piwik no script img

Tierpfleger über seine Arbeit„An jedem Pfau hängt mein Herzblut“

Mirko Wunderlich kümmert sich seit 14 Jahren um die namensgebenden Tiere auf der Berliner Pfaueninsel. Er kennt auch alle Pfauen persönlich.

Tierpfleger Mirko Wunderlich auf der Pfaueninsel Foto: Toni Petraschk

Interview von

Plutonia Plarre

taz: Herr Wunderlich, Sie haben den Ruf, ein Pfauen-Versteher zu sein. Was ist Ihr Geheimnis?

Mirko Wunderlich: Ich schätze mal, das liegt an meiner Ausstrahlung. Die Tiere spüren das (lacht).

taz: Haben Sie die einfach so?

Wunderlich: Ich bin auf einem Bauernhof groß geworden. Landwirtschaft, Natur und Tiere waren immer ein fester Bestandteil in meinem Leben. Ich habe da viel gelernt. Man könnte es auch Respekt und Einfühlungsvermögen nennen. Bei historischen Arten wie den Pfauen ist allerdings besondere Sensibilität gefragt.

Im Interview: Mirko Wunderlich

Der Mensch

Mirko Wunderlich wird 1969 in Genshagen/Brandenburg geboren. Er wächst auf dem Bauernhof seiner Eltern auf und hilft beim Gemüseanbau und der Aufzucht von Schweinen und Bullen mit. In dem volkseigenen Betrieb Gut Großbeeren lernt er Facharbeiter für Landwirtschaft. Nach der Wende erwirbt er den Meistertitel und macht sich in Genshagen mit 380 Hektar Land und einem Reiterhof selbstständig. 2007 stirbt seine Frau. Er verkauft das Anwesen und wird Kundenbetreuer in dem Autohaus Audi in Potsdam. Seit 2011 ist er Tierpfleger auf der Pfaueninsel.

Die Pfaueninsel

Das 67 Hektar große Eiland in der Havel steht unter Naturschutz und gehört zum Unesco-Weltkulturerbe. Das dort stehende Lustschlösschen ließ König Friedrich Wilhelm II. 1794 für seine Geliebte, die spätere Gräfin Lichtenau, bauen. Der spätere General-Gartendirektor der königlich-preußischen Gärten, Peter Joseph Lenné, ließt die Insel ab 1821 zu einem Landschaftsgarten umgestalten. Die Pfaueninsel ist ganzjährig geöffnet. Mit einer Spende von 200 Euro kann eine Patenschaft für einen der freilebenden Pfaue übernommen werden.

taz: Warum?

Wunderlich: Diese Tiere sagen nicht, „ich bin krank“. Sie vertuschen das so weit wie möglich. Denn wenn sie es zeigen würden, würde es auch der Fuchs spüren. Deswegen hat die Natur es so eingerichtet, dass sie versuchen, das zu überspielen. Du merkst es nur an Blicken oder Gesten.

taz: Zum Beispiel?

Wunderlich: Dass sie das Gefieder besonders aufplustern oder mit dem Kopf zu sehr zucken. Daran erkennt man, ob sie Hilfe brauchen.

taz: Die Pfaueninsel ist ein 67 Hektar großes Naturparadies in der Berliner Havel, das von der Stiftung preußische Schlösser und Gärten verwaltet wird. In einem Team von drei Leuten, die für die Tiere verantwortlich sind, sind Sie der Chef.

Wunderlich: Ich bin hier der leitende Tierkümmerer. Wir haben ja nicht nur Pfaue, sondern auch Fasane, Hühner, Pferde, Schafe und vier Wasserbüffel. Letztere verbringen aber nur ein Teil des Jahres auf der Insel.

taz: Die meisten Besucher kommen wegen der Pfaue. Wie viele gibt es auf der Insel?

Wunderlich: Aktuell haben wir über 70 frei lebende Pfaue. In der Mehrzahl sind das Blaupfaue, aber wir haben auch neun weiße Pfaue. Das ist eine besondere Züchtung, wohlgemerkt keine Albinos.

taz: Kennen Sie jedes Tier?

Wunderlich: Natürlich! Wir haben sie von klein auf hochgepäppelt und in die Selbstständigkeit geführt. Jedes Tier hat seine Eigenheiten und Macken. Ob das bei dem weißen Pfau eine schwarze Feder im Brustbereich ist, beim Blaupfau eine krumme Kralle, oder ob er sofort vertraut ankommt. Wir sorgen dafür, dass sie im Leben klarkommen, wie jedes Elternteil bei seinen Jungen auch. Deswegen hängt an jedem einzelnen Pfau mein Herzblut.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

taz: Sie sind seit 14 Jahren auf der Insel tätig. Die Stelle war vermutlich heiß begehrt.

Wunderlich: Es gab viele Bewerbungen. Von dem Zeitpunkt, wo ich mich beworben habe, bis zu dem Anruf der Stiftung – „Wir würden Sie gerne näher kennenlernen“ – sind anderthalb Jahre vergangen. Ich saß da an meinem Schreibtisch und dachte „Juhu!“

taz: Schreibtisch? Wir hätten Sie eher im Stall verortet.

Wunderlich: Da war ich davor zur Genüge. Ich bin in der DDR groß geworden, meine Eltern hatten eine kleine Nebenerwerbslandwirtschaft von 22 Hektar in Genshagen in Brandenburg. Von klein auf habe ich mitgearbeitet. Auch nach Feierabend, als ich meine landwirtschaftliche Lehre in dem Volkseigenen Betrieb Gut Großbeeren gemacht habe. Nach der Wende habe ich mich in Genshagen als Meister der Landwirtschaft selbstständig gemacht.

taz: Da waren Sie 22.

Wunderlich: Mit 380 Hektar Landwirtschaft, einer Reithalle und 85 Pensionspferden. Nach dem Tod meiner Frau habe ich dann ein sehr lukratives Kaufangebot bekommen und mich entschlossen, in eine ganz andere Richtung zu gehen.

taz: Sie sind zum Schreibtischtäter geworden?

Wunderlich: Könnte man so sagen. Beim Kundendienst von Audi in Potsdam habe ich mein technisches Wissen eingebracht. Als telefonischer Berater, bevor der Pannenwagen losgeschickt wird. Das sind Kunden, die den Tankdeckel nicht mehr öffnen konnten, oder den Kofferraum. Oder der Schlüssel liegt im Innenbereich. Wie man dort rankommt? Ob es eine Notöffnung gibt?

taz: Auch da war Ihr Einfühlungsvermögen gefragt.

Wunderlich: Stimmt. Nicht immer rufen Kunden an, die ruhig und gefasst sind. Danach bin ich intern versetzt worden zur Kundenbetreuung für Problemfälle. Der Job hat Spaß gemacht, aber die Aussicht, immer in der Natur zu sein und vor allen Dingen bei den Tieren, hat mich dann doch mehr gereizt.

taz: Gewähren Sie uns doch bitte mal einen kleinen Einblick in Ihre Welt der Pfaue.

Wunderlich: Der größte Teil unserer Pfaue läuft auf der Insel frei herum. Auch nachts und im Winter. Die Hähne haben in der Balz feste Reviere, die sie in dieser Zeit gegen andere Männer verteidigen. Sie haben ein grünblaues Federkleid und eine Schleppe, die sie zu einem Rad aufrichten können. Das ist prachtvoll anzusehen, wenn die Sonne die Farben zum Schimmern bringt und die einzelnen „Pfauenaugen“ vibrieren.

taz: Was ist der Sinn des Rades?

Soll die Weibchen beeindrucken: Pfauenfeder Foto: Toni Petraschk

Wunderlich: Die Hähne posieren, weil sie sich fortpflanzen wollen. Das ist nicht anders als bei den Menschen. Nach der Paarungszeit wird die Federschleppe abgeworfen.

taz: Und was machen die Hennen derweil?

Wunderlich: Die marschieren im Trupp über die Insel und suchen sich den besten Hahn aus. Wenn sie merken, jetzt wird es Zeit, Eier zu legen, bauen sie sich irgendwo im Dickicht ein Nest.

taz: Pfaue sind Bodenbrüter.

Wunderlich: Deshalb ist die Aufzucht von Küken auf der Pfaueninsel in freier Natur auch so schwierig. Die Henne sitzt 28 Tage auf dem Gelege, sie brütet die Eier alleine aus. Sie hat ein braunes Federkleid, um nicht im Unterholz erkannt zu werden, aber der Waschbär schafft es regelmäßig, die Eier zu fressen. Schlimmstenfalls reißt er dazu auch die Henne. Aber selbst wenn alles gut gegangen ist: Spätestens, wenn die Henne mit den Küken läuft, kriegt es der Fuchs mit und holt sich die Kleinen.

taz: Heißt das, von Ihren freilebenden Pfauen kommt kein einziger Nachkömmling durch?

Wunderlich: Aktuell ist das leider so. Deshalb müssen wir die Lücke durch künstliche Aufzucht schließen.

taz: Wie machen Sie das?

Wunderlich: In unserer Aufzuchtstation haben wir dafür Zuchttiere. Die Eier dieser Hennen brüten wir in einem Inkubator künstlich aus. Nach einem Tag in der Wärmestube kommen die Küken in einen beheizten Käfig, wo sie laufen und scharren können, man sie aber noch unter Beobachtung hat. Danach geht es in den kleinen Kindergarten und dann in den großen Kindergarten in der historischen Voliere.

taz: Die historische Voliere wurde 1824 auf Anordnung des damaligen preußischen König Friedrich Wilhelm III. angelegt.

Wunderlich: Sie war Teil einer Menagerie. Schon unter König Friedrich Wilhelm II wurden die Pfaue 1795 auf die Insel geholt und haben ihr den heutigen Namen gegeben. Sie stammen ursprünglich aus Südasien, insbesondere aus Indien. Aber wir waren gerade beim Kindergarten …

taz: … genau. Was passiert danach?

Wunderlich: Spätestens Ende November werden die Junghähne auf der Insel freigelassen. Die Hennen überwintern noch in der Voliere.

taz: Wenn Sie den Käfig öffnen – ist das ein emotionaler Moment?

Wunderlich: Das ist ein freudiger Tag. Wir machen die Freilassung in einer Schönwetterperiode. An der historischen Voliere halten sich dann viele erfahrene Althähne auf, die Jungtiere können sich ihnen anschließen. Nachts müssen sie ja zum ersten Mal in ihrem Leben aufbaumen.

Wenn ich in dieser Zeit morgens zur Voliere komme, habe ich immer ein bisschen Angst. Ob man Rissstellen sieht vom Fuchs

Was bedeutet das?

Wunderlich: Pfaue schlafen in Gruppen hoch oben in den Bäumen. Abends fliegen sie nacheinander hinauf. Wenn ich in dieser Zeit morgens zur Voliere komme, habe ich immer ein bisschen Angst. Ob man Rissstellen sieht vom Fuchs. Vielleicht war unter den Jungtieren ein Träumer dabei, einer, der den Anschluss nicht geschafft hat. Und das sehen wir dann an herumliegenden Federn und Knochenresten. Das ist sehr schmerzhaft.

taz: Sie lieben Ihre Tiere sehr, oder?

Wunderlich: Schon ganz schön, ja. Auch wenn man das nicht vergleichen kann: Es ist wie ein Kind, das man verloren hat. Allein in diesem Jahr sind 23 erwachsene Pfaue gerissen worden. So viel wie noch nie.

Kriegen Sie da nicht einen Hals auf die Füchse?

Wunderlich: Ja, aber sobald ich in den Spiegel gucke, fällt mir ein, auch der Fuchs hat Welpen und die müssen auch versorgt werden. Das hilft einem, es positiver zu sehen.

taz: Wie kommen die Beutegreifer auf die Insel?

Wunderlich: Die Füchse laufen im Winter vom Festland über das Eis. An der Südseite, wo keine Berufsschifffahrt die Insel flankiert und die Havel nur wenige 100 Meter breit ist, gefriert das Wasser relativ schnell. Die Waschbären schwimmen sogar zur Insel.

taz: Fallen aufzustellen ist keine Option?

Wunderlich: Nein. Wir können weder den Fuchs- noch den Waschbärbestand reduzieren, denn wir sind Stadt Berlin. Nur die Stadtjäger dürften das in Ausnahmefällen. Aber das Wichtigste ist, wir sind Naturschutzgebiet. Von der Stiftung her haben wir es uns auf die Fahnen geschrieben: Solange das Raubwild nicht in die Volieren eindringt, lassen wir der Natur ihren freien Lauf.

taz: Wohnen Sie selbst auf der Insel?

Wunderlich: Nein. Als ich hier angefangen habe, wurde mir das angeboten. Es gibt hier ja neun Wohneinheiten für Angestellte und ehemalige Mitarbeiter der Stiftung.

taz: Warum haben Sie das ausgeschlagen?

Wunderlich: Egal welchen Besuch ich bekomme und wie lange der bleibt – der Fährmann weiß alles (lacht).

taz: Man hat keine Privatsphäre?

Wunderlich: Genau. Außerdem bin ich ein Mensch, der dann immer bei den Tieren wäre. Auch nachts, wenn ein Tier erkrankt ist. Ich wohne nur 15 Minuten weg in Potsdam. Aber sobald ich von der Fähre runter bin, habe ich Feierabend. Es sei denn, irgendwelche Anrufe von besorgten Besuchern kommen: Da liegt ein Tier irgendwo, das quält sich. Und dann kommst du hin und es ist ein Pfau, der sich nur in der Sonne räkelt, oder ein Schaf, das einfach schläft.

taz: Wenn Sie merken, ein Pfau ist wirklich krank – was tun Sie da?

Wunderlich: Vieles versuche ich auf natürlicher Ebene auszukurieren. In den letzten vier Jahren haben wir kein Antibiotikum mehr benötigt. Gerade bei Wehwehchen, an denen viele Züchter scheitern und die zum Tod der Pfaue führen, lässt sich mit Kräuterbehandlungen viel machen. Auch durch eine Futterumstellung ist der Gesundheitszustand unserer Pfaue viel besser geworden. Wenn man Pfaue nur Torte im übertragenen Sinn gibt, ist die Gefahr von Organverfettung und damit die Anfälligkeit für Krankheiten sehr hoch. Jetzt schaffen wir, dass sie wirklich auch alt werden.

taz: Was heißt das?

Wunderlich: Laut Google beträgt die Lebenserwartung von Pfauen 10 bis 20 Jahre in der Volierenhaltung, die meisten sterben deutlich früher an Luxusproblemen. Unser ältestes Tier ist 19 Jahre. Der Hahn läuft frei auf der Insel herum und ist putzmunter.

taz: Woher haben Sie das ganze Wissen?

Wunderlich: Durch Studien und auch Berichte von anderen Züchtern. Mittlerweile bin ich derjenige, der nach Tipps gefragt wird. Selbst aus Dubai habe ich schon Anrufe von Züchtern bekommen. Ich teile meine Erfahrung gerne.

taz: Was auf der Pfaueninsel gehört für Sie zu den schönsten Momenten?

Wunderlich: Am Fährhaus steht eine hohe uralte Eiche. Auf der schlafen im Winter über 20 Pfaue. Morgens schweben sie dann hinab in Richtung des Rosengartens. Zeit zum Aufstehen, heißt das. Einer beginnt, die anderen gleiten hinterher. Das ist ein wunderbarer Anblick.

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare