Tierschutz-Aktion vor dem Roten Rathaus: Nach 96 Stunden kettenfrei
Der Tierschutzaktivist Heiko Raisch hat seinen Protest beendet. Weil sein Zug wartet. Seit Sonntag war er am Roten Rathaus angekettet.
BERLIN taz | Es sind bereits 94 Stunden vergangen, und immer noch sitzt Heiko Raisch am Donnerstagmorgen angekettet am Zaun des Roten Rathauses. Da sitzt er, seitdem sich nach dem Animal Rights March am Sonntag neun Aktivist*innen vom Aktionsbündnis „Direct Action Everywhere“ dort an den Zaun gekettet hatten. Acht davon befreiten sich früh, zwei aus gesundheitlichen Gründen. Heiko Raisch blieb sitzen.
Er fordert Grundrechte für alle Tiere. Wie er das erreichen möchte? „Indem ich mich wie ein Tier ankette“, sagt er und deutet auf die Kette um seinen Hals. „Ich möchte für die Tiere sprechen, sie können das ja nicht.“ Um den Forderungen Nachdruck zu verleihen, haben die Aktivist*innen ihre Schlüssel zu den Kettenschlössern an Politiker*innen geschickt.
Diese sollten sie persönlich aufschließen. Doch das passierte nicht. Heiko Raisch hat das auch so erwartet, er forderte deshalb ein Statement von einem Sprecher, egal ob Polizei oder Politik, dass man sich nicht äußern wolle. „Das würde untermalen, dass es die Politik nicht interessiert“, sagt Raisch. Ihm gehe es vor allem um Aufmerksamkeit. Ein Mitstreiter schießt Porträts und filmt Statements. Lediglich als sich Raisch ein Einmachglas greift, um Wasser zu lassen, dreht der seine Kamera weg.
Berliner*innen bringen Raisch und den Aktivist*innen um ihn herum Getränke und Essen. „Wie kann ich euch helfen?“, ruft eine mit einer Papptüte winkende Anwohnerin. Sie hat Kaffee mitgebracht. „Kaffee ist in meiner Situation nicht so gut“, sagt Raisch und deutet auf das Einmachglas. „Aber Socken wären toll, meine sind durch.“
Einer anderen Passantin mit Plastiktüte ist die Aktion zu laut: „Müsst ihr hier wirklich die ganze Zeit rumschreien?“, fragt sie. Das Rote Rathaus sei ungeeignet für politische Proteste. „Ich zahle doch schon genug Miete, geht doch bitte woanders hin“, legt sie den Aktivist*innen nahe.
Schwellungen und Zugfahrt beenden den Protest
„Ich möchte für die Tiere sprechen, sie können das ja nicht.“
Da antwortet ein Aktivist, dass die Aktion sowieso bald abgebrochen werde. Denn Raisch muss nach England. „In zwei Stunden fährt mein Zug“, sagt er. Die Tickets seien schon gebucht, es gehe zu einem veganen Festival in der Nähe Londons. Wegen schlimmer werdender Schwellungen am Hals hätte er seine Aktion aber so oder so am Donnerstag abgebrochen.
Um Punkt 12 Uhr rollt ein Polizeiauto vor. Raisch fragt nach dem Statement. Der Polizist zuckt ratlos mit den Schultern, bietet Raisch aber den Schlüssel an. Bereits am Dienstag hatte die Polizei der taz mitgeteilt, dass sie die Aktion nicht räumen werde, da sie den Rathausbetrieb nicht störe.
Um 13 Uhr hält Raisch sein Abschlussstatement. Er kritisiert die untätige Politik, lobt die friedliche Polizei und winkt dem wartenden Polizeiauto zu. Die Polizisten übergeben den Schlüssel, eine Aktivistin befreit Heiko Raisch unter Applaus. Um 13.07 Uhr kann er nach 96 Stunden wieder laufen. Er streckt sich und marschiert ins Rote Rathaus. Um endlich wieder eine richtige Toilette zu benutzen.
Leser*innenkommentare
wirklich wahr?
Ein Viertel der Ostdeutschen wählt rechtsextrem und erkennt somit Grundrechte anderer Menschen nicht an.
Vlt wäre es sinnvoller seine Energie anderweitig einzusetzen?
Anketten vor der AFD Zentrale oder so?
Ramgni
@wirklich wahr? Worauf warten Sie? Fangen Sie doch damit an! Aber hören Sie bitte damit auf anderen zu erklären, wo diese ihre Energie besser einsetzen könnten. #whataboutism
88181 (Profil gelöscht)
Gast
Welches Grundrecht soll denn bitte wie auf Tiere angewendet werden?
Martin Müller
@88181 (Profil gelöscht) Hi Jim,
es geht um fundamentale Rechte, also
- das Recht auf Leben
- das Recht auf Unversehrtheit
- das Recht auf Freiheit
Alle diese Rechte werden bestimmten Tieren in unserer Gesellschaft (wir nennen sie "Nutztiere") verweigert.
Viele Grüße,
Martin
88181 (Profil gelöscht)
Gast
@Martin Müller und @KINDISCHKAISERIN
Mal gehässig gefragt, müsste man dann nicht den Löwen verklagen, der das Zebra reißt?
Und wie jemandem Freiheit geben, der gar keinen Begriff davon hat?
Kati n Kage
@88181 (Profil gelöscht) Ich finde nicht, dass diese Frage "strunzdumm" ist sondern sehr relevant. Dennoch stimme ich @geronymo zu: Ein Löwe handelt instinktiv aus seiner Notwendigkeit heraus, sich zu ernähren und hat keine Wahl. Wir indes haben die Wahl: Wenn wir Tiere nicht ausbeuten und töten müssen, warum tun wir es dann trotzdem? Freiheit wie wir es verstehen, können Tiere vielleicht nicht, dennoch: Sie können unterscheiden zwischen einem Leben in Freiheit oder in Gefangenschaft, sie würden immer ersteres wählen, wenn sie könnten. Wenn ich jemanden, der geistig behindert ist und das Konzept von Freiheit auch nicht versteht, versklave und ausbeute, ist es dann auch ok, weil er es nicht versteht? Das wäre die konsequente Schlussfolgerung.
Geronymo
@88181 (Profil gelöscht) Die Fage ist nicht nur gehässig sondern auch noch strunzdumm. Ein Löwe hat keine Alternativen, ein Mensch sehr wohl. Was den Begriff von Freiheit angeht: Tier leiden unter dem Eingesperrtsein. Reicht das?
kindischekaiserin
@88181 (Profil gelöscht) .. .wir könnten beim recht auf körperliche unversehrtheit ansetzen. ich stelle mir vor, wie dies sogar ganz problemlos anwendbar wäre.. .