Thriller „Longlegs“ mit Nicolas Cage: Die giftigen Zähne der Hydra

Gegen den Teufel und alle Rationalität ermittelt wird in Oz Perkins’ neuem Film. „Longlegs“ vereint Serienkillerjagd mit okkultem Horror­thriller.

Eine FBI­­-Agentin am Limit: Lee Harker (Maika Monroe) Foto: DCM

„Longlegs“ ist einer dieser Filme, bei denen das Rattern der Marketingmaschine schon länger zu hören ist. Superlative sind in diesen crossmedialen Kampagnen so obligatorisch wie blödsinnig. Er sei der „gruseligste Film des Jahrzehnts“, war zu hören und zu lesen, während der Film in einem Atemzug mit Ari Asters Mystery-Horror-Drama „Hereditary“ genannt wurde, dessen Schockerqualitäten sich nicht nur bei Genrefans zum Teil ins popkulturelle Gedächtnis eingebrannt haben.

Erhebliches Kapital schlug die PR zum Film von Oz Perkins, ältester Sohn von ebenjenem Anthony Perkins, der als Norman Bates in Alfred Hitchcocks Klassiker „Psycho“ Geschichte schrieb, selbstverständlich aus seinem schauspielerischen Joker: Nicolas Cage. Die Spannung wurde durch kurze Teaser-Clips erhöht, in denen die von Cage gespielte Figur bewusst im Dunkeln blieb.

Der zum popkulturellen Meme avancierte Schauspieler, der zuletzt in Kristoffer Borglis „Dream Scenario“ die Träume der Menschen als Jedermann heimsuchte, später deren Alpträume als Mörder, spielt das pure Böse: Long­legs, einen vermenschlichten Teufel, der auf Erden wandelt und die Hölle im Gepäck hat.

Das ist, trotz aller Geheimnistuerei um den Killer, kein Spoiler, denn Longlegs taucht gleich in der ersten, den Horror für alles Folgende setzenden Szene vor einem abgelegenen Familienhaus auf und spricht ein kleines Mädchen an. Dass ihm dank der grauen Flatterhaare, fahler, faltiger Haut und morbidem Grinsen im Verlauf des Films eine gewisse Komik anhaftet, tut Cages filmgeschichtsträchtigem Auftritt keinen Abbruch.

Parallelen zu Genreklassikern der 1990er

Er wirkt wie die untote Version eines einstigen Glamrockstars, und das ist gewollt, denn Perkins huldigt der bunten Spektakelrockmusik aus den 1970er-Jahren, indem er seinem Film ein Zitat aus dem Song „Get It On“ von T. Rex voranschiebt und es leitmotivisch auch aufgreift: „Well you’re slim and you're weak / You’ve got the teeth of the hydra upon you / You’re dirty, sweet, and you’re my girl.“

Der von Cage mitproduzierte Film folgt in drei Akten der FBI-Ermittlerin Lee Harker, gespielt von der in David Robert Mitchells Horrorfilm „It Follows“ genregeschulten Maika Monroe, auf Mörderjagd. Weil die Intuition der Frau überragend ist und sie, wie der vorgesetzte Agent Carter (Blair Underwood) ihr attestiert, beinahe hellseherische Fähigkeiten hat, ist sie mit dem Fall des Serienkillers Longlegs betraut.

Der hat über die letzten 30 Jahre verteilt bald ein Dutzend Familien auf dem Gewissen, auf mysteriöse Weise passiv, muss man spezifizieren, denn immer haben die Väter zu Messern, Gewehren und Hämmern gegriffen und ein Massaker veranstaltet, bevor sie sich selbst töteten. Die zentralen Parallelen zwischen allen Fällen: In jeder Familie gab es eine Tochter, die am 14. des Monats Geburtstag hatte, und immer fanden sich Briefe mit einem codierten Text am Tatort, die mit „Longlegs“ unterzeichnet waren.

Perkins’ Film atmet eine gehörige Portion Filmgeschichte. Dass er selbst in den 1990ern spielt, also in jenem Jahrzehnt, in dem die in vielen Texten zu „Longlegs“ oft und nicht umsonst bemühten Genreklassiker „Das Schweigen der Lämmer“ von Jonathan Demme und David Finchers „Sieben“ die Ki­no­be­su­che­r:in­nen nachhaltig verstört haben, erscheint plausibel.

Perkins fühlt sich im Gruselkino zu Hause

Verstörend auf seine Art ist auch „Long­legs“, wie nachhaltig, das muss sich noch zeigen. Denn Perkins bringt Serienkillerjagd mit okkultem Horror­thriller zusammen in einem Modus, der auf irritierende Weise schräg ist. Wie ernst, bitte, soll das alles gemeint sein?

Da ist einerseits eine Stilsicherheit, die ihren Effekt nicht verfehlt. In paranoiden Weitwinkeleinstellungen, schleichenden Kamerabewegungen und an Stanley Kubrick erinnernden langsamen Zooms und zentralistischen Bildkompositionen voller visueller Clues fängt Kameramann Andres Aro­chi das Treiben ein.

„Longlegs“. Regie: Oz Perkins. Mit Maika Monroe, Nicolas Cage, u. a. USA 2024, 140 Min.

Untermalt von dem mal offensiv mit Dissonanzen an den Nerven sägenden, mal unterschwellig von Autonomer sensorischer Meridianreaktion (ASMR) affizierten Sounddesign von Eugenio Battaglia bersten auch triviale Momente vor Spannung und hauen einen einige gezielt gesetzte Jumpscares aus dem Kinosessel: eine formal elaborierte Reizüberflutung in einer Dunkelheit in unheilvollen Räumen.

Nach seinem Exorzismushorror „Die Tochter des Teufels“ und nach „Gretel & Hänsel“, mit dem er als Regisseur international bekannt wurde, fühlt sich Perkins sichtlich im Gruselkino zu Hause. Andererseits legt die ebenfalls übervolle motivische Grundierung von „Long­legs“ eine gewisse campiness nahe, ob gewollt oder nicht, das weiß nur Perkins selbst.

Effektkino und popkulturelle Diskursfläche

Denn neben dem komödiantischen Potenzial von Cages Longlegs, der in einer urigen Szene wie ein teuflischer Wiedergänger von „Big Lebowski“ in einem Supermarkt herumschlurft, steht eine Genremotiv-Jong­lage: eben jene Briefe voller okkulter Zeichen, die auch an Harker zugestellt werden, Bezüge zu den neun Kreisen der Hölle aus Dantes „Inferno“ und zur Offenbarung des Johannes inklusive, creepy Porzellanpuppen mit teuflischem Potenzial und ein Opfer, das als einzige Überlebende ein tristes Dasein in der Geschlossenen verbringt.

Und selbstverständlich Harker als Lone Wolf, die nur gelegentlich telefonischen Kontakt zur gläubigen Mutter (Alicia Witt) pflegt. „Unsere Gebete schützen uns vor dem Bösen“, sagt Letztere und rennt mit ihrem Glauben bei der Tochter nicht gerade offene Türen ein.

Dass der Fall für die FBI-Agentin immer stärker auch eine persönliche Tour de Force wird, passt perfekt zu den nostalgischen Genre-Vibes des Films, der mehr und mehr die Gegenwart in Breitbild und die Vergangenheit im quadratischen Format in einen Dialog bringt.

Auf zweiter Ebene ist der Film auch eine Auseinandersetzung mit den inneren Teufeln, denen mit kohärenten Erklärungsmustern und Rationalität, auf die in „Longlegs“ schließlich sowieso gepfiffen wird, nicht mehr beizukommen ist. Den Film als pessimistischen Kommentar auf unsere Gegenwart zu lesen, würde ihm allerdings mehr Tiefe unterstellen, als er hat.

Perkins versteht es, die Gelüste nach Spannung zu befriedigen, nach Schrecksucht und dem Abgründigen. Die Dichte und Komplexität der Vorbilder von Demme und Fincher erreicht „Longlegs“ dabei jedoch nicht, denn inhaltlich will die Schnitzeljagd der FBI-Agentin nicht recht überzeugen.

Es gelingt Perkins trotz all seiner stilistischen Finesse nicht, eine größere kriminologische Spannung aufzubauen und der Ermittlung als Akt einer persönlichen Passionsreise mehr abzugewinnen. Auch zaubert der Film in seinem turbulenten und überflüssig aufklärungssüchtigen Ende eine auf die Spitze beziehungsweise in die Hölle getriebene Opferkultur aus dem Hut.

Als Effektkino und popkulturelle Diskursfläche mit nicht zu unterschätzendem medialen Echo ist „Longlegs“ dennoch allemal interessant. Perkins greift auf Motive und Chiffren des Horrorkinos zurück, bedient sich aus der Filmgeschichte und vermengt alles mit einem zeitgeistigen Hang nach Oberflächenreizen zu einem eigensinnigen Horrorhybrid. Und Cages Long­legs wird sicher noch einen Moment durch die Instagram- und Tiktok-Feeds spuken und für Grusel oder Lacher sorgen. Oder eben für beides.

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