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Neuer Chef bei Prosieben und Sat1Rübergezappt

Bert Habets wird Chef des Medienkonzerns ProSiebenSat.1, also der Hälfte des deutschen Privatfernsehens. Habets kommt von der anderen Hälfte: RTL.

Bert Habets Foto: Martin Kroll/ProSieben Sat1

Das deutsche Privatfernsehen steht wirtschaftlich vor Problemen. Sowohl bei RTL in Köln als auch bei ProSiebenSat.1 in München krankt das Geschäft. Durch Krieg und Energiekrise brechen die Werbeerlöse noch stärker ein als ohnehin erwartet. ProSiebenSat.1 insbesondere hängt zudem schon seit Langem strategisch in der Luft. Sat.1 ist längst ein Sorgenkind im Kanalportfolio. Zusätzlich leidet Pro7 als klassischer Sender für Spielfilm- und Serienware aus den USA unter dem Druck der internationalen Streaminganbieter. Das eigene Streamingportal Joyn dümpelt unter den Erwartungen.

Nun bekommt ProSiebenSat.1 zum 1. November einen neuen Chef. Der heißt Bert Habets und war bis 2019 Chef bei der RTL Group, zu der auch RTL Deutschland gehört. Der Mann wechselt also von der einen Hälfte des deutschen Privatfernsehens zur anderen.

Seitdem raunt es in der Branche. Rücken die Hälften näher zusammen? Steht gar ein Zusammenschluss an?

Ein solcher Zusammenschluss wäre insofern interessant, als er die Begehrlichkeiten einer gewissen Medienholding namens Media for Europe (MFE) im Zaum halten könnte. MFE hieß bis vor Kurzem Mediaset und gehört dem italenischen Mogul und Politiker Silvio Berlusconi. Bereits jetzt hält MFE rund ein Viertel der Anteile bei ProSiebenSat.1. Seit Jahren befürchtet man, die Hälfte des deutschen Privatfernsehens könnte somit auf längere Sicht in Berlusconis Medienreich aufgehen.

Unwahrscheinliche Fusionen

Das wäre nicht nur problematisch, weil Berlusconi den meisten unsympathisch ist, sondern auch, weil er dem Vernehmen nach nichts weiter plant als einen klassischen TV-Senderkonzern, ohne viel Digitales wie Streaming & Co.

Bei einem Zusammenschluss von ProSiebenSat.1 und RTL in Deutschland hingegen wäre Berlusconi draußen. Der so geschaffene gesamtdeutsche TV-Konzern wäre der „National Champion“, von dem zum Beispiel Thomas Rabe, Chef des RTL-Mutterkonzerns Bertelsmann, immer träumt. Doch für so eine Fusion spricht aktuell gar nichts. Das Kartellamt würde sie mit Sicherheit kassieren.

Also gemach! Die Personalie Bert Habets ist nicht überzubewerten. Dass in der Branche Privatfernsehen das Management hin- und hertauscht, ist nicht neu. Guillaume de Posch ging vor rund zehn Jahren den umgekehrten Weg: Nach einer längeren Zeit als Vorstandsvorsitzender bei ProSiebenSat.1 wurde er 2008 bis 2017 Chef bei RTL. Habets sitzt außerdem bereits seit Mai in München im ProSiebenSat.1-Aufsichtsrat.

Wenn die Personalie Habets über eins Auskunft gibt, ist es das Folgende: Vorläufig dürfte es bei ProSiebenSat.1 keinen Ausstieg aus dem Strea­ming­aben­teuer geben. Schließlich hatte Habets als Chef von RTL in den Niederlanden den dortigen Strea­ming­ab­le­ger Videoland aufgebaut. Videoland ist heute Teil von RTL+, dem ebenfalls nicht so richtig aus dem Knick kommenden „Wir bündeln alles, was wir haben“-Digitalangebot von Bertelsmann.

Es gibt noch ein zweites Indiz, das für die Beibehaltung der Digitalstrategie bei ProSiebenSat.1 spricht: Der Konzern hat eben erst seinen bisherigen Partner Discovery herausgekauft und führt Joyn seit diesem Monat allein. Beide Privatfernsehhälften, ProSiebenSat.1 wie RTL, leiden allerdings unter ein und demselben Dilemma. Ihre Klientel nimmt sie gewohnheitsgemäß als werbefinanziert wahr. Das heißt: umsonst. „Kund*innen, die eine Affinität zu RTL haben, stellen sich Free-TV vor“, sagt ein Branchenbeobachter. „Netflix dagegen hat schon immer extra gekostet.“ Angesichts der aktuellen Krisen sind die Medienbudgets bei vielen Haushalten begrenzter als vor der Pandemie. Die Münchner basteln bei Joyn zudem an Zusatzprodukten wie FAST, dem Free Ad-Supported Streaming TV, die den Markenkern nicht eben deutlicher machen.

Und was macht Berlusconi, außer mal wieder in Italien mitregieren? Branchenkenner gehen nicht davon aus, dass seine MFE dem ganzen Treiben einfach nur zuschaut. ProSiebenSat.1-Aufsichtsratschef Andreas Wiele soll sich laut Wirtschaftswoche in den letzten Monaten bereits mehrfach mit den MFE-Finanzer*innen getroffen haben. Allerdings könnten weitere Zukäufe durch MFE nach deutschem Medienkonzentrationsrecht schwierig werden.

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