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Titanic-Chefredakteurin über Satire„Humor hat viel mit Macht zu tun“

Julia Mateus ist seit 100 Tagen Chefredakteurin des Satiremagazins „Titanic“. Über ihre Doppelrolle als weibliche Führungskraft und Satirikerin.

Eine von Julia Mateus ersten Amtshandlungen: Ein Verbot der Pilzzucht in den Redaktionsräumen Foto: Frederike Wetzels
Doris Akrap
Interview von Doris Akrap

taz: Frau Mateus, entgegen diverser Prophezeiungen haben Sie sich als Chefredakteurin behaupten können. Jetzt sind Sie bereits 100 Tage im Amt. Zeit, Bilanz zu ziehen. Wie lief ’s?

Julia Mateus: Es läuft sehr gut, seit die ProSieben-Sat-1-Gruppe angekündigt hat, den Titanic-Verlag zu kaufen. Unser Portfolio wird demnächst geringfügig angepasst. Titanic wird „Satire Gong“ heißen und einen bunten Mix aus Witzen und Fernsehprogramm bieten. Ich freu mich drauf!

Im Interview: Julia Mateus

1984 in Hann geboren, studierte Soziologie, Psychologie und Kommunikations­wissenschaft. Masterarbeit über satirische Medienkritik. Als freie Autorin schrieb sie u. a. für die taz und „Extra 3“. Seit 2020 ist sie Redakteurin, seit 2022 Chefredakteurin der Titanic.

Haben Sie sich Ihren Humor bewahrt?

Zum Teil. Ich bin in einer schwierigen Doppelrolle: Weibliche Führungskräfte, die Witze machen, wirken weniger kompetent, das haben Studien gezeigt. Gleichzeitig bin ich Satirikerin. Ein Dilemma!

Fühlen Sie sich wohl in Ihrer neuen Rolle?

Ich habe jetzt ja viel mehr Befugnisse in der Redaktion und kann alles nach meinen Wünschen gestalten. Eine meiner ersten Amtshandlungen war, die Pilzzucht in den Redaktionsräumen zu verbieten. Seitdem fühle ich mich dort deutlich wohler.

Ist der Job so, wie Sie ihn sich vorgestellt haben?

Nicht ganz. Als ich angekündigt habe, Produktproben ins Heft zu holen, habe ich eigentlich damit gerechnet, dass man mir ein paar Samples zukommen lässt. Darauf warte ich leider immer noch. Und das Medieninteresse hat mich überrascht.

Was machen Sie als Erstes, wenn Sie ins Büro kommen?

Ich bereite mir eine schöne Tasse „Café satirico“ zu. Unseren fair gehandelten Hauskaffee gibt es übrigens auch im Titanic-Shop.

Sie hatten eine „Schreckensherrschaft“ angekündigt. Was ist daraus geworden?

Das wurde mir auf Dauer zu anstrengend. Ich setze lieber auf kalkulierte Wutausbrüche und relaxe zwischendurch in meinem Ohrensessel. Das ist insgesamt auch effektiver.

Was hat Ihnen am meisten Spaß bereitet?

Für das aktuelle Heft haben wir eine Telefonaktion zum Thema Fachkräftemangel gemacht. Und das Schreiben meiner Editorials.

Was hat Sie am meisten geärgert?

Mitarbeiter*innen, die sich über „Heftehaufen“ beschweren, die ich angeblich in der Redaktion hinterlasse. Ein bisschen mehr Respekt fände ich angemessen!

Was haben Sie als Erstes abgeschafft?

Um Druckkosten zu sparen, darf in Titanic-Texten kein Semikolon mehr gesetzt werden, sondern nur ein Komma oder ein Punkt.

Was haben Sie als Erstes angeschafft?

Freizeichenmusik! Wer in der Redaktion anruft, hört seit Neuestem anstelle des Tutens Musik von sympathischen politischen Liedermachern.

Was war die größte Herausforderung während Ihrer Anfangszeit?

In der Redaktion grassieren diverse, bisher unbekannte Mutationen psychischer Störungen, sie ist ein Hort seelischer Gebrechen. Das Personal (inkl. mich selbst) wieder in die Spur zu bringen, war eine Mammutaufgabe.

Was hat Ihnen dabei geholfen, sich jeden Tag für die neuen Aufgaben zu motivieren?

Es gibt immer einen Silberfisch am Horizont! Ich habe einen Kalender mit satirischen Motivationssprüchen und Zeichnungen, den ich mal als unverlangt eingesandtes Manuskript zugeschickt bekommen habe.

Was hat Sie am meisten überrascht?

Sämtliche Witze in der ersten Titanic-Ausgabe unter meiner Führung. Ich vergesse direkt nach dem Redaktionsschluss so gut wie alles, was im Heft steht.

Was war Ihr wichtigstes Learning?

Beim Lesen von Twitter-Kommentaren dachte ich neulich: Unser Heftname lädt zu Untergangsmetaphern ein. Das war zuvor noch niemandem aufgefallen!

Bei Amtsantritt haben Sie allen möglichen Medien erzählt, Sie wollten den Niedergang der Titanic vorantreiben. Welche Schritte haben Sie diesbezüglich eingeleitet?

Ich wollte vor allem den intellektuellen Niedergang von Titanic vorantreiben und dafür zum Beispiel die politische Kolumne von Stefan Gärtner nur noch in einfacher Sprache drucken. Neulich hat jemand unter einen Witz von uns geschrieben „Niveau ist für euch traurige Gestalten wohl ein Fremdwort“. Ja; ganz recht! Wir sind auf dem richtigen Weg.

Ein anderes erklärtes Ziel lautete, mehr Frauen zum Heft zu bringen. Geschafft?

Es gibt ein paar Frauen, die für Online und Heftrubriken schreiben und noch relativ neu sind. Unter den männlichen Chefs gab es immer einen gewissen Konkurrenzkampf, wer die meisten Frauen zum Heft bringt, das war für die Quote eigentlich auch gar nicht so schlecht.

Was war der beste Witz, den Sie in Ihren ersten 100 Tagen gehört haben?

Das weiß ich nicht so genau, aber der Fotoroman in der ersten Ausgabe, da ging es um Olaf Scholz’ Chinareise, hat mir sehr gut gefallen.

Worüber haben Sie gelacht, was Ihnen im Nachhinein peinlich war?

Diesen sozialen Filter haben wir in der Titanic-Redaktion schon lange nicht mehr.

Über wen haben Sie am meisten gelacht?

Schwer zu sagen. Gern und viel über Olaf Scholz, mehr als zum Beispiel über Söder.

Fällt es Ihnen in Ihrer neuen Rolle schwerer, witzig zu sein?

Nein, es wird leichter. Humor hat ­bekanntlich viel mit Macht zu tun. Wenn ich als Chefin einen Witz mache, müssen die Mit­ar­bei­te­r*in­nen lachen.

Wie oft mussten Sie Ihre Mit­ar­bei­te­r*in­nen zwingen, Witze neu zu schrei­ben, weil sie Ihnen nicht gefallen haben?

Die männlichen Autoren müssen sie nur dann neu schreiben, wenn sie mir gefallen haben. Weil ich sie dann aus ihren Texten rausredigiere und bei mir reinschreibe!

Gab es Rücktrittsforderungen?

Ja, schon so einige. Zum Beispiel an Liz Truss, Christine Lambrecht …

An welcher Führungsfigur orientieren Sie sich?

Ich wurde schon mit verschiedenen Führungsfiguren verglichen, mal mit Martin Sonneborn, mal mit Margaret Thatcher, zuletzt mit Donald Trump. Ich denke, ein Mix aus denen allen wäre sehr gut.

Konnten Sie dem Problem Frau werden, dass Leute unter Titanic-Witzen schreiben: „Euer fucking Ernst?“

Solche Kommentare sind ja nicht wirklich ein Problem. Ich finde sie eher amüsant. Welche Antwort erwarten User*innen, die so was ein Satiremagazin fragen?

Machen Sie freiwillig Kloputzdienst?

Wenn der Redaktionsschluss naht, putze ich in der Redaktion alles blitzblank, auch die Toiletten. Letztens habe ich sogar das gammlige Essen aus meinem Kühlschrank entsorgt.

Finden Sie es mittlerweile anstrengend, auf jede Frage lustig antworten zu müssen?

Ja.

Wie würde eine ernste Antwort auf diese Frage lauten?

Nein.

Welches Ihrer Ziele werden Sie am schnellsten erreichen?

Jede Titanic-Führungskraft wird im Laufe ihrer Amtszeit verrückt. Mein Ziel ist, mich damit zu beeilen. Wenn man mich für unzurechnungsfähig hält, werde ich schneller ausgemustert und komme an die siebenstellige Verlagsabfindung.

Haben Sie eine Exit-Strategie, wenn das hier schiefgeht?

Ich möchte so eine Reggae-Hexe mit grauhaarigen Dreads und Gottkomplex werden, die auf Festivals selbstgebackenen Kuchen und Holzschmuck feilbietet.

Vermissen Sie manchmal Ihren alten Job?

Ich habe viel weniger Zeit zum Schrei­ben. Das finde ich tatsächlich schade.

Was wird die größte Herausforderung in den nächsten 100 Tagen sein?

Sämtliche männliche Autoren versuchen, mir ein Compliance-Verfahren anzuhängen, weil sie es, wie sie sagen, „ironisch“ fänden, wenn ich auf diesem Weg aus dem Amt befördert würde. Da muss ich immer auf der Hut sein!

Verraten Sie uns, auf was sich die Le­se­r*in­nen in der nächsten Ausgabe freuen können?

Das Februarheft ist gerade erst erschienen. Darin präsentieren wir Ratzingers Testament, eine Reportage über Tiny-Data-Sammler in der bayrischen Provinz, Lauterbachs Krankenhausreform und berichten exklusiv über jugendliche Raucher-Rebellen in Neuseeland. Für das Märzheft werden wir eine Spielwarenmesse besuchen und uns mit Seltenen Erden beschäftigen. Mehr steht noch nicht fest.

Transparenzhinweis: Sämtliche Fragen wurden vorab per Mail gestellt.

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6 Kommentare

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  • "Es gibt immer einen Silberfisch am Horizont." Allein für diesen Satz hat sich die Lektüre schon gelohnt. Kannte ich noch nicht, kommt aber sofort in meinen Sprachschatz. Danke!

  • "In der Redaktion grassieren diverse, bisher unbekannte Mutationen psychischer Störungen, sie ist ein Hort seelischer Gebrechen. Das Personal (inkl. mich selbst) wieder in die Spur zu bringen, war eine Mammutaufgabe".

    Ich weiß nicht, gehört das bei einer Zeitung nicht einfach dazu? Ich würde das gar nicht anders erwarten und halte das auch nicht für Besorgnis erregend.

  • Gewonnen, gewonnen!



    Begonnen hat es im Osten Deutschlands im Jahr 1954 mit der ersten Ausgabe des „Eulenspiegels“. Sechs Jahre später wurde mit „Pardon“ die Urmutter der westdeutschen Humorgazetten gegründet.



    Und nach deren Pleite stach die „Titanic“ in die schwierige See der Humorpresse.



    www.mdr.de/kultur/...ll-satire-114.html



    .....In der Redaktion grassieren diverse, bisher unbekannte Mutationen psychischer Störungen, sie ist ein Hort seelischer Gebrechen. ..



    Ich bin nur ein kleiner, schreibensferner Fori, kann mir aber vorstellen, das auch in anderen Redaktionen b.d.Satz tief ein und ausgeatmet wird.



    Unbestechlich, aber käuflich!

    • @Ringelnatz1:

      anschließe mich - (btw Eulenspiegel => der Herr Kammersänger & Heldentenor - Berlin - bediente mich schon als Schüler mit dero Produkten - 🙀🥳🥹 - )

  • Leider fehlt hier die Subtilität des Humors wie beispielsweise ein Sonneborn selbst komplett Abstruses als Reales darstellen kann, bei dem man aber doch noch merkt, dass es Satire war. In diesem Interview war ich mir dessen an so manchen Stellen gar nicht sicher, was nun Satire sein sollte und was noch Informationsvermittlung.

    • @Werner2:

      Tja - wer nur ein Guckloch kennt.



      An dem vorbei gar vieles rennt.



      Ja. Besser wär an dessen statt:



      Heiß&Heureka - Variatio delectàt.



      &Däh. Trost sogleich - ich nachreich:



      Denn - sei angemerk von ol Lichtenberg



      Stößt ein 📕 an 👨‍🎨 - klingts hohl?! Kann.



      Muß nich am Kopp liegen“ - Siehstewohl •