Tim Renner über Musikfernsehen: „Es gibt zu wenig Wahnsinnige“

Am Samstag erraten Musikexperten in „Playlist“ auf Tele5 die Lieblingsmusik von Promis. Einer von ihnen ist der Ex-Universalchef Tim Renner.

Die „Playlist“ kommt: Smudo, Loretta Stern und Tim Renner. Bild: dpa/Tele5

taz: Herr Renner, MTV startete sein Programm Anfang der 80er Jahre mit dem Buggles-Song „Video killed the Radio Star“. Hat das Internet mittlerweile den TV-Musikvideo-Star gekillt?

Tim Renner: Das Musikfernsehen hat sich erst mal selbst gemeuchelt, als MTV und Viva unter den großen Ergebnisdruck gerieten und zu Klingeltonwerbungssendern wurden. Außerdem wurden die ganzen Realityformate aus den USA übernommen. Damit hat sich das Musikfernsehen selbst an den Rand manövriert. Das Internet hat ihm dann nur den letzten Schubs gegeben.

Und was bedeutet das für die Musikbranche?

Es ist mittlerweile völlig irrelevant, ob irgendwas bei Viva oder MTV auf Rotation läuft. Heute ist viel wichtiger, wie die Abrufzahlen eines Clips bei Youtube und Co. sind. Aber am ärgerlichsten ist, dass sich die Öffentlich-Rechtlichen zu größten Teilen aus dem Musikfernsehen zurückgezogen haben. Ich halte das für unklug und töricht.

Warum?

ARD und ZDF haben Menschen wie mich einst mit Sendungen wie „Disco“, „Musikladen“ und „Formel eins“ gefangen. Um Sendungen wie „Rockpalast“ zu gucken, hat man sich sogar mit seinen Freunden getroffen.

48, begann im Mediengeschäft als Moderator (NDR) und Autor (Tango, Tempo), wurde 2001 Geschäftsführer von Universal Music Deutschland, stieg dort 2004 aus und gründete die Firma Motor (Label, Magazine, Blogs, TV-Shows).

Und jetzt wird auch noch ZDFkultur eingestellt, wo Sie ja die Musiksendung „Berlin live“ produziert haben.

Es war schon keine gute Idee, die Hauptkanäle von ARD und ZDF von Popkultur freizuräumen und die auf die Nebenkanäle zu schieben. Aber besser auf einem Nebenkanal als auf gar keinem Kanal. Schade, dass es jetzt mit ZDFkultur nicht weitergeht.

Bei diesen Voraussetzungen jetzt bei Tele5 mit einer Musiksendung an den Start zu gehen, wirkt arg antizyklisch.

Ja, und? Die Musikverbreitungsform, die prozentual am stärksten wächst, ist nicht – wie zumeist angenommen – das Streaming, sondern das Vinyl. Auf der einen Seite hast du halt die digitale Bewegung und auf der anderen die Gegenbewegung, die ein umso haptischeres Produkt will. Ähnliches sehe ich beim Fernsehen: Klar nimmt die Verbreitung von Videoclips über Videoseiten und Social Media wahnsinnig zu. Aber es gibt für klassisches Musik-TV immer noch einen Markt.

Auch bei Tele5?

Gerade da. Wenn man sich anschaut, was dort mit Benjamin von Stuckrad-Barre und Oliver Kalkofe stattfindet, ist das doch ZDFkultur mit privaten Mitteln. Aber bei Ihren Fragen schwingt ja mit, ob dieses Antizyklische nicht ein bisschen wahnsinnig ist? Ja, Tele5-Geschäftsführer Kai Blasberg ist bis zu einem gewissen Grad wahnsinnig. Aber davon gibt es im Entertainmentgeschäft eh viel zu wenige.

Stefan Raab predigt ja das Credo, dass wenn ihm jemand sage, dass der Markt zu sei, dann mache er es erst recht. Treibt das auch Sie an, es noch mal mit Musikfernsehen zu versuchen?

Alles geht, wenn man es lange genug versucht. Außerdem sind die Voraussetzungen für eine Show wie „Playlist“ heute viel besser als früher, weil meine Generation von Kindesbeinen an popkulturell sozialisiert wurde, sehr interessiert ist und anders als unsere Elterngeneration nicht damit angefangen hat, ihre Rock-’n’-Roll-Sozialisation bei höherem Bildungsstand gegen Jazz und Klassik zu tauschen oder bei niedrigerem Bildungsstand gegen Volksmusik und Schlager.

Wenn jemand Ihnen eine Playlist vorgelegt hat, auf der Volksmusik und Schlager standen, haben Sie dem dann auch gesagt, dass das von einem geringen Bildungsgrad zeugt?

Vielleicht nicht in der Deutlichkeit, aber wir drei, die das analysieren, versuchen schon immer deutlich zu machen, was wir von der Auswahl halten.

Sie sollen anhand der Playlist die Person erraten, die dahinter steckt. Gibt es einen Hinweis, wie Geschlecht oder das Alter?

Das verrät sich von selbst. 90 Prozent der Leute beginnen solch eine Liste mit Liedern aus ihrer Kindheit. So hat man ziemlich schnell das Alter raus. Auch ob Mann oder Frau, errät man meist schnell. Nur bei Sportlern ist das schwierig, die achten fast nur auf Rhythmik. Bei der Playlist von Thomas Helmer hab ich darauf getippt, dass das ein homosexueller Mann sein müsste – oder einer, den irgendwas daran hindert, sich zu outen. Beides hat er verneint.

„Playlist“, Samstag, 19.45 Uhr, Tele5

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