Timoschenkos Präsidentschaftspläne: Buhrufe für „Jeanne d'Arc“

Trotz des verhaltenen Empfangs auf dem Maidan will Julia Timoschenko Präsidentin werden. Aber ihr Charisma verfängt nicht mehr wie einst.

Machtbewusst: Julia Timoschenko. Bild: dpa

BERLIN taz | Die Ergriffenheit war Julia Timoschenko deutlich anzumerken, als sie sich am Samstagabend von einer Bühne auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz und in einem Rollstuhl sitzend an die Massen wandte. „Ruhm der Ukraine, ihr alle seid Helden!“ und „Die Menschen sollen nicht umsonst gestorben sein!“, rief sie, forderte die Demonstranten dazu auf, weiter auf dem Maidan auszuharren, und kündigte auch gleich noch ihre Kandidatur für die vorgezogenen Präsidentenwahlen an.

Doch der Empfang dürfte für die 53-Jährige, die am Samstagmorgen nach mehr als zwei Jahren Haft das Gefängniskrankenhaus im ostukrainischen Charkiw hatte verlassen dürfen, eher ernüchternd gewesen sein. Die Menschen reagierten verhalten, auch Buhrufe wurden laut. Offensichtlich verfangen Charisma und rhetorische Fähigkeiten, die Timoschenko allen anderen ukrainischen Politikern voraus hat, nicht mehr wie früher.

Doch das ficht die ehemalige Regierungschefin genauso wenig an wie ihre angeschlagene Gesundheit. Die nicht zuletzt auch wegen ihres blonden Haarkranzes bisweilen zur Ikone stilisierte „Jeanne d’Arc der Ukraine“ will es noch einmal wissen.

Ambitioniert war Timoschenko immer schon. Nach dem Abschluss eines Wirtschaftsstudiums in Dnjepropetrowsk machte sie zunächst als Unternehmerin Karriere, zuletzt als Chefin des Energiekonzerns EESU (Vereinigtes Energiesystem der Ukraine). 1999 wurde sie Vizeregierungschefin mit der Aufgabe, den korrupten Energiesektor zu reformieren. Zwei Jahre später hatte sie sich mit dem damaligen Präsidenten Leonid Kutschma überworfen, wurde entlassen und saß kurz darauf einige Wochen in Untersuchungshaft.

Konflikte und persönliche Machtambitionen

2004 war Julia Timoschenko eine der treibenden Kräfte der sogenannten Orangen Revolution, die Präsident Wiktor Juschtschenko an die Macht brachte. In der Folgezeit war Timoschenko zweimal Regierungschefin, wobei die Allianz der beiden Politiker von Anfang an von Konflikten und persönlichen Machtambitionen überschattet war. Endgültig beendet war der Honeymoon 2010, nachdem Timoschenko Gaslieferverträge mit Russland im Alleingang ausgehandelt hatte.

Bei den Präsidentenwahlen im selben Jahr unterlag sie dem am letzten Samstag abgesetzten Staatschef Wiktor Janukowitsch. Am 11. Oktober 2011 wurde Timoschenko unter anderem wegen Amtsmissbrauchs und der Veruntreuung von Staatsgeldern in einem umstrittenen und international kritisierten Prozess zu einer siebenjährigen Haftstrafe verurteilt.

Nun ist sie wieder da. Noch ist unklar, welche Rolle Timoschenko künftig spielen wird. Klar ist jedoch: Mit dem, wie es der ehemalige Präsident Leonid Kutschma einmal formulierte, „einzigen Mann in der ukrainischen Politik“ wird zu rechnen sein.

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