Thüringen und die FDP: Bedenken second

Thüringen zeigt vor allem eines: Die Liberalen steigen mit jedem ins Bett, der verspricht, sie vor der Bedeutungslosigkeit zu bewahren.

Christian Lindner, ein Mann in Anzug geht am Rednerpult vorbei

Christian Lindner nach seinem Statement am Mittwochnachmittag Foto: Carsten Koall/dpa

„Wer unsere Kandidaten in einer geheimen Wahl unterstützt – das liegt nicht in unserer Hand.“ Mit diesem rhetorischen Schulterzucken versuchte FDP-Chef Christian Lindner gerade, seine Partei vor dem Vorwurf zu schützen, sie habe aus Machthunger billigend in Kauf genommen, dass einer der Ihren in das Amt des Thüringer Ministerpräsidenten gewählt wurde. Aber das ist eine faustdicke Lüge.

Der Fünfprozentmann Thomas Kemmerich in der Erfurter Staatskanzlei ist die logische Folge jener Politik, die Lindner seit Monaten von Berlin aus betreibt. Der FDP-Chef hat systematisch seine Partei nach rechts verrückt, ganz nach dem Motto aus dem 2017er Wahlkampf: „Bedenken second“. Mal ging es gegen Klimaschützer und Windkraft. Dann wieder sah Lindner ein Fleischverzehrsverbot in greifbarer Nähe. Schließlich widmete er sich ausführlich den Themen Bonpflicht und Tempolimit. Die ganze populistische Melange in selbstgewissem, hohem Ton vorgetragen. Und ganz unverhohlen in der Hoffnung, die schwindende Wählerschaft bei ihren Instinkten abholen zu können; wenn es sein muss, auch die rechts tickenden. Bedenken second eben.

Mag sein, dass Thomas Kemmerich schon bald Geschichte ist. Dass die Bundes-FDP den frei flottierenden Thüringer dazu bringen kann, sich aus dem Nazipakt von Erfurt zurückzuziehen. Dass es Neuwahlen gibt, die ja auch Christian Lindner am Mittwochabend für wahrscheinlich hielt. Doch bleiben wird ab jetzt die politische Erfahrung, dass die Liberalen mit jedem ins Bett steigen, der verspricht, sie vor der Bedeutungslosigkeit zu bewahren. Schon in zwei Wochen bei der Hamburg-Wahl wird sie dafür die Quittung bekommen. Und bei der nächsten Bundestagswahl werden ihr genau jene „Mitte“-WählerInnen die Stimme verweigern. Neuerdings weiß man ja, was die FDP tatsächlich unter „Mitte“ subsummiert.

Der FDP ist ab jetzt nicht mehr zu trauen. Die Partei von Hans-Dietrich Genscher und Burkhard Hirsch ist runtergerockt zum politischen Spielball der Rechten. Und zwar irritierenderweise unter Führung jenes Vorsitzenden, der die Liberalen mit bemerkenswerter Ehrlichkeit, Demut und Lernfähigkeit aus ihrer erst wenige Jahre zurückliegenden Krise geführt hatte. 2013 war die FDP aus dem Bundestag geflogen, weil sie an ihrer eigenen Überheblichkeit erstickt war. Dass Christian Lindner seine Partei auf genau diesem Weg wieder hinabgeführt hat, ist ein Drama für die Demokratie.

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1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.

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