikt.
Seither ist da diese Ungewissheit und die Angst, die mit der Zeit zermürbend wird. „So lange wir nicht wissen, wer ihn getötet hat“, sagt Isaac Keita*, der wie Diabate vor Jahren aus Elfenbeinküste geflohen ist, „können wir nicht ruhig schlafen.“
Die Polizei in Rotenburg ermittelt. Sie hat eine Mordkommission gebildet, sie befragt die Nachbarn, die nichts von dem Mord gehört haben. Ernst genommen fühlen sich die Geflüchteten in Zeven nicht. Für die Polizei stehe bereits fest, dass es sich nicht um eine rassistische Tat gehandelt habe, befürchtet Keita. „Die sagen, das gibt es nicht in Zeven.“
Freunde berichten von Schikane und Ausgrenzung
Mit einer Demo durch den Nieselregen hat die kleine Gemeinschaft von Geflüchteten vergangene Woche, 14 Tage nach dem Tod von Diabate, ihrer Befürchtung Nachdruck verliehen, dass die Polizei die Augen verschließt. Und ihrer Forderung nach Gerechtigkeit und Würde für sie alle. Fast alle sind selbst Asylbewerber*innen, nur eine Handvoll weißer Unterstützer*innen ist dabei. Bei der „Black Lives Matter“-Demo Mitte Juni waren noch mehrere Dutzend weiße Demonstrierende mitgelaufen.
Amadou Diabate war 27 Jahre alt, als er in seiner Wohnung erstochen wurde. Vor seiner Kellerwohnung hängt jetzt das Absperrband der Polizei lasch über aufgeweichten Karten und verwelkten Blumen. Er hat jahrelang in Zeven gewohnt, eine Ausbildung gemacht, gearbeitet. Amadou hatte einen Bruder in Wilhelmshaven und eine Freundin in Zeven. Viele betonen, wie gut er integriert gewesen sei, dass er „sauber“ war, wie toll er Fußball gespielt habe.
Wenn seine Freunde über ihn sprechen, stehen Schikanen und Ausgrenzung im Fokus, die er erdulden musste. Nach bestandener Ausbildung wollte er arbeiten. Sechs Monate lang haben es ihm die zuständigen Behörden nicht erlaubt. Als sein Arbeitgeber die Polizei ruft, weil er nicht zur Arbeit erscheint, ist Amadou Diabate schon tot.
Einbruchsspuren gibt es nicht, weshalb die Polizei davon ausgeht, er habe den oder die Täter*innen in die Wohnung gelassen. Die Befürchtung, es könne sich um einen rassistischen Mord gehandelt haben, schließt der Polizeisprecher Heiner van der Werp zwar nicht völlig aus, „aber die Umstände sprechen für ein anderes Tatmotiv“. Die Polizei ermittle in alle Richtungen.
Während der Demonstration der Geflüchteten sind nur wenige Polizeibeamte zu sehen. Der Mord sei schon eine „Zäsur“, sagt einer, „aber das hier ist für uns ein reiner Verkehrseinsatz“. Sein Kollege hält es dennoch für nötig, die Teilnehmer*innen von der Seite mit einer Bodycam abzufilmen. Das sei ganz normal und nicht rechtswidrig, erklärt er.
Um den Eingang des Zevener Rathauses ist eine weitläufige Absperrung aufgebaut. Hinter dem Gitter stehen die etwa 30 Teilnehmer*innen der Demonstration. Einer hält ein Pappschild mit der Aufschrift „Gefangene unter freiem Himmel in Zeven“.
Auf der anderen Seite steht Bürgermeister Henning Fricke (SPD). Er trägt Anzug, Lederschuhe und ein Mikrofon. Gegen den Regen hält ein Mitarbeiter der Außenstelle Asyl einen Schirm über ihn. Die Demonstrierenden fordern nicht nur die Aufklärung von Diabates Tod. Auch Kritik an der lokalen Ausländerbehörde und einer fehlenden Eingliederung tragen sie vor den Bürgermeister. Man lasse sie nicht umziehen, nicht einmal zu ihren Kindern in anderen Landkreisen.
Der Bürgermeister betont die „Willkommenskultur“
Die Geflüchteten werfen der Stadtverwaltung vor, mit ihren Zweitschlüsseln unangemeldet in die Wohnungen der Geflüchteten zu kommen. Fricke weist das zurück, oder wenigstens fast: „In der Regel“, sagt er, gebe man vorher Bescheid. Isaac Keita ist wütend. „Oft klopfen die nicht einmal.“ Durch die unangekündigten Besuche fühle er sich zu Hause nicht sicher. Mit Diabates Tod sei es schlimmer geworden.
Henning Fricke hält eine kleine Ansprache. Er nehme die Probleme mit Rassismus und Ausgrenzung ernst. „Wir alle“, betont Fricke vor der Demonstration, „stehen aber für eine Willkommenskultur ein.“ Er duzt seine Gegenüber, spricht sehr freundlich. Konkrete Versprechen macht er nicht. Er sei der falsche Adressat, alles Wesentliche werde auf höherer Ebene entschieden, vom Landkreis.
Ob er vor Diabates Tod die Probleme der Geflüchteten in Zeven mitbekommen habe? Nein, so etwas bleibe eher auf den unteren Verwaltungsebenen. Fricke nimmt eine Liste mit Forderungen entgegen und reicht das Mikrofon über das Gitter an den Bruder des Getöteten weiter, bevor er wieder ins Rathaus zurückkehrt.
Dem Landrat habe er Bescheid gegeben, aber er könne nichts tun. Die Kreisverwaltung weist alle Verantwortung von sich: Man halte sich an die gesetzlichen Vorgaben.
Als die Demonstrierenden durch Zeven laufen, schauen ein paar Leute vom Straßenrand zu. Eine Frau klatscht vom Balkon, eine andere nickt zustimmend. Ein Freund von Amadou reiht sich in den Protest ein: „Ich wusste gar nichts von der Demo!“, sagt er bestürzt.
Isaac Keita bekommt einen Drohanruf
Als die Demonstrierenden vor der Ausländerbehörde stehen und „Aufklärung! Gerechtigkeit!“ rufen, bleiben alle Fenster zu. Nur der eigens für diesen Tag bestellte Wachmann einer Buxtehuder Securityfirma steht regungslos vor dem Eingang. „Vorsorglich, zur Kundensteuerung“, erklärt die Kreisverwaltung.
Ein paar Tage später trifft die Geflüchteten in Zeven wieder Hass. Auf Facebook werden sie so übel beschimpft, dass sie zur Polizei gehen. Nur wenige Stunden danach bekommt Isaac Keita einen Drohanruf mit verzerrter Stimme.
Er versteht nicht viel, außer, dass er bedroht wird: „Du wirst schon sehen!“, soll die Stimme gesagt haben. Noch mehr Angst, noch mehr Unsicherheit. Isaac Keita ist erschöpft. Er will nur weg aus Zeven. Vielleicht geht er nach Bremen.
*Name von der Redaktion geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen