Theologin über Priestermangel: „Frauen sind so begabt wie Männer“
Weil es zu wenige Priester gibt, leiten jetzt Frauen zwei Pfarrgemeinden im Bistum Osnabrück. Ein Gespräch über weibliche Stärken und einsame Kirchenmänner.
taz: Frau Kreidler-Kos, in Deutschland herrscht Priestermangel. Warum?
Martina Kreidler-Kos: Der Priesterberuf ist nicht mehr attraktiv genug. Das liegt zum einen daran, dass Priester große Einheiten bedienen müssen, also für viele Gemeinden gleichzeitig zuständig sind. Deshalb reisen sie viel herum und haben viel Verwaltungsarbeit. Das, was den Priesterberuf ausmacht, nah dran an den Menschen und Seelsorger zu sein, das ist strukturell viel schwieriger geworden. Das sorgt bei den Priestern für eine große Einsamkeit. Die wird zudem durch den Pflichtzölibat …
… das Eheverbot für Priester …
… verstärkt. Der Zölibat an sich ist nicht falsch, den gibt es im Christentum seit eh und je. Ordensleute etwa leben freiwillig ehelos. Aber die Verknüpfung von Priesterberuf und Pflicht zur Ehelosigkeit ist mittlerweile ein Problem, zumindest bei uns.
Ist durch den Priestermangel nun die Zeit für Priesterinnen gekommen?
Die Frage nach Frauen in diesem Amt wird ja schon lange diskutiert. Es wäre auch falsch zu sagen: Na gut, dann lösen dieses Problem eben Frauen. Frauen sind keine Lückenbüßerinnen. Ob sie Priesterinnen sein können, ist eine Gerechtigkeitsfrage. Und es wird mehr und mehr eine Frage des Charismas: Wer ist begabt? Wer ist berufen, diesen Dienst in der Kirche zu versehen? Es ist klar: Frauen sind ebenso begabt wie Männer.
Gerade hat das Bistum Osnabrück auf den Nordseeinseln Juist und Langeoog zwei Frauen als Pfarrbeauftragte berufen. Wegen des Priestermangels oder weil die Frauen begabt sind?
51, ist Fachbereichsleiterin für Ehe und Familie im Bistum Osnabrück, Beraterin der Frauenkommission der Deutschen Bischofskonferenz und Beauftragte für den Erneuerungsprozess in der katholischen Kirche.
Auf den Inseln passiert gerade etwas Großartiges: Die beiden Frauen sind sehr fit, sie wuppen die Gemeinden schon seit einiger Zeit und jetzt leiten sie diese auch noch. Das ist nicht nur legitim, sondern auch mit dem Kirchenrecht, das bei Priestermangel auch Laien, also Nichtgeweihte, in solchen Ämtern grundsätzlich vorsieht, vereinbar. Sozusagen ein Idealfall.
Trotzdem sind die beiden Frauen die ersten in einem solchen Amt?
Im Bistum Osnabrück schon, in anderen Bistümern weiter im Süden hat es das auch schon gegeben. Ab Dezember wird es in unserem Bistum noch eine weitere Pfarrbeauftragte geben. Dort wird ausdrücklich eine Frau in dem Amt installiert, obwohl momentan auch genügend Männer zur Verfügung stehen.
Gäbe es auf Juist und Langeoog fähige Männer, hätten die das Erstrecht auf die Pfarrstellen gehabt?
Das ist eine hypothetische Frage. Auf einer anderen Nordseeinsel, auf Norderney, übernimmt den vakanten Posten ein Mann: ein katholischer Laie, Diakon, Familienvater. Auch er macht das seit vielen Jahren und das sehr gut. Hier spielt also nicht die Geschlechterfrage eine Rolle, sondern die Fähigkeit: Wer macht gute Arbeit vor Ort? Wer ist für welches Amt begabt? Es gibt ja auch begabte Priester, die aber nicht geeignet sind für eine Leitungsposition.
Sind Pfarrbeauftragte im Norden leichter zu besetzen als im männlich dominierten Süden?
Ich bin mir nicht sicher, ob es ein Nord-Süd-Gefälle gibt. Im Moment ist eher ausschlaggebend, welcher Bischof welche Diözese leitet und wie aufgeschlossen er neuen Leitungsmodellen gegenüber ist. Zum anderen müssen in Gebieten, in denen es viel weniger Katholik*innen gibt, andere und einfallsreichere Lösungen gefunden werden, um die Gläubigen zu erreichen.
Was machen Priesterinnen anders als Priester?
Die Frage kann ich noch gar nicht beantworten, weil es noch keine Priesterinnen gibt. Aber Frauen würden das Amt ganz sicher verändern. Ich könnte mir beispielsweise vorstellen, dass sie sich stärker sozial einbinden würden. Frauen nehmen Vereinzelung nicht einfach so hin.
Sollte die Kirche sich nicht von Grund auf modernisieren und dem entwickelten Geschlechterbild Rechnung tragen?
Natürlich. Es wäre gut, wir würden Veränderungen zulassen. Wir sollten auch darüber nachdenken, ob die sich nicht vielleicht sogar der Himmel wünscht. Aber bestimmte Entscheidungen werden gar nicht in Deutschland getroffen, sondern im Vatikan in Rom. Ich setze im Übrigen auf Papst Franziskus. Er bewegt viel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Unterbringung und Versorgung
Geflüchtetenaufnahme belastet Kommunen weiterhin deutlich