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Therapeutin über Psyche im Shutdown„Entlastung ist nur kurzfristig“

Psychisch Erkrankte, Paare, Singles: Der „Lockdown light“ kann sich auf Menschen unterschiedlich auswirken. Psychotherapeutin Kristina Schütz erklärt.

Abstand halten, Kontakte reduzieren, gut für die Eindämmung des Virus, aber nicht für die Psyche Foto: Cecilia Fabiano/dpa
Barbara Dribbusch
Interview von Barbara Dribbusch

taz: Frau Schütz, wir befinden uns wegen der Coronapandemie jetzt in einer zweiten Phase der Kontaktbeschränkungen, dem sogenannten Lockdown light. Wie erleben die Menschen diese Maßnahmen im Unterschied zu den Beschränkungen in der ersten Phase?

Kristina Schütz: Die Arbeit mit depressiven Patienten war noch nie so schwierig wie jetzt. Die klassische antidepressive Therapie beruht ja auf dem Aufbau von Tagesstruktur, von positiven sozialen Aktivitäten, von Kontakten. Vieles ist da jetzt nicht möglich. Im ersten Lockdown war alles noch sehr neu, da beobachteten manche Kolleginnen und Kollegen und ich eine Zunahme der Angststörungen. Jetzt, in der zweiten Phase, verstärken sich eher die depressiven Symptome.

Die Kanzlerin Angela Merkel ruft derzeit dazu auf, Kontakte zu beschränken, also andere Menschen zu meiden. Was hat das für psychologische Folgen, dass die Zuwendung zu anderen Menschen, die doch eigentlich auch in der Therapie als heilend gilt, jetzt plötzlich zur Bedrohung wird?

Dass eine Nähe jetzt plötzlich schädlich sein kann, dieses Paradoxon, das ist ein Riesenproblem. Für junge Erwachsene ist es ein großes Thema, sie wollen auf keinen Fall Auslöser oder Teil einer Infektionskette sein oder gar die Eltern anstecken. Das hängt auch davon ab, ob es Risikopatienten, Menschen mit Vorerkrankungen in der Familie gibt oder ob man einen Fall von Covid-19 schon live erlebt hat in der Verwandtschaft. Diese Ambivalenz erleben auch Angehörige mit Verwandten im Pflegeheim, wenn man die Mutter nur noch draußen besuchen kann oder nur so halb erlaubt und immer das Risiko einer Ansteckung mitschwingt.

Internationale Metastudien haben gezeigt, dass jüngere Menschen offenbar psychisch besonders unter der Pandemie und ihren Folgen leiden.

Das überrascht mich nicht. Ich erlebe das bei meinen jüngeren Patienten. Bei den Studierenden ist das ganze Leben weg, das Studium ist digital, man begegnet sich nicht mehr an der Universität, viele Nebenjobs fallen weg. Man trifft sich sonst in der Uni, am Abend vielleicht in Lokalen, das fällt alles weg. Jüngere haben ja oft auch noch keine stabile Partnerschaft.

Haben die Menschen durch den ersten Lockdown nicht schon Kompensationen entwickelt für die Kontaktsperren? Man hört ja, dass die Baumärkte voll seien, manche Leute haben angefangen, mit Youtube zu Hause Gitarre zu lernen.

Die Leute haben schon während des ersten Lockdowns Dinge gemacht, die sie sonst nicht unbedingt getan hätten, zum Beispiel die Wohnung renoviert, Gerümpel zum Wertstoffhof gefahren. Das Digitale hat sich stark entwickelt, die Menschen machen Sport über ­Youtube. Man muss aber sehen, dass eben nicht alle und insbesondere nicht depressive Menschen leichten Zugang zu diesen digitalen Angeboten haben. Es ist eben ein großer Unterschied, ob ich einen festen wöchentlichen Termin mit einer präsenten Leiterin in einem Sportkurs habe oder nur zu Hause allein vor einem Bildschirm turnen kann.

Es gibt Menschen mit sozialen Phobien, die sagen, der Lockdown sei für sie eine Erleichterung, weil die anderen Leute jetzt auch nicht mehr so viele Kontakte pflegten wie sonst und man sich daher nicht mehr so als Außenseiter fühle.

Beim ersten Lockdown haben Patienten mit Burn-out mal gesagt, sie fühlten eine Entlastung durch die Beschränkungen. Das ist aber jetzt, wo es länger dauert und die zeitliche Perspektive ungewiss ist, nicht mehr so. Wenn Depressive oder Menschen mit sozialen Phobien sich nicht mehr so anders erleben wie Nachbarn oder Freunde, mag das kurzfristig eine Entlastung sein. Langfristig aber führt es zu einer Verstärkung des Problems, denn man arbeitet ja nicht an einer Lösung, sondern vermeidet sie.

Leiden Alleinstehende noch mal besonders unter den Maßnahmen zum Infektionsschutz?

Alleinstehende sind in besonderem Maße auf strukturierte Begegnungen, wie zum Beispiel auf den Elterntreff, auf Vereine, auf Sportgruppen angewiesen. Das fällt jetzt alles weg. Alleinstehende, auch ältere Patienten, sind davon besonders betroffen. Jetzt, im Winter kann man nach der Arbeit am Abend auch nicht mal eben den Park aufsuchen um einfach nur andere Menschen zu sehen, die dort spazieren gehen. Wer andere Leute sehen will, geht dann wohl eher in den Supermarkt.

Paare, die zu zweit zusammenleben, sind zwar nicht allein, hocken aber auch eng aufeinander.

Beim ersten Lockdown, als auch die Schulen geschlossen waren und beide Elternteile die Betreuung übernehmen mussten, bedeutete dies viel Stress für die Paarbeziehungen. Wir haben den Paaren damals geraten – und das gilt auch jetzt noch – die Erwartungen aneinander herunterzuschrauben, nicht jedes Wort auf die Goldwaage zu legen, Aggressionen wenn möglich nicht auszuagieren und sich bewusst eine Zeit zu zweit und eine Zeit für sich zu nehmen und dies auch zu unterscheiden. Es ist auch ein Mythos, zu glauben, dass ein Paar jetzt eine besondere Nähe erlebt, viel Zeit intensiv miteinander verbringt und automatisch mehr Sex hat. Andererseits aber erleben viele Paare im Lockdown eine neue Wertschätzung der Partnerschaft.

Werden die Kontaktbeschränkungen denn im Grunde akzeptiert von den Menschen?

Bild: privat
Im Interview: Kristina Schütz

ist niedergelassene Psychotherapeutin in Lehre in Niedersachsen. Sie ist Mitglied im niedersächsischen Landesvorstand der Deutschen Psychotherapeuten Vereinigung (DPtV).

Wir nehmen im Kollegenkreis wahr, dass der kontroverse Mediendiskurs bei den Patienten teilweise eine große Unsicherheit, auch Aggressivität und Ärger hervorrufen. Diese Zweifel an wissenschaftlichen Erkenntnissen, dass man alles hinterfragt, macht vielen zusätzlich Angst.

Wie lässt sich denn am besten eine Resilienz, eine Widerstandskraft angesichts der Beschränkungen entwickeln?

Wir versuchen auf der praktischen Ebene, Möglichkeiten, die da sind, zu nutzen. Dazu gehört zum Beispiel, kleinere Aktivitäten zu planen, spazieren zu gehen, gesund zu kochen und zu essen, Musik zu hören, Telefonkontakte zu verstärken, sich mit Freundinnen oder Freunden zu treffen für einen Spaziergang auf Abstand, Möglichkeiten im Digitalen zu entdecken. Es kann hilfreich sein, längere Perspektiven zu entwickeln, sich zu sagen, dass die Pandemie mal ein Ende haben wird. In der Therapie arbeiten wir daran, wie ich lerne, Einstellungen zu verändern, nicht in negative Gedankenspiralen zu geraten. Die Aussicht auf eine Impfung ist für viele Menschen da eine große Erleichterung.

Tausende von Menschen haben inzwischen schon einen positiven Coronatest erlebt oder sind sogar schwer an Covid-19 erkrankt. Wie verarbeitet man das?

Es zeigt sich, dass schwer an Covid-19 Erkrankte danach ein höheres Risiko haben, Traumasymptome zu entwickeln, weil es ja eine lebensbedrohliche Erkrankung ist. Schlafstörungen, Wiedererleben, eine tiefe Verunsicherung gehören zu diesen posttraumatischen Symptomen. Aber es gibt noch keine langfristige Forschung dazu, es ist alles noch zu frisch.

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6 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Leider wird in der modernen Gesellschaft allermeist irrtümlich davon ausgegangen, daß psychische Störungen weder ursächlich heilbar noch präventiv zu verhindern sind - und das ist eines der vielen Symptome der "Krankheit der Gesellschaft" / "Kollektiven Neurose", die Hans J. Eysenck "Normalneurose" nennt in seinem Buch "Neurose ist heilbar".

  • Aus der Erfahrung mit meinen wiederkehrenden Depressionen und sozialen Vermeidungsverhalten heraus kann ich viele der getroffenen Aussagen im Artikel bestätigen. Der 1. Lockdown war regelrecht eine Wohltat. Meine 1-wöchige Quarantäne hätte ich ohne tägliches Spazieren für mich und stellenw. einer anderen Quarantäne-Betroffenen nicht so gut überstanden. Ich muss inzwischen jeden Tag aufs neue überzeugen das ich soziale Kontakte nicht komplett vermeide. D.h. Anrufe entgegennehmen, Messenger Mails beatnworten, gelegentl. Real-Life Gespräche ab und zu mal jemanden sehen. Mehr ist schon zuviel ? Insofern ist mein akt. Erprobungspraktikum im kleinen Team ernsthaft anstrengend aber gut.

  • Die psychischen Folgen haben viel damit zu tun, wie man vor der Pandemie gelebt hat und welche seelische Gesundheit einem das Schicksal mitgegeben hat.



    Ist einem Alleinsein nicht fremd, mag es gar, dann kann man es jetzt auch (es kann einem Single auch niemand auf die Nerven gehen). Hat man einen finanziell ungefährdeten Hintergrund, macht man sich keine Sorgen, leistet sich Lieferdienste, hat man ein gemütliches Zuhause, hat man vorher schöne Erlebnisse gehabt, von denen man zehrt.



    Hat man eine medizinisch begründete Neigung zu Depressionen, ist eine Pandemie sicherlich beängstigend, zumal Therapie- und Gesprächsgruppen wegfallen. Dies gilt auch für andere Therapiebedürftige, die Krankengymnastik u.ä. brauchen.



    Wer jung und gesund ist, muss lernen, dass das Leben nicht ohne Krisen verläuft und im Normalfall noch viel Zeit für Spaß zu erwarten ist.



    Corona verstärkt einfach das, was vorher war. Und wem es vorher gut ging, sollte aufhören zu klagen und den weniger Begünstigten helfen (mit Sicherheitsabstand).

    • @snowgoose:

      Dem kann ich nicht uneingeschränkt zustimmen. Natürlich kann ich mir gut vorstellen, dass vorbelastete Menschen es noch schwerer haben. Aber für mich als finanziell abgesicherten, häufig allein arbeitenden Menschen hat die Corona-Pandemie doch mehr Auswirkungen als ich erwartet hatte. Im ersten Lockdown habe ich es genossen, dass ich meine Familie tatsächlich mehr sehen konnte als im Alltag davor, weil sie von zuhause aus arbeiten mussten. Darüber hinaus waren wir viel draußen, haben Sport gemacht und gespielt.

      Der zweite Lockdown nimmt mich ganz schön mit. Ich habe Situationen, in denen ich mich definitiv depressiv fühle. Ich fange in der Küche scheinbar grundlos an zu heulen. Ich spüre eine Grundaggression, die mich wahnsinnig macht. Das alles versuche ich weiterhin mit einem geregelten Tagesablauf, Sport und frischer Luft zu kompensieren, aber es fällt mir immer schwerer.

      Es mag sein, dass das auch mit der dunklen Jahreszeit zusammenhängt und ich würde mir (gerade in meiner privilegierten Position) wünschen, dass es anders wäre. Aber nun muss ich damit umgehen.

    • @snowgoose:

      Nein, Corona verstärkt nicht, was vorher war. Für mich mich und viele meiner Freunde hat sich während dieser Zeit eine Gleichgültigkeit aufgebaut. Wir "jungen" - gerade mit der Schule fertig, wollen eigentlich Spaß haben, den 18. Geburtstag mit vielen Freunden feiern und uns abends nach der Arbeit treffen. Aber all das geht jetzt nicht - was erst mal zu Frust führt. Da aber gleichzeitig auch die Notwendigkeit des Lockdowns völlig klar ist und auch kein Ende in Sicht ist, erlebe ich mit der Zeit immer mehr Gleichgültigkeit. Man ist dem Virus machtlos ausgeliefert. Es gibt keinen Antrieb mehr, zur Arbeit zu gehen, einfach weil man nichts hat, auf dass man sich nach Feierabend freuen kann. Man geht dennoch zur Arbeit. Geht nach Hause. Sitzt alleine herum. Schläft. Und geht wieder zur Arbeit. Jegliche Motivation fehlt und alles wirkt gedämpft. Man ärgert sich nicht mehr über Dinge, die einen sonst so sehr aufgeregt haben. Aber man kann sich auch nicht mehr freuen. Vielleicht ist die Gleichgültigkeit ein Schutz? Vielleicht hilft sie, diese Zeit zu überstehen? Ich weiß es nicht. Aber schön ist es nicht.

      • @jari:

        Ihren zweiten Teil kann ich (knapp 40, verheiratet, 2 Kinder) gut unterschreiben, jetzt im zweiten Lockdown ist es ein wenig wie ein Leben in Wartestellung, warten darauf, wann es wieder weitergeht



        das Salz in der Suppe fehlt einfach

        der erste Lockdown war einfach nur nacktes Überleben und belastet unsere Beziehung bis heute, dadurch dass durch gleichzeitge KiTa-Schließung, Schul-Schließung sowie wegfallende Kinderbetreuung durch Großeltern das komplette Leben zusammengebrochen war



        ich wage mir gar nicht vorzustellen, wie es wäre, wenn diese anfängliche Paniksituation im Herbst/Winter gekommen wäre, der Frühlingsanfang hat das stimmungsmäßig schon nochmal etwas abgemildert



        aber generell ist fraglich, wann/ob wieder Normalität einkehrt, selbst wenn das offiziell wieder der Fall sein sollte