Wozu es Punk gibt: Seit 40 Jahren dagegen

Im Sommer 1976 erschien die erste britische Punksingle. Wie die Jugendrevolte losging, was sie änderte und warum sie nach wie vor bedeutsam ist.

Punks in Indonesien Foto: afp

Im Sommer 2012 wandern drei Mitglieder des russischen Punkkollektivs Pussy Riot ins Straflager. Kurz darauf findet eine Solidaritätsdemonstration für die inhaftierten Frauen in Jakarta statt. Auf einer Kreisverkehrsinsel im Zentrum der indonesischen Hauptstadt spielen während dreier Tage Punkbands. Die Musiker malen dazu Slogans auf Pappschilder: „Freilassung von Pussy Riot sofort“, „Schluss mit der Kriminalisierung freier Meinungsäußerung“ und „Solidarität ist grenzenlos“.

Kurz zuvor werden mehr als 60 Punks im indonesischen Aceh von der Schariapolizei festgenommen und misshandelt. Daraufhin prangen Graffiti am Gebäude der indonesischen Botschaft in Moskau, sie fordern das Ende dieser Verfolgungen.

Was das mit den Idealen des Punk zu tun hat? Ziemlich viel, erklärt Nicholas Rombes, US-Kulturwissenschaftler und Buchautor („A Cultural Dictionary of Punk“): „Es sind Pollen einer Pflanze. Ihre Sporen wurden durch den Wind räumlich und zeitlich weit fortgetragen. Dann haben sie sich woanders niedergelassen. Allmählich sind daraus eigenständige Pflanzen gewachsen, abseits vom Original und doch mit ihm verwandt.“ Punk gedeiht in Indonesien schon seit den Neunzigern. Es stellt für junge IndonesierInnen eine wichtige Alternative zum islamisch geprägten gesellschaftlichen Mainstream dar. Obwohl Punks in Indonesien von den Behörden gegängelt werden, gibt es in allen größeren Städten Bands und Szenen.

Das war vor 40 Jahren, als die ersten Punkpflanzen in der westlichen Welt sprossen, genauso. Urplötzlich traten Bands auf den Plan, etwa die Sex Pistols, The Clash und The Damned in England und die Ramones in den USA.

Diesen Text finden Sie auch in der taz.am wochenende vom 16./17. Juli, die sich ansonsten eingehend auf mehreren Seiten mit dem schrecklichen Anschlag von Nizza beschäftigt. Außerdem: Früher fiel Thomas de Maizière mit Besonnenheit auf. Heute gilt der Innenminister als Reizfigur. Wie er seinen Wandel rechtfertigt. Und: Dank Hans Wall gibt es sich selbst reinigende City-Toiletten. Ein Gespräch über Geld und die AfD. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Mit einfachsten Mitteln wandten sie sich gegen den saturierten Popmainstream, aber auch gegen die Ideenlosigkeit der Politik und die Apathie der Gesellschaft. „Es gab damals wenig Stimulierendes. Videorekorder und Kabelfernsehen waren Mitte der Siebziger der letzte Schrei. Die Punks gingen lieber ins Kino und lernten von den alten Filmen. Sie benutzten für ihren Sound bewusst Rock-’n’-Roll-Equipment, E-Gitarren, Bass, Drums, wie es sie schon in den vierziger Jahren gegeben hat.“

Juli 1976

The Damned aus London waren es auch, die im Juli 1976 die erste britische Punksingle veröffentlichten: „New Rose“, erschienen beim kleinen Label Stiff Records. Neue Rose? Neurose! „I got a feeling inside of me/It’s kind of strange like a stormy sea/I don’t know why/I don’t know why/I guess these things have got to be.“ Damned-Sänger Dave Vanian bellt eher, als dass er singt. Gestylt ist er nach dem Vorbild von Horrorfilmstar Bela Lugosi. Weiß gepudertes Gesicht, Vampir-Make-up, schwarz gefärbte Haare. Eigentlich heißt er David Lett, Vanian leitet er ab von Transsylvanian. Vorher arbeitete Lett als Totengräber auf dem Friedhof. „New Rose“ springt dem toten Rock von der Schippe. Der Song dauert zwei Minuten und 42 Sekunden, reinstes Stakkato.

Das Vermächtnis des Punk ist kompliziert. Niemand kann ihn für sich reklamieren. Vielleicht ein Vorteil

Warum hatten sie es so eilig? Punks bevorzugen Exploitationfilme, Comics und Speed, die Droge der Lkw-Fahrer. „Was im Mainstream als anrüchig und wertlos gilt, stiftet für Punks Sinn. Etwa die Zeichentrickserie ‚The Roadrunner‘ über einen Fantasie­vogel, der so schnell rennt, damit man ihn nicht einfangen kann.“ ­Rombes führt die Umwendung von Trashkultur auf Albert Camus zurück. „Wenn es kein Großnarrativ und keine vernünftigen Werte mehr gibt, ist Alltagsvergnügen der Ausweg. Wenn es nichts gibt, was Sinn stiftet, fördert eben das Sinnlose Gemeinsamkeit.“

Ein Mann, Nicholas Rombes

Nicholas Rombes Foto: Privat

Abfälliger Begriff

Punk war in den USA ursprünglich ein abfälliger Begriff. In den fünfziger Jahren wurden etwa Obdachlose als Punks bezeichnet, Herumtreiber und Stricher. In Film-noir-Werken werden Kleinkriminelle als Punks bezeichnet. Die Umdeklaration begann im New York der siebziger Jahre. John Holmstrom und Legs McNeill, Herausgeber des Fanzines Punk, transformierten den Begriff zum Pop­genre, ausgestattet mit Haltung, eigener Ästhetik und charakteristischem Sound. So haben Jugendliche plötzlich mit Stolz von sich als Punks gesprochen, es wie ein Ehrenabzeichen vor sich her getragen.

Nicholas Rombes leitet daraus auch die gesellschaftliche Bedeutung des Punk ab: „Er pocht auf Individualismus und hegt Misstrauen gegen Autoritäten. Er gibt einem das Gefühl, lebendig zu sein, selbst über das eigene Schicksal entscheiden zu können, das ist unglaublich inspirierend.“ Das Vermächtnis des Punk ist kompliziert. Niemand kann ihn für sich reklamieren.

Vielleicht ist das ein Vorteil: „Wenn junge Leute heute Punk für sich entdecken, deshalb Kunst erschaffen oder rebellieren, bin ich nicht dazu legitimiert, dies infrage zu stellen.“ Als wichtigstes Punkerbe sieht Rombes das Prinzip „do it ­yourself“: Eigenständig Musik veröffentlichen, Konzerte und Tourneen organisieren. Gleichwohl ist Rombes der Ansicht, nostalgische Vereinnahmung widerspreche den Idealen des Punk.

Im London dieser Tage tut die Nostalgie aber gut. In der British Library läuft noch bis Oktober die großangelegte Schau „Punk 1976–78“. Zu sehen sind Zeitungsausschnitte, Cover, Fotos, Filme. Dazu Podiumsdiskussionen wie am Donnerstag: Der Kulturkritiker Jon Savage und die Musikerin Viv Albertine (Gitarristin von The Slits) sprechen als Zeitzeugen. Alle Plätze sind belegt, viele Youngster. Savage kommt mit Paukenschlag auf die Bühne: Er werde niemals den Brexit akzeptieren, schimpft der 63-Jährige und zeigt seinen Remain-Button. „Ich schäme mich, Engländer zu sein. Ich dachte, ich hätte das Schlimmste hinter mir nach den beschissenen Thatcher-Jahren!“

Eine Frau, Viv Albertine

Viv Albertine, Gitarristin der britischen Punkband the Slits Foto: Carolina Ambida/Suhrkamp Verlag

Und dann hebt er zu einer Tirade an. Die machistische Gewalt, die Punk schon vor 40 Jahren angekreidet wurde, sei nur die halbe Wahrheit, es habe stets Platz für Außenseiter gegeben. Er als Schwuler könne das bezeugen. Wer gegen die ewige Historisierung des Punk meckere, werde lebenslänglich mit dem Weichspülersound der Mainstreamband Mumford & Sons bestraft.

Viv Albertine sagt, durch Punk sei schlechte Laune auf der Bühne erst möglich geworden. Sie war Mitglied der allerersten britischen Frauenpunkband The Slits. Genau wie Drummerin Paloma „Palmolive“ Romero hat auch sie sich das Gitarrespielen selbst beigebracht. Die 18 Monate zwischen 1976 und 77 seien ihre wichtigste Zeit gewesen. Am meisten haben ihr die „antiemotionale Doktrin“ des Punk gebracht: niemals Händchen halten in der Öffentlichkeit. Das habe ihr als Frau Selbstbewusstsein verschafft. Nostalgie ob der schlechten Hygiene ihrer männlichen Musikerkollegen empfinde sie dagegen nicht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.