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Thüringens Nein zum BeherbergungsverbotProbe für Strategie des Bundes

Michael Bartsch
Kommentar von Michael Bartsch

Steigen in Thüringen bald die Infektionszahlen, wird man sich dort korrigieren müssen. Andernfalls wird das Verbot als Überreaktion erscheinen.

Auch Touristen aus inländischen Coronagebieten dürfen weiterhin den Thüringer Wald besuchen Foto: Karina Hessland/imago

B odo Ramelow ist ein solcher Dickschädel und apodiktisch argumentierender harter Hund, dass man ihm kein opportunistisches Handeln unterstellen mag. Wenn der Thüringer Ministerpräsident jetzt wie vier weitere Bundesländer auch das Beherbergungsverbot für Gäste aus inländischen Coronarisikogebieten ablehnt, tut er es aus Überzeugung.

In Übereinstimmung mit dem Infektionsschutzgesetz liege die Verantwortung für die Anordnung von Corona­schutzmaßnahmen bei den regionalen Gesundheitsämtern, argumentiert Ramelow. Er verstehe nicht, warum kollektiv alle Bürger eines Landkreises nicht beherbergt werden dürften, „die mit dem Hotspot nichts zu tun haben“. Hotel- und Gaststättenbesitzer würden außerdem mit Erfassungsaufgaben belastet, die eigentlich Polizei und Ordnungsämtern obliegen.

Diese Haltung mag populär sein wie die gesamte bisherige Thüringer Pandemiestrategie, populistisch aber ist sie nicht. Hätte die Linke angesichts ihres Umfrage-Höhenflugs mit Blick auf die im kommenden April anstehenden Landtagsneuwahlen auch nicht nötig. Es entspricht außerdem der Kontinui­tät des bisherigen Thüringer Verhaltens. Mit der relativ frühen Öffnung von Schulen und Kindergärten verfolgte Rot-Rot-Grün in Thüringen eine ähnliche Strategie des „ermöglichen statt verbieten“ wie das CDU-geführte Sachsen.

Auch jetzt kommt Unterstützung von CDU-Fraktionschef Mario Voigt, der einen „innerdeutschen Grenzverkehr“ ablehnt. Anders als die Union muss die erfolgreiche Thüringer Linke allerdings auch keine Rücksicht auf ihre Bundespartei nehmen.

Der Sonderweg Thüringens und vier weiterer Länder stellt die Linie in Bund und Ländern auf die Probe. Steigen durch vermehrten Gästezustrom die Infektionszahlen, werden sich die Abweichler korrigieren müssen. Hält aber Thüringen seinen niedrigen Stand von nur rund 300 akut Infizierten, wird das Beherbergungsverbot als Überreaktion erscheinen.

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Michael Bartsch
Inlandskorrespondent
Seit 2001 Korrespondent in Dresden für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Geboren 1953 in Meiningen, Schulzeit in Erfurt, Studium Informationstechnik in Dresden. 1990 über die DDR-Bürgerbewegung Wechsel in den Journalismus, ab 1993 Freiberufler. Tätig für zahlreiche Printmedien und den Hörfunk, Moderationen, Broschüren, Bücher (Belletristik, Lyrik, politisches Buch „System Biedenkopf“). Im Nebenberuf Musiker.
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3 Kommentare

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  • Jegliche Diskussion über das sogenannte Beherbergungsverbot ist völlig sinnfrei. Der erste Hotelier oder Reisende, der dagegen vor dem Verwaltungsgericht klagt, wird Recht bekommen, da die Maßnahme weder ausreichend noch geeignet ist, irgendwelche Infektionen zu verhindern.

  • Laut Herrn Lauterbach wird ganz Deutschland in Kürze Risikogebiet sein. Die Rechnung wird also so nicht aufgehen.



    Die Frage wird eher sein, wo werden die Schutzmaßnahmen konsequent durchgesetzt: Maske, Abstand. Lüften und das Vorgehen gg illegale Partys etc. - und dort werden die Zahlen dann auch niedriger sein. Urlauber in der Ferienwohnung sind hier wohl nicht das Probelm.

    www.tagesspiegel.d...sein/26242112.html

    • @marusja meyer:

      Also, das mit dem Lüften macht meiner Erfahrung niemand, der es auch sonst nicht schon regelmäßig getan hat (und dafür von vielen anderen immer mit blöden Bemerkungen versehen wurde.)

      Ja, lüften macht auch ohne Corona Sinn, weil die Luft von draußen einfach frischer und sauberer ist - trotz aller Luftverschmutzung: in geschlossenen Räumen ist sie noch wesentllich verschmutzter (durch unsere Möbel- und Technikausdünstungen und eben auch durch andere biologische Ausdünstungen der Raumnutzer/innen).

      Und auch wichtig: Der Sauerstoffgehalt zum Denken. Meint man, dass manch ein/e das gebrauchen könnte, ist aber scheinbar nicht gewollt, schon gar nicht in Schulen und Büros.

      Überall kann man das immer wieder lesen, es gibt sogar Arbeitsschutzvorgaben dafür, aber die wenigsten lüften, wenn überhaupt, richtig. Selbst das neue Corona-Virus scheint da nichts dran zu ändern, weil es doch lieber schön kuschelig und miefig bleiben soll.

      Das ist fast wie mit Auto- und Fahrradfahren. Man könnte ja viele Wege mit dem Rad machen, wäre für die Umwelt und die Person auch gesund, ABER es ist doch so schön bequem und kuschelig mit dem Auto.