Tischtennis-WM in Paris: Die Krux mit der Übermacht
Am Ende gewinnen immer die Chinesen. Die Deutschen träumen davon, dieses Diktum bei der Weltmeisterschaft in Paris außer Kraft zu setzen.
Werner Schlager ist der Grandseigneur der Tischtennis-Szene. Wo der mittlerweile 40 Jahre alte Österreicher auch auftaucht, in den Sporthallen rund um den Erdball schlägt ihm die größtmögliche Anerkennung entgegen. Die Liste der Gründe dafür ist lang. Er führte die Weltrangliste an, sammelte nationale und internationale Titel wie andere Schallplatten, er eröffnete federführend in seiner Heimat eines der modernsten Trainingszentren der Welt, galt zeit seiner Karriere als fairer und gewiefter Sportsmann. Und und und.
Das schlagkräftigste Argument für Schlagers Sonderstellung ist jedoch noch ein anderes: Er ist der letzte Europäer, gar der letzte Nicht-Chinese, der in seiner Sportart Einzelweltmeister werden konnte. Zehn Jahre ist das jetzt her. In Paris war das. Im Palais Omnisports.
Am Dienstag kehren die Welttitelkämpfe an ebenjenen Ort zurück. Nach Paris-Bercy. In den Palais Omnisports. Und mit ihnen der Jubilar Schlager. Zwar spielt der 49ste der Weltrangliste auch in fortgeschrittenem Alter noch einen sehenswerten Ball, seine inoffizielle Funktion aber ist dieses Mal eine andere: Er dient vor imposanter Kulisse als lebender Beweis dafür, dass der Wettkampf gegen die Übermacht China kein vollkommen aussichtsloser ist. Er ist nicht weniger als der personifizierte Glaube an eine sportliche Überraschung.
Dass es diese Zuversicht noch gibt, ist bei weitem nicht selbstverständlich. Die Spieler aus dem Reich der Mitte gewinnen seit einem Jahrzehnt alles, was es auch nur zu gewinnen gibt. Besonders die junge Generation an europäischen Topspielern kennt unterlegene Chinesen nur von staubigen VHS-Kassetten. Noch aussichtsloser gehen im Übrigen Europas Frauen auf die Jagd nach WM-Gold: Die letzte Weltmeisterin aus Europa war Angelica Rozeanu – 1955, in Utrecht.
Dominanz einer Bastion
In kaum einer anderen Sportart ist die Dominanz einer Nation so massiv wie im Tischtennis. Spanier verlieren im Fußball, Amerikaner im Basketball, Kanadier im Eishockey. Chinesen im Tischtennis eigentlich nie. Gesucht wird in den sieben Wettkampftagen von Paris also ein neuer Werner Schlager.
Der Europäer, der den übermächtigen Chinesen die lange Nase zeigt. Und gefunden werden könnte er in Deutschland: Mit Timo Boll und Dimitrij Ovtcharov entsendet der Deutsche Tischtennis-Bund (DTTB) die beiden besten Spieler seines Kontinents. Auf ihnen ruhen die Blicke und Hoffnungen Europas und Nicht-Chinas.
Außer seinen eigenen Akteuren sieht Deutschlands Herren-Bundestrainer Jörg Roßkopf „aktuell keine anderen europäischen Spieler, die den Chinesen gefährlich werden können“. Aus Roßkopf, einst selbst Widerständler gegen die übermächtigen Asiaten der 90er Jahre, spricht das Selbstvertrauen von zahlreichen Erfolgen der jüngsten Vergangenheit. Nie war das deutsche Männer-Tischtennis in der Spitze und in der Breite besser.
Neben dem ewigen Kapitän Boll, gefühlter hundertfacher Europameister, noch immer Nummer fünf der Weltbestenliste und mit 32 Jahren im besten Wettkampfalter, hat das auch ansonsten hochkarätig besetzte Team mit dem Siebtbesten der Welt, dem 24-jährigen Ovtcharov, eine zweite Speerspitze hinzubekommen. Der eine gewann bei der letzten WM vor zwei Jahren in Rotterdam Bronze, der andere bei den letzten Olympischen Spielen in London. Das sind mehr als achtbare Erfolge. Nur: Die Titel holten sich andere. Die Chinesen eben.
Die deutschen Athleten waren nie besser
Genau das ist die Krux an der Sache. Nicht nur die deutschen Athleten waren nie besser. Auch die Chinesen waren es womöglich nie. Und anders als bei den Olympischen Spielen, bei denen im Tischtennis nur zwei Starter eines Landes antreten dürfen, sind bei Weltmeisterschaften bis zu sieben Akteure einer Nation startberechtigt. Ein Kontingent, das die Chinesen voll ausschöpfen.
„Die Einzel-WM ist das anspruchsvollste Turnier. Uns erwartet die geballte asiatische Kraft“, sagt DTTB-Sportdirektor Dirk Schimmelpfennig. Soll heißen: Alle sieben chinesischen Männer sind potenzielle Weltmeister. Roßkopf sprach nach der Ziehung des Tableaus am Samstag sehr zufrieden von einer „guten Auslosung, bei der Timo und Dima im Normalfall das Viertelfinale erreichen sollten“. Bis dahin werden sie nicht auf Chinesen treffen. Danach mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schon. Dann geht es um die angestrebten Medaillen – oder im besten Fall gar um den WM-Titelgewinn.
Schlager verfolgt derweil die Entwicklung seines vielleicht hoffnungsvollsten Nachfolgekandidaten genau. Er sehe bei Ovtcharov „noch Defizite im mentalen Bereich, die bei einer Großveranstaltung überproportional gewichtet werden müssen“, sagte er jüngst dem Fachmagazin Tischtennis.
Der Deutsche wird Schlager vor den entscheidenden Partien von Paris aber sicherlich über den Weg laufen, um bei ihm persönlich einen finalen Rat ersuchen zu können. Dafür ist der Exweltmeister schließlich auch vor Ort – wenn er die Angelegenheit für den Alten Kontinent schon nicht mehr selbst erledigen kann.
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