Titanic-Chefredakteurin über Satire: „Humor hat viel mit Macht zu tun“
Julia Mateus ist seit 100 Tagen Chefredakteurin des Satiremagazins „Titanic“. Über ihre Doppelrolle als weibliche Führungskraft und Satirikerin.
taz: Frau Mateus, entgegen diverser Prophezeiungen haben Sie sich als Chefredakteurin behaupten können. Jetzt sind Sie bereits 100 Tage im Amt. Zeit, Bilanz zu ziehen. Wie lief ’s?
Julia Mateus: Es läuft sehr gut, seit die ProSieben-Sat-1-Gruppe angekündigt hat, den Titanic-Verlag zu kaufen. Unser Portfolio wird demnächst geringfügig angepasst. Titanic wird „Satire Gong“ heißen und einen bunten Mix aus Witzen und Fernsehprogramm bieten. Ich freu mich drauf!
1984 in Hann geboren, studierte Soziologie, Psychologie und Kommunikationswissenschaft. Masterarbeit über satirische Medienkritik. Als freie Autorin schrieb sie u. a. für die taz und „Extra 3“. Seit 2020 ist sie Redakteurin, seit 2022 Chefredakteurin der Titanic.
Haben Sie sich Ihren Humor bewahrt?
Zum Teil. Ich bin in einer schwierigen Doppelrolle: Weibliche Führungskräfte, die Witze machen, wirken weniger kompetent, das haben Studien gezeigt. Gleichzeitig bin ich Satirikerin. Ein Dilemma!
Fühlen Sie sich wohl in Ihrer neuen Rolle?
Ich habe jetzt ja viel mehr Befugnisse in der Redaktion und kann alles nach meinen Wünschen gestalten. Eine meiner ersten Amtshandlungen war, die Pilzzucht in den Redaktionsräumen zu verbieten. Seitdem fühle ich mich dort deutlich wohler.
Ist der Job so, wie Sie ihn sich vorgestellt haben?
Nicht ganz. Als ich angekündigt habe, Produktproben ins Heft zu holen, habe ich eigentlich damit gerechnet, dass man mir ein paar Samples zukommen lässt. Darauf warte ich leider immer noch. Und das Medieninteresse hat mich überrascht.
Was machen Sie als Erstes, wenn Sie ins Büro kommen?
Ich bereite mir eine schöne Tasse „Café satirico“ zu. Unseren fair gehandelten Hauskaffee gibt es übrigens auch im Titanic-Shop.
Sie hatten eine „Schreckensherrschaft“ angekündigt. Was ist daraus geworden?
Das wurde mir auf Dauer zu anstrengend. Ich setze lieber auf kalkulierte Wutausbrüche und relaxe zwischendurch in meinem Ohrensessel. Das ist insgesamt auch effektiver.
Was hat Ihnen am meisten Spaß bereitet?
Für das aktuelle Heft haben wir eine Telefonaktion zum Thema Fachkräftemangel gemacht. Und das Schreiben meiner Editorials.
Was hat Sie am meisten geärgert?
Mitarbeiter*innen, die sich über „Heftehaufen“ beschweren, die ich angeblich in der Redaktion hinterlasse. Ein bisschen mehr Respekt fände ich angemessen!
Was haben Sie als Erstes abgeschafft?
Um Druckkosten zu sparen, darf in Titanic-Texten kein Semikolon mehr gesetzt werden, sondern nur ein Komma oder ein Punkt.
Was haben Sie als Erstes angeschafft?
Freizeichenmusik! Wer in der Redaktion anruft, hört seit Neuestem anstelle des Tutens Musik von sympathischen politischen Liedermachern.
Was war die größte Herausforderung während Ihrer Anfangszeit?
In der Redaktion grassieren diverse, bisher unbekannte Mutationen psychischer Störungen, sie ist ein Hort seelischer Gebrechen. Das Personal (inkl. mich selbst) wieder in die Spur zu bringen, war eine Mammutaufgabe.
Was hat Ihnen dabei geholfen, sich jeden Tag für die neuen Aufgaben zu motivieren?
Es gibt immer einen Silberfisch am Horizont! Ich habe einen Kalender mit satirischen Motivationssprüchen und Zeichnungen, den ich mal als unverlangt eingesandtes Manuskript zugeschickt bekommen habe.
Was hat Sie am meisten überrascht?
Sämtliche Witze in der ersten Titanic-Ausgabe unter meiner Führung. Ich vergesse direkt nach dem Redaktionsschluss so gut wie alles, was im Heft steht.
Was war Ihr wichtigstes Learning?
Beim Lesen von Twitter-Kommentaren dachte ich neulich: Unser Heftname lädt zu Untergangsmetaphern ein. Das war zuvor noch niemandem aufgefallen!
Bei Amtsantritt haben Sie allen möglichen Medien erzählt, Sie wollten den Niedergang der Titanic vorantreiben. Welche Schritte haben Sie diesbezüglich eingeleitet?
Ich wollte vor allem den intellektuellen Niedergang von Titanic vorantreiben und dafür zum Beispiel die politische Kolumne von Stefan Gärtner nur noch in einfacher Sprache drucken. Neulich hat jemand unter einen Witz von uns geschrieben „Niveau ist für euch traurige Gestalten wohl ein Fremdwort“. Ja; ganz recht! Wir sind auf dem richtigen Weg.
Ein anderes erklärtes Ziel lautete, mehr Frauen zum Heft zu bringen. Geschafft?
Es gibt ein paar Frauen, die für Online und Heftrubriken schreiben und noch relativ neu sind. Unter den männlichen Chefs gab es immer einen gewissen Konkurrenzkampf, wer die meisten Frauen zum Heft bringt, das war für die Quote eigentlich auch gar nicht so schlecht.
Was war der beste Witz, den Sie in Ihren ersten 100 Tagen gehört haben?
Das weiß ich nicht so genau, aber der Fotoroman in der ersten Ausgabe, da ging es um Olaf Scholz’ Chinareise, hat mir sehr gut gefallen.
Worüber haben Sie gelacht, was Ihnen im Nachhinein peinlich war?
Diesen sozialen Filter haben wir in der Titanic-Redaktion schon lange nicht mehr.
Über wen haben Sie am meisten gelacht?
Schwer zu sagen. Gern und viel über Olaf Scholz, mehr als zum Beispiel über Söder.
Fällt es Ihnen in Ihrer neuen Rolle schwerer, witzig zu sein?
Nein, es wird leichter. Humor hat bekanntlich viel mit Macht zu tun. Wenn ich als Chefin einen Witz mache, müssen die Mitarbeiter*innen lachen.
Wie oft mussten Sie Ihre Mitarbeiter*innen zwingen, Witze neu zu schreiben, weil sie Ihnen nicht gefallen haben?
Die männlichen Autoren müssen sie nur dann neu schreiben, wenn sie mir gefallen haben. Weil ich sie dann aus ihren Texten rausredigiere und bei mir reinschreibe!
Gab es Rücktrittsforderungen?
Ja, schon so einige. Zum Beispiel an Liz Truss, Christine Lambrecht …
An welcher Führungsfigur orientieren Sie sich?
Ich wurde schon mit verschiedenen Führungsfiguren verglichen, mal mit Martin Sonneborn, mal mit Margaret Thatcher, zuletzt mit Donald Trump. Ich denke, ein Mix aus denen allen wäre sehr gut.
Konnten Sie dem Problem Frau werden, dass Leute unter Titanic-Witzen schreiben: „Euer fucking Ernst?“
Solche Kommentare sind ja nicht wirklich ein Problem. Ich finde sie eher amüsant. Welche Antwort erwarten User*innen, die so was ein Satiremagazin fragen?
Machen Sie freiwillig Kloputzdienst?
Wenn der Redaktionsschluss naht, putze ich in der Redaktion alles blitzblank, auch die Toiletten. Letztens habe ich sogar das gammlige Essen aus meinem Kühlschrank entsorgt.
Finden Sie es mittlerweile anstrengend, auf jede Frage lustig antworten zu müssen?
Ja.
Wie würde eine ernste Antwort auf diese Frage lauten?
Nein.
Welches Ihrer Ziele werden Sie am schnellsten erreichen?
Jede Titanic-Führungskraft wird im Laufe ihrer Amtszeit verrückt. Mein Ziel ist, mich damit zu beeilen. Wenn man mich für unzurechnungsfähig hält, werde ich schneller ausgemustert und komme an die siebenstellige Verlagsabfindung.
Haben Sie eine Exit-Strategie, wenn das hier schiefgeht?
Ich möchte so eine Reggae-Hexe mit grauhaarigen Dreads und Gottkomplex werden, die auf Festivals selbstgebackenen Kuchen und Holzschmuck feilbietet.
Vermissen Sie manchmal Ihren alten Job?
Ich habe viel weniger Zeit zum Schreiben. Das finde ich tatsächlich schade.
Was wird die größte Herausforderung in den nächsten 100 Tagen sein?
Sämtliche männliche Autoren versuchen, mir ein Compliance-Verfahren anzuhängen, weil sie es, wie sie sagen, „ironisch“ fänden, wenn ich auf diesem Weg aus dem Amt befördert würde. Da muss ich immer auf der Hut sein!
Verraten Sie uns, auf was sich die Leser*innen in der nächsten Ausgabe freuen können?
Das Februarheft ist gerade erst erschienen. Darin präsentieren wir Ratzingers Testament, eine Reportage über Tiny-Data-Sammler in der bayrischen Provinz, Lauterbachs Krankenhausreform und berichten exklusiv über jugendliche Raucher-Rebellen in Neuseeland. Für das Märzheft werden wir eine Spielwarenmesse besuchen und uns mit Seltenen Erden beschäftigen. Mehr steht noch nicht fest.
Transparenzhinweis: Sämtliche Fragen wurden vorab per Mail gestellt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana