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TikToks politische MachtBunt blinkende Geopolitik

In „TikTok Time Bomb“ erzählt die Investigativjournalistin Emily Baker-White, wie aus einer Tanz-App ein Faktor für die Weltpolitik wurde.

Der TikTok-Präsident: Trump garantierte durch eine Verordnung die Zukunft der umstrittenen Plattform in den USA Foto: Alex Brandon/AP/dpa

Willkommen zurück! Danke für eure Geduld und eure Unterstützung. Dank Präsident Trumps Anstrengungen ist Tiktok zurück in den USA!“, begrüßt die Video-App am 19. Januar 2025 ihre US-amerikanischen Nutzer:innen.

Um einem landesweiten Verbot zuvorzukommen, war Tiktok nur wenige Stunden zuvor auf eigene Initiative abgeschaltet worden. Knapp 170 Millionen US-Amerikaner:innen waren von der Nutzung ausgesperrt. Dass Donald Trump einen Tag vor Amtsantritt als 47. Präsident der Vereinigten Staaten noch keinerlei rechtlich bindende Befugnis hatte, um auch nur die kleinste politische Entscheidung zu treffen, ist nur eine der unzähligen großen und kleinen Ungereimtheiten, denen die Autorin Emily Baker-White in ihrem neuen Buch „TikTok Time Bomb. Die dunklen Machenschaften hinter der mächtigsten App unserer Zeit“ detailliert nachspürt.

Seit 2022 beschäftigt sich die Investigativreporterin für das amerikanische Wirtschaftsmagazin Forbes mit Tiktok, dem weltweit bekanntesten Aushängeschild des chinesischen Tech-Giganten ByteDance. Ihr Buch basiert auf Interviews mit knapp 150 Menschen auf vier Kontinenten, Audioaufzeichnungen aus über 80 internen ByteDance-Meetings, internen Chatprotokollen, Dokumenten sowie weiteren Geschäftsunterlagen. Das liest sich teilweise spannend wie ein Polit-Thriller. Vorausgesetzt, man bringt ein Mindestmaß an Interesse und Verständnis für Technologieentwicklung und (digitale) Zeitgeschichte mit. Und lässt sich nicht von dem einen oder anderen deep-dive in die Gepflogenheiten der US-Politik sowie allzu detaillierten Personenbeschreibungen abschrecken.

Um zu verstehen, warum eine Social-Media-App zwei US-Präsidenten über drei Amtszeiten hinweg beschäftigt hält, lohnt ein Blick zurück ins Jahr 2017. Es ist die Zeit der internationalen Markteinführung von Tiktok, das bereits seit dem Vorjahr in China unter dem Namen „Douyin“ auf dem Markt ist. Es auch das Jahr, in dem die chinesische Regierung ein neues Sicherheitsgesetz verabschiedet, demzufolge alle chinesischen Staats­bür­ge­r:in­nen sowie jedes chinesische Unternehmen vom Staat dazu verpflichtet werden kann. Spionage zu betreiben und dies im Zweifel leugnen muss.

Datenabfluss nach China

Die CEOs von Tiktok und ByteDance werden seitdem zwar nicht müde zu beteuern, dass sie keinesfalls mit der chinesischen Regierung zusammenarbeiten. Trotzdem haftet beiden Unternehmen seither der Nimbus an, es eben doch zu tun. Die Fälle von Zensur, Datenabfluss nach China bis hin zu Berichten über das Verschwindenlassen kritischer Angestellter, die Emily Baker-White recherchiert hat, sprechen dabei nicht gerade für die Glaubwürdigkeit der Tech-Firmen. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass die Autorin sowie eine britische Journalistin selbst ins Fadenkreuz gerieten und von ByteDance ausspioniert wurden.

Dennoch entwickelte sich Tiktok zu einem Erfolgsprodukt, das bereits im Frühjahr 2020 auf mehr als zwei Milliarden Geräten weltweit installiert war. Der New York Times zufolge sollten fortan „Wirtschaft, Unterhaltung, Nachrichten, Aktivismus und soziale Netzwerke nie mehr dieselben sein“. Baker-White bezeichnet es als den Zeitpunkt, an dem Gründer Zhang Yiming sein Ziel erreicht habe. „Seine App war Teil der Popkultur geworden, und sie war Thema der Debatten in den nationalen Medien und auf höchster Regierungsebene.“

Letzteres bedeutete auch, dass die Kritik nicht abebbte. Bereits in seiner ersten Amtszeit wollte Trump die App aus Sorge um die nationale Sicherheit verbieten. Er ging bei der rechtlichen Prüfung aber dermaßen nachlässig vor, dass es den Unternehmen und ihren Lobbyisten nicht schwerfiel, Bedenken aus dem Weg zu räumen und Gesetzeslücken für sich zu nutzen. Unter seinem Nachfolger Joe Biden stand eine staatlich verfügte Veräußerung von Tiktok in den USA vom Mutterkonzern ByteDance beziehungsweise ein Verbot der App kurz bevor. Die Frist zur Umsetzung des von Kongress und Senat beschlossenem „Protecting Americans from Foreign Adversary Controlled Applications Act“ fiel auf Bidens letzten Tag als Präsident. Exakt auf jenen 19. Januar 2025, an dem der gewählte nächste Präsident Trump verkündete, sich unverzüglich für den Erhalt der App einzusetzen.

In der Hand von Trump-Freunden

Seit seinem Amtsantritt hat Donald Trump diese Frist mehrfach verlängert. Baker-Whites nüchternes Fazit: „Tiktok hatte sich als zu groß für ein Verbot und zu groß für kein Verbot herausgestellt.“ Im Gespräch ist derzeit, dass ein Konsortium um die beiden Milliardäre Larry Ellison und Marc Andreessen, beide überzeugte Trump-Anhänger, 80 Prozent der Tiktok-Geschäfte in den USA übernimmt. Nutzerdaten würden zwar künftig ausschließlich in Rechenzentren im Land gespeichert, die Kontrolle über den mächtigen Algorithmus der App wird aber weiter zum großen Teil in China liegen.

TikTok Time Bomb

Emily Baker-White: „TikTok Time Bomb. Die dunklen Machenschaften hinter der mächtigsten App unserer Zeit“. Piper, München 2025, 425 S., 25 Euro

Emily Baker-Whites Buch bietet umfangreiche Einblicke in die Genese einer der erfolgreichsten wie umstrittensten Social-Media-Apps unserer Zeit. Sie zeichnet nach, wie es zu Trumps 180-Grad-Wende im Umgang mit der Videoplattform kam und welche Rolle sein Hass auf Mark Zuckerberg dabei spielt. Und sie ruft in Erinnerung, dass hinter den bunt blinkenden Oberflächen der Big-Tech-Produkte noch immer ein erheblicher geopolitischer Machtfaktor steckt.

Mal im Ernst: Wer hätte 2017 schon gedacht, dass ausgerechnet Tiktok, auf dem größtenteils Teenager Videos davon teilten, wie sie lippensynchron zu Popmusik sangen, eines Tages „einen neuen Kalten Krieg entfachen und das Gleichgewicht der digitalen Macht zwischen den USA und China neu justieren“ würde?

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