Titelsong der linken Sammelbewegung: Das erste Manifest
Diether Dehm will „Aufstehn“ für Sahra Wagenknecht neu aufsetzen. Was sagt es über die Bewegung, dass ein 38 Jahre altes Lied zur Hymne werden soll?
Eine „linke Sammlungsbewegung“, das klingt zunächst famos. Haben wir hierzulande nicht längst linke Mehrheiten, rein rechnerisch? Die nur deshalb unter „ferner liefen“ rangieren, weil es offenbar kein Heilmittel gegen die erzlinke Zersplitterungskrankheit gibt? Also bitte her mit frischem Wind! Mit einem übergreifenden Bündnis, das alte Grabenkämpfe hinter sich lässt und beschwingt ausschreitet in die Zukunft!
Erste Skepsis war angebracht, als der Deutschlandfunk in den Nachrichten wörtlich meldete: „Die neue linke Sammlungsbewegung ‚Aufstehen‘ ist online“. Die Bewegung ist online? Ernsthaft? Also draufgeklickt und nachgeschaut, wer da alles aufsteht. Es empfängt ein Hashtag, #aufstehen, und Hashtag ist bewegungstechnisch immer gut, gefolgt von Datum, Uhrzeit und der aktuellen Temperatur (33 Grad Celsius). Sehr heutig.
Wer aber steckt dahinter? Also, außer dem grabenkämpfenden Power Couple Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine, außer der grünen Rentnerin Antje Vollmer und diesem Dramaturgen, jenem Schriftsteller? Und welcher sozialdemokratische Privatier oder Offizielle steht auf, um sich dieser Abspaltung einer von der SPD abgespaltenen Linkspartei anzuschließen?
Bis zum 4. September, dem offiziellen „Start der Bewegung“, gibt es auf der Seite allerdings keinen Text. Nichts, was studieren könnte, wer noch unentschieden ist. Kein Manifest, kein Grundsatzprogramm, keine Forderung, kein Versprechen. Nicht einmal eine Satzung, wie sie der „Trägerverein Aufstehen e. V.“ doch gewiss haben dürfte?
Die Katze ist aus dem Sack
Nicht ganz. Ein Manifest gibt es schon. Es handelt sich um einen 38 Jahre alten Songtext der niederländischen Musikgruppe Bots, damals übersetzt und immer mal wieder aktualisiert von: Diether Dehm, Liedermacher, Linkspartei. Der will den Song für die neue Bewegung nun noch mal aktualisieren: „Wagenknecht hat mich angerufen, und wir haben das vereinbart“, zitiert das niedersächsische Politmagazin Rundblick Dehm. So basishierarchisch läuft das bei der Bewegung: Wagenknecht ruft einen alten Kumpel an, und die vereinbaren das.
In seinem Buch „Unschuld kommt nie zurück“ schrieb Dehm einst: „Ich wollte aus den verschiedenen Einzelthemen der gespaltenen Linken einen Gesamtgesang machen, der einigend wirken sollte.“ Nun will er den Text von „Aufstehn“ als einigende Hymne der Sammlungsbewegung verstanden wissen. Damit ist die Katze erst mal aus dem Sack.
Ob die Anfangszeilen das Update unbeschadet überstehen, ist fraglich. Das ursprüngliche „Alle, die nicht gerne Instantbrühe trinken, sollen aufstehn / Alle, die nicht schon im Hirn nach Deospray stinken, sollen aufstehn“ war Dehm schon früher zu individualistisch. Er ersetzte es vor gut zehn Jahren durch: „Alle, die nicht nur ein bisschen Frieden wollen, sollen aufstehn / Alle, denen Öl spielt eine viel zu große Rolle, sollen aufstehn.“ Möglich, dass der Songtext noch ein wenig aktualisiert wird, weg von der Friedensbewegung, hin zu … ja, zu was eigentlich?
Eine zentrale Stelle gibt vage Auskunft, sie blieb auch nach Dehms letzter Aktualisierung, die man auf seiner Website lesen kann, unverändert und lautet: „Aber unser Morgenrot kommt nicht nach einer durchgeschlafenen Nacht / Wir träumen von ’ner Revolution hier / Doch wer will schon, dass dabei Blut fließt / Wenn du dich da ganz mitbringst / Mag sein, dass es gelingt / Dich ganz und deinen Traum mitbringst / Mag sein, dass es gelingt.“
Die Revolution wird geträumt
Sozialistischer wird’s nicht. Hier dämmert das politisch hochsymbolische Morgenrot. Unklar, ob die Nacht davor szenetypisch durchgearbeitet, durchdiskutiert, durchgetanzt oder durchgevögelt wurde. Kommt auf die Szene an. So oder so findet die Revolution folglich nicht statt, sondern wird: geträumt. Und zwar „hier“, in Abgrenzung vom dogmatischen Internationalismus der Linken. Blut wird fließen oder auch nicht. Kommt ganz darauf an, ob das jemand „will“, also ein demokratischer Beschluss zugrunde liegt. Die oktoberrevolutionäre Drastik dieser Drohung freilich wird sofort zurückgenommen und in weichgespültem Psychogesülze ertränkt, wo man sich selbst und seine Träume „mitbringt“ und einbringt.
Mag sein, dass das Mist ist. Mag sein, dass nicht. Zumal der übrige Text von einer Allgemeingültigkeit ist, dass selbst die „Internationale“ dagegen wie die introspektive Nabelschau eines depressiven Songwriters klingt. Wer soll „aufstehn“, wenn es nach „Aufstehn“ beziehungsweise „Aufstehen“ geht? Eine Volksgemeinschaft, der’s reicht. Ein „Arsch huh, Zäng ussenander“ (BAP), nur ohne Inschutznahme von „Asylante“ und „Kanaken“.
Da sind die Zivilcouragierten („Alle, die nicht schweigen, auch wenn sich Knüppel zeigen“), die Emanzipierten („Alle Frauen, die nicht auf zu den Männern schauen“). Seltsam aktuell in Zeiten von Schusswaffen aus dem 3-D-Drucker auch „alle, die Angst vor Plastikwaffen haben in der Hand von einem Kind“. Von zeitloser Rätselhaftigkeit selbst im Lichte avancierter Genderpolitik dagegen „alle Schwulen, die nicht um Toiletten buhlen“. Generell solle man sein „Unbehagen“ nicht im „Magen“ tragen. Sondern aufstehn.
Woran sich mehrere Fragen anschließen, kleinere und größere. Wo bitte bleibt das Narrativ? Die positive Erzählung, die es heute braucht? Geschlagene sieben Minuten lang ist zu allerlei Flötenklängen und akustischen Gitarren vom Aufstehn die Rede und davon, wer alles sich jetzt zu erheben habe. Ein einziger Imperativ. Du sollst! Alle sollen!
Gibt es im Sommer, dessen offizieller Hit die neue Interpretation eines italienischen Partisanenliedes von 1945 („Bella Ciao“) ist, wirklich keine zeitgemäßere Hymne für die Bewegung? Eine, die für Bewegung sorgt statt für lähmendes Entsetzen? Und wer nicht zum Aufstehen aufgefordert wird, das sind die Migranten. Warum? Unbehagen im Magen? Sollen die hocken bleiben, wo sie sind?
Und einmal aufgestanden, wohin genau geht dann die Reise?
Hohe Zeit also für ein echtes Manifest, ein Programm. Etwas, worüber man wirklich streiten kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer