Tocotronic-Songs als Comicstrips: Nach dem Faible für Fix und Foxi
Die Graphic-Novel-Sammlung „Sie wollen uns erzählen“ versammelt zehn Comicstrips. Sie illustrieren legendäre Songs der Hamburger Band Tocotronic.
Dass ich dem Wink eines Mitstudenten von der HAW (Hochschule für angewandte Wissenschaften in Hamburg) damals nicht gefolgt war, ist bedauerlich. Sein guter Freund und unser gemeinsamer Kommilitone, Arne Zank, würde auftreten mit seiner neuen Band, das sei sicher toll und täte sich lohnen. Es muss im Sommer 1993 gewesen sein. Ich lehnte ab, denn an dem Abend spielte meine damalige Hamburger Lieblingsband, Die Braut haut ins Auge, die ich keinesfalls verpassen wollte. So versäumte ich das Debütkonzert einer der heute bedeutendsten deutschsprachigen Indierocker.
Tocotronic, ursprünglich bestehend aus den drei Studenten Dirk von Lowtzow, Jan Müller und Arne Zank, wäre vielleicht meine Zweitlieblingsband geworden. 1996 waren sie bereits die Darlings von Indie-Deutschland, in den Charts platziert und im Pop-Feuilleton rezipiert.
Und das mit einer Haltung bewusster Uncoolness und einem Hang, in ihren Songs Unsagbares zu verhandeln – mit einem Sound, der zwar aus dem Punk kam, aber wie eine Verschnaufpause von dessen Unreflektiertheit wirkte. Damit konnte sich so manches verlorene Geschöpf in der neu eröffneten Hamburger Schule identifizieren.
Anhaltendes Vertrauen
In den folgenden 27 Jahren hatten Toco-Sympathisanten viel Gelegenheit, die Liebe zu ihrer Band zu überprüfen, einige Stilwechsel, die Aufstockung um einen zweiten Gitarristen, den Major-Label-Vertrag und wachsende Erfolge im Mainstream hinzunehmen. Gründe, ihrer Glaubwürdigkeit und Kunst zu vertrauen, gab es immer. Im April 2020, just, als sich die Welt in einen pandemiebedingten Lockdown begab, kam eine Single namens „Hoffnung“.
Michael Büsselberg (Hg.): „Sie wollen uns erzählen. Zehn Tocotronic-Songcomics“. Ventil Verlag, Mainz 2020, 128 Seiten, 25 Euro
Geigen-getragen, düster, und gegen Schluss eine Nuance heller zum Fade-out nach der Textzeile: „Und wenn ich dich nicht bei mir hätte, hätte ich umsonst gelebt.“ Im August manifestierten Tocotronic dann ihre Existenz mit einem Best-of-Album, pandemiegemäß ohne Live-Präsentation. Auf der üppigen Werkschau „Sag alles ab – the Best of 1994–2020“ sind 52 Lieder von Tocotronic versammelt, darunter das erste je aufgenommene Stück, Live-Mitschnitte und Demos.
Wie eine Ergänzung dazu kommt nun eine Comicsammlung daher. Schlanker, aber nur, was den physischen Umfang betrifft. Der Band „Sie wollen uns erzählen“ basiert auf der Idee eines treuen Tocotronic-Fans. Michael Büsselberg, der Herausgeber, war schon lange der Meinung, dass Comics und die Musik von Tocotronic zusammengehören. Inspiriert durch einen bande dessinée über den französischen Chansonnier Jacques Dutronc, den er vor acht Jahren sah, wollte Büsselberg etwas Ähnliches auf Deutsch versuchen. Den Verlag hatte er schon im Kopf, passende KünstlerInnen fand er auf Vernissagen und mithilfe des ambitionierten Verlegers Jonas Engelmann.
Querschnitt durch die Bandgeschichte
Je ein Tocotronic-Song pro Bildgeschichte, unterschiedliche UrheberInnen und Stile, so ist das Konzept. Und die Idee geht auf: Zehn Interpretationen von ZeichnerInnen der hiesigen Comicszene stellen nun sowohl einen Querschnitt durch die Bandgeschichte von Tocotronic, als auch einen Einblick in den Stand der neunten Kunst vor. Sänger Dirk von Lowtzow kommentiert eingangs anekdotisch den jeweiligen Song, dann erläutern die Zeichner:innen ihre persönlichen Zugänge.
Den Anfang macht der sogenannte „schnellste Künstler Deutschlands“, der Berliner Maler Jim Avignon. In symbolartigen Bildern erstellt er ein fünfseitiges Panel zum Song „Digital ist besser“. Womit wirklich Uhren gemeint waren, wie von Lowtzow erläutert. Dann folgen Beiträge von Anna Haifisch, Sascha Hommer, Moni Port, Philip Waechter, Julia Bernhard, Eva Feuchter, Tine Fetz, Katja Kengel/Piwi und Jan Schmelcher.
Sie sind so vielfältig wie die Songs aus den verschiedenen Schaffensphasen von Tocotronic. Hier eine stur treibende Gitarre und getragener Gesang mit dunkler Stimme bei „Warte auf mich auf dem Grund des Swimmingpools“ – da eine strenge „Ligne Claire“ in der von Tieren durchsetzten Umsetzung von Julia Bernhard; hier tösender Rock bei „Electric Guitars“, da gestischer Pinselstrich von Philip Waechter.
Überflutende Krakelgewitter
Anna Haifischs Interpretation von „Kapitulation“ lässt eine ihrer dürren, vom Leben gebeutelten Gestalten unter schwarzen, das Bild überflutenden Krakel-Flüssen untergehen. Eine konzentrierte zeichnerische Zusammenfassung der Bandgeschichte rundet das Ganze ab, erstellt von Schlagzeuger Arne Zank, der in Hamburg gerade Illustration studierte, als die Band erfolgreich wurde und einer Comic-Neigungsgruppe namens 313 angehörte. Zank war Mitherausgeber der Serie „Sex, Drugs und Rock ’n’ Roll“ im Magazin Unangenehm.
Comicaffin sind Tocotronic schon immer gewesen, ersichtlich etwa an Zanks Blog „zankwiestreit“, den er immer wieder mit Comics bestückt. Jan Müller liebt Donald Duck und zeichnet gelegentlich selbst, und alle Tocos hatten ein von den Fans manchmal belächeltes Faible für Rolf Kaukas „Fix und Foxi“. Immer mal wieder, etwa um 1996 zur Veröffentlichung von „Wir kommen, um uns zu beschweren“, kursierten Band-Gimmicks mit im Kauka-Stil selbstgezeichneten Tierfiguren.
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