Thronfolge in Saudi-Arabien: Der Drahtseilakt der Brüder
Der reichste Verbündete des Westens hat einen neuen, 79-jährigen König. Zwei Drittel der Bevölkerung sind jedoch unter 30.
KAIRO taz | Der saudische König Abdullah ist tot, lang lebe König Salman. Die saudische Nachfolge ist also zunächst geklärt. Trotzdem sieht das ölreiche Königreich einer ungewissen Zukunft entgegen. Viele der Widersprüche des Landes, das seinen Weg zwischen erzkonservativem religiösem Establishment und der Moderne sucht, werden sich in Zukunft noch verschärfen.
Abdullah hat es nicht geschafft, ernsthafte Reformen gegen die wahhabitischen Scheichs durchzusetzen, die dem Königreich seine religiöse Legitimität verleihen. Aber er hat es geschafft, mit einer Mischung aus Petrodollars und Repression die innere Front auch in Zeiten der Aufstände in der arabischen Welt ruhig zu halten. Zwei Drittel der Bevölkerung sind jedoch unter 30 Jahre alt und die Ölpreise sinken. Da steigen die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen.
Die Ernennung des neuen Königs muss noch vom Saud-Familienrat bestätigt werden. Fraglich ist, ob der 79-jährige, nach einigen Berichten an Demenz leidende Salman, den Herausforderungen gewachsen ist. Er ist der Halbbruder Abdullahs und 32. Sohn des Staatsgründers Abd al-Aziz ibn Saud. Seine Amtsübernahme ist offenkundig nicht die Übergabe an die nächste Generation. Der neue Kronprinz Muqrin, damit die Nummer 2 im Staate, ist zwar erst 69, aber ebenfalls ein Halbbruder Abdullahs und Salmans – wenn auch der 35. und jüngste.
Doch die kommende Generation steht bereit. König Salman hat sofort seinen Neffen und mächtigen Innenminister Mohammed bin Nayef zum Vizekronprinz ernannt. Seinen eigenen Sohn Mohammed bin Salman ernannte der König zum neuen Verteidigungsminister. Ein Amt, das bis heute noch Salman selbst innehatte.
Salman ist Übergangskönig
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Der neue König hatte bereits in den letzten Monaten de facto immer mehr die Regierungsgeschäfte übernommen. Er gilt trotz seines stolzen Alters auch als ein respektierter Schiedsrichter in der regierenden Familie Saud mit ihren tausenden Prinzen. Das könnte helfen, das Zepter an die nächste Generation zu überreichen. Denn Salman ist wegen seines Alters bestenfalls ein Übergangskönig.
Auch Salman muss weiter den Drahtseilakt des saudischen Königshauses gehen, die erzkonservativen wahhabitischen Scheichs zufriedenzustellen und gleichzeitig dem Reformdruck nachzugeben. König Abdullah war als Reformer angetreten, konnte aber nur wenig gegen das wahhabitische Establishment durchsetzen. Vor allem die von den konservativen Hardlinern kontrollierten Richter fällen immer wieder mittelalterliche Urteile.
So wurde Raif Badawi, einer der dezidiertesten Kritiker der wahhabitischen Scheichs zu 10 Jahren Gefängnis und 1.000 Peitschenhieben verurteilt. Zwanzig Wochen lang sollte der Blogger jeden Freitag 50 Hiebe erhalten. Nach dem ersten Mal wurden die Schläge „aus gesundheitlichen Gründen“ ausgesetzt – wahrscheinlich auch, weil der internationale Druck gegen das Urteil zu groß wurde.
Auch bei den Frauenrechten war der Eiertanz Abdullahs zwischen Reformern und Konservativen deutlich geworden. So erhielten Frauen unter seiner Regentschaft erstmals einen eigenen Personalausweis und durften erstmals ohne einen männlichen Bürgen als Geschäftsfrauen auftreten. Aber den Konservativen ist geschuldet, dass sie bis heute nicht selbst mit ihren eigenen Autos in ihre Büros fahren können. Letzte Woche begann der Prozess gegen Loujain al-Hathloul und Maysa al-Amoudi, zwei Aktivistinnen, die verhaftet wurden, als sie versucht hatten, mit einem Auto aus den Arabischen Emiraten kommend über die Grenze zu fahren. Ihr Fall wird vor einem speziellen Terrorismus-Gericht verhandelt.
Nicht nur die Frauen, auch die schiitische Minderheit in Saudi-Arabien werden als Bürger zweiter Klasse behandelt. Sie werden vom Königshaus als eine Art fünfte Kolonne des Iran angesehen. Schiitische Aufstände während des Arabischen Frühlings wurden denn auch brutal niedergeschlagen. Besonders delikat: Im Osten Saudi-Arabiens, wo praktisch die gesamten Ölvorkommen liegen, bilden die Schiiten die Mehrheit.
Bei alldem war der verstorbene Abdullah stets darauf bedacht, die absolute Monarchie nicht in Gefahr zu bringen. So führte er erstmals Bezirkswahlen ein. Die Bezirksparlamente haben aber kaum Entscheidungsbefugnisse, die darüber hinausgehen, welche Straßenlaternen installiert werden.
Statt eines nationalen Parlaments gibt es einen Schura-Rat. Abdullah hatte auch erstmals Frauen in diesem Rat zugelassen. Aber sowohl Frauen als auch Männer in diesem Rat haben keine Entscheidungsgewalt und stehen dem König nur beratend zu Seite. Und um sicherzugehen, dass sich hier kein eigenes Machtzentrum bildet, werden deren 150 Mitglieder allesamt vom König bestimmt. Es ist diese Struktur der absoluten monarchischen Macht, die sicherlich auch von seinem Nachfolger Salman im eigenen Interesse nicht angetastet werden wird.
Der neue König steht auch vor enormen regionalen Herausforderungen. Im Norden des Landes klopfen die Dschihadisten des Islamischen Staats an die saudische Tür. Die sind zwar einst auch von den Saudi unterstützt groß geworden, in der Hoffnung Riads, dass sie eine sunnitische Alternative zum syrischen Präsidenten Baschar al-Assad darstellen. Aber inzwischen haben die Saudis längst die Kontrolle verloren über den Geist, den sie aus der Flasche geholt haben – der IS ist zu einer Bedrohung des saudischen Herrscherhauses geworden.
Die hofierte Regionalmacht
Im Süden, im Jemen, destabilisieren Auseinandersetzungen zwischen schiitischen Huthis und der Regierung die Arabische Halbinsel. Nach saudischer Lesart wird ihr sunnitischer Wüstenstaat von iranischen Einflusszonen eingekreist: einer irakischen Regierung, die im iranischen Orbit liegt, einem Regime in Syrien, das den wichtigsten Bündnispartner für Teheran in der Region darstellt, und nun den schiitischen Huthis die die sunnitische Macht im Jemen herausfordern.
Und während der Iran seine Einflusssphären ausweitet, wird der saudische Erzrivale als Kampfgenosse gegen den IS auch international wieder salonfähig. Washington sucht nach einem Kompromiss im Nuklearstreit, um Teheran als Partner im Antiterrorkampf zu gewinnen. Die Saudis werden ihr Monopol als einzig vom Westen hofierte Regionalmacht am Golf wohl bald verlieren.
Dazu kommt, dass die goldenen Zeiten des Öls vorüber sind, der Preise dieses Rohstoffs sinkt, während das Königshaus bisher kaum Anstrengungen unternommen hat, die Staatsausgaben unter Kontrolle zu bringen. Glaubt man dem Internationalen Währungsfonds, könnte Saudi-Arabien dieses Jahr das erste Mal ein Haushaltsdefizit bevorstehen, drei Jahre früher als ursprünglich prognostiziert.
Mit den vielen Jungen unter 30, die meist unzureichend ausgebildet auf den Arbeitsmarkt drängen, und einem stagnierenden Privatsektor, der vollkommen von der Ausbeutung rechtloser ausländischer Arbeitskräfte abhängt, werden die Probleme in Zukunft auch nicht kleiner werden.
Wenig Erwartungen
Nun ist in der arabischen Welt zunächst einmal allerorten offiziell Trauer angesagt. Alle arabischen Staatschefs werden Abdullah ihre letzte Aufwartung machen. Aber gerade für die jungen Aktivisten, die in den letzten Jahren für einen Wandel gekämpft haben, ist Saudi-Arabien und Abdullah der Inbegriff der Restauration der alten Verhältnisse.
Vom neuen König erwarten sie wenig. Wie es in einem Tweet heißt: „Auch der nächste saudische König wird sich amerikanischen Werten verschreiben, mit Ausnahme von grundsätzlichen Freiheiten und Menschenrechten.“ Noch prägnanter fasste es die arabische Journalistin Maryam Jamshidi, Gründerin der alternativen Nachrichtenwebseite al-Muftah zusammen. Sie twitterte: „Wenn es auf dieser Welt eine Gerechtigkeit gibt, dann wird Abdullah in Saudi-Arabien wiedergeboren: als eine schiitische, weibliche Gastarbeiterin“.
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