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Theodor Fontane und BrandenburgFast unverfälscht

Mit seiner spezifischen Art hat Theodor Fontane dem Tourismus in Brandenburg den Weg geebnet. Eine Wanderung um den Stechlinsee.

Der große Stechlinsee im Abendlicht Foto: imago/blickwinkel

Da lag er vor uns, der buchtenreiche See, geheimnisvoll, einem Stummen gleich, den es zu sprechen drängt. Aber die ungelöste Zunge weigert ihm den Dienst, und was er sagen will, bleibt ungesagt. Und nun setzten wir uns an den Rand eines Vorsprungs und horchten auf die Stille.

Die blieb, wie sie war: kein Boot, kein Vogel, auch kein Gewölk. Nur Grün und Blau und Sonne.“ So beschrieb Fontane 1873 seinen Besuch am Großen Stechlinsee. 145 Jahre später setzen wir uns wie er ans Ufer und lassen den See auf uns wirken. Es ist ein kalter, aber freundlicher Wintertag.

Die Bänke am Ufer sind verwaist. Der Kiosk, der im Sommer die Badegäste mit Bockwurst und Caipirinha versorgt, ist geschlossen. Auch die Kanus sind verschwunden. Der Wind kräuselt die riesige Wasserfläche, die sich im dichten Waldgebiet des Naturparks ausbreitet. Ansonsten ist es still. Wie zu Fontanes Zeiten.

200 Jahre Theodor Fontane und der Stechlinsee

Wanderung

Der Große Stechlinsee lässt sich bequem in drei bis vier Stunden umrunden. Ausgangspunkt ist der Erholungsort Neuglobsow, der leider mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur umständlich – mit Bussen vom Bahnhof Fürstenberg aus – zu erreichen ist.

Einkehrmöglichkeit

Die Fischerei Stechlinsee, Fischerweg 3, www.fischerei-stechlinsee.de, im Winter geöffnet Freitag bis Sonntag von 11 bis 17 Uhr, sowie die Pension Fontanehaus, Fontanestr. 1, www.fontanehaus.com, geöffnet Donnerstag bis Montag ab 11.30 Uhr, wo man auch übernachten kann (DZ ab 62 Euro).

Ausstellung

Es lohnt, sich die kleine Ausstellung im Glasmacherhaus anzusehen (Stechlinseestr. 21, im Winter Mittwoch, Donnerstag und Sonntag von 10 bis 14 Uhr).

Fontane-Jahr

2019 steht Brandenburg im Zeichen von Fontanes 200. Geburtstag. Die große Leitausstellung „fontane.200/Autor“ im Museum Neuruppin befasst sich vom 30. März bis zum 30. Dezember mit den Schreib- und Textwelten Fontanes. Die Sonderausstellung „fontane.200/Brandenburg – Bilder und Geschichten“ im Potsdamer Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte vom 7. Juni bis zum 30. Dezember zeigt, wie Fon­ta­ne das in Brandenburg vorgefundene Material zu seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ verarbeitete. Auf Schloss Ribbeck findet eine literarisch-musikalische Zeitreise statt. Besonders empfehlenswert ist ein Besuch im Theodor-Fontane-Archiv in der Potsdamer Villa Quandt, wo der Nachlass des Dichters aufbereitet wird. In Fontanes Geburtsstadt Neuruppin finden in öffentlichen WCs Begegnungen mit Fontane-Texten zum Thema „Das Örtchen“ statt. Ein Überblick über das Programm: www.fontane-200.de. Inzwischen wurde eine Fontane-App vom RBB freigeschaltet (www.rbb-online.de).

Das Buch

Von unserer Autorin Ulrike Wiebrecht ist erschienen: „Wandern auf Fontanes Wegen“, 168 Seiten, 2018, 14,95 Euro

Der See ist noch immer eins der tiefsten und klarsten Gewässer Brandenburgs – sein Name leitet sich vom slawischen stek­lo für „Glas“ her. „Er geht 400 Fuß tief, und an mehr als einer Stelle findet kein Senkblei seinen Grund“, schrieb der Dichter. Was es zu seiner Zeit nicht gab, ist die Fischerei Stechlinsee. An der kommen wir vorbei, als wir den See auf dem Uferweg umrunden. Zwei schlichte Häuschen, davor rustikale Holztische und Bänke. Die meisten nennen sie „Alte Fischerhütte“.

Schon seit mehreren Generationen spannt die Familie Böttcher hier die Netze aus. „Mein Opa baute die Fischerei auf, als er 1948 aus Westpreußen kam“, erzählt Rainer Böttcher. Er selbst hat eher widerwillig den Beruf von Vater und Großvater ergriffen. Doch heute ist er froh darüber. Auch seinen Sohn konnte er überzeugen. „Wo hat man sonst so viel Freiheit?“, fragt er. „Es gibt ja keinen, der uns bei der Arbeit reinreden kann. Und wenn du dann morgens auf den See rausfährst und die Vögel zwitschern hörst, möchtest du mit niemand sonst tauschen.“ Einträchtig sitzt er mit Vater und Sohn auf der Bank in der Sonne. Vor ihnen die Aquakultur, aus der sie Forellen, Saiblinge und Welse fischen. Aale und Barsche holen sie aus dem See.

Und die Stechlin-Maräne, die als besondere Delikatesse gilt. Was dagegen nicht im Räucherofen landet, ist die Fontane-Maräne. Sie wurde erst vor etwa fünfzehn Jahren vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie entdeckt, das gegenüber der Fischerei am Seeufer steht. Zu Ehren des Schriftstellers hat man die endemische Fischart auf seinen Namen getauft. Schließlich hat er mit seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ und vor allem durch den Roman „Der Stechlin“ dem See ein literarisches Denkmal gesetzt. Und wenn es eine Gegend gibt, die zeigt, was Literatur bewirken kann, dann ist es die um den Großen Stechlinsee.

Als der Autor das erste Mal hierherkam, war Neuglobsow, der Ort am See, noch eine ärmliche Glasmachersiedlung. Von ihr hat sich das über 230 Jahre alte Glasmacherhaus erhalten, ein uriges kleines Fachwerkhäuschen, in dem heute die Touristeninformation untergekommen ist.

Eine Ausstellung gibt dort Einblick in die Geschichte der Glashütte, die 1780 unter Friedrich dem Großen begründet wurde, um grünes „Waldglas“ herzustellen. „Es war eine Frau, die tatkräftige Johanna Pirl, die die Glashütte nach dem Tod ihres Mannes zum Erfolg führte“, betont Kulturführerin Renate Fechner. Doch die Arbeits- und Lebensbedingungen sollen alles andere als rosig gewesen sein. Die schwere Arbeit der Glasbläser, die die ganze Lungenkraft erforderte, führte zusammen mit den prekären hygienischen Verhältnissen oft zum frühen Tod.

„Hütte neben Hütte; sonst nichts sichtbar als der Rauch, der über die Dächer zog“, fasste Fontane seine Eindrücke aus Neuglobsow zusammen. Schon bald nach seinem Besuch wurde die Glashütte unrentabel und 1890 stillgelegt. Die Bevölkerung schrumpfte. Und wer weiß, was von dem Ort übrig geblieben wäre, hätte der Autor der „Wanderungen“ nicht seinen Lesern vom Stechlinsee vorgeschwärmt. Noch mehr sorgte sein 1898 erschienener „Stechlin“ dafür, dass immer mehr Neugierige kamen und bald ein reger Ausflugsverkehr einsetzte.

Sommerfrischeträume

Nach diversen Intellektuellen fanden sich Unternehmer und Bankiers ein, die sich ihre Sommerfrischeträume in Form von stolzen Villen mit Namen wie Versunkene Glocke oder Friesenhaus verwirklichten. Zu ihnen gehört auch die Villa Bernadotte, die zwischen den eher schlichten Häusern heraussticht. „Manche Besucher halten sie für das Schloss Stechlin. Aber das hatte Fontane ja frei erfunden“, schmunzelt die Führerin.

Sie erzählt, dass es um 1900, kurz nach Erscheinen des „Stechlin“, einen regelrechten Bauboom gab und der Bodenpreis zwischen 1903 und 1910 von sechzig Pfennig auf sechs Goldmark stieg. Bald war Neuglobsow nicht mehr das „Verlassenste, Einsamste und Schönste, was man sich nur denken konnte“, wie Hans Fallada in seinen Jugenderinnerungen „Damals bei uns daheim“ etwas wehmütig schreibt. Die rasante Entwicklung gipfelte 1928 in der Inbetriebnahme der Kleinbahn Gransee–Neuglobsow, die Zigtausende von Erholungssuchenden hierherbrachte, 1945 allerdings als Reparationsleistung komplett demontiert wurde.

Und heute? Neuglobsow ist ein beliebter staatlich anerkannter Erholungsort. Es gibt ein überschaubares Angebot an Lokalen und Unterkünften. Neben der 1779 eröffneten Gaststätte, heute Fontanehaus, wo der Dichter zweimal Quartier bezogen haben soll – Spezialität ist die als „Fontane-Schmaus“ angepriesene, mit Speck und Porree gefüllte Rinderroulade –, kann man im Lui­sen­hof, in diversen Ferienwohnungen und Privatzimmern unterkommen.

Wenn du morgens rausfährst und die Vögel hörst, möchtest du mit niemandem tauschen

Rainer Böttcher, Fischer

„In der Saison könnten wir schon noch das eine oder andere Hotel brauchen“, heißt es in der Touristeninformation. Aber im Herbst lasse die Nachfrage merklich nach. Dann macht Neuglobsow einen sehr beschaulichen Eindruck. Und auch das dürfte in gewisser Weise dem Dichter geschuldet sein. Einerseits hat er mit seinem Werk den Großen Stechlinsee bekannt gemacht, andererseits aber auch bewirkt, dass der frühzeitig – 1938 – unter Naturschutz gestellt wurde.

Fontane-Events

Zwar hat auch das nicht verhindern können, dass zu DDR-Zeiten ganz in der Nähe ein Atomkraftwerk errichtet wurde: längst stillgelegt, aber noch nicht ganz zurückgebaut, sodass aus dem Wald unheimliche Türme ragen. Doch das Ufer blieb unverbaut. Spätestens mit der Gründung des Naturparks Stechlin-Ruppiner Land wurde 2001 auch weiteren Landschaftszerstörungen ein Riegel vorgeschoben.

So ist es ein Genuss, auf dem Uferweg in rund drei Stunden den See zu umrunden – auch und gerade an schönen Wintertagen, wenn alles still ist. Wer weiß, wie viele Neugierige sich mit der Fontane-App auf den Weg machen, wenn in diesem Jahr der 200. Geburtstag des Dichters gefeiert wird!

Jedes Stück Brandenburg, das der Dichter in irgendeiner Weise durch seine Werke geadelt hat, wird sich in das Jubiläumsprogramm einreihen. Mit Ausstellungen, Lesungen, Theaterstücken, Installationen und kulinarischen Spuren­suchen ­bestücken die unterschiedlichsten Orte die nächsten zwölf ­Monate mit Fontane-Events. ­

Tatsächlich ist Brandenburg dem Dichter zu Dank verpflichtet. Mit seinen „Wanderungen“ hat er die Mark überhaupt erst auf die touristische Landkarte gesetzt. Ohne die vier Bände mit je 400 bis 600 Seiten, die er dem Land zwischen Oder und Elbe gewidmet, im Lauf von Jahr­zehnten immer wieder ergänzt und aktualisiert hat, würde vielen wohl heute noch Brandenburg als Pampa ­gelten.

Dabei sind seine „Wanderungen“, die er eher in der Art eines modernen Freelancers recherchiert hat, ein merkwürdiges narratives Konstrukt: ein kunterbunter Mix aus Reportage, Anekdoten, Auszügen aus Kirchen- oder Tagebüchern einschließlich seitenlanger, ermüdender Schlachtenbeschreibungen. Aber gerade diese unorthodoxe Art von Reiseliteratur hat mehr Wirkung gezeigt als alle möglichen Hochglanzbroschüren der Tourismuswerber.

Vielleicht, weil der Autor die bedeutenden Städte wie Potsdam ausgelassen, sich auf weniger bedeutende, auch unscheinbare Orte konzentriert und auch solche erwähnt hat, die so langweilig sind, dass sie nicht leben und nicht sterben können.

Gleichzeitig nimmt er ein hochaktuelles Marketinginstru­ment vorweg, das Story­telling. Indem der Autor Geschichten von Land und Leuten erzählt, dabei Testimonials von Wirtinnen, adligen Schlossherrn oder gesprächigen Kutscher anführt, hat er den Orten ein Gesicht und dem Land eine Identität gegeben. Ähnliches haben seine Romane, Erzählungen und Gedichte bewirkt. Was wäre Ribbeck heute ohne die Ballade vom Birnbaum und dem gutmütigen Gutsherrn?

Es wäre irgendein Ort, aber nicht die schmucke Visitenkarte des Havellands, zu der es sich nach der Wende gemausert hat, weil die Bewohner – und allerlei Zugereiste – dort die Legende vom Birnbaum weitergesponnen haben. Nun helfen sie die Sehnsucht stillen, die Fontane mit seinen Zeilen erzeugt hat. Dem Beispiel des Bilderbuchdorfs versuchen nun auch andere zu folgen. Karwe, Paretz, Plaue – sie alle sitzen in den Startlöchern, um sich im Fontane-Jahr neu zu positionieren. Nur gut, dass der Große Stechlinsee nicht angetastet werden darf. Fontane sei Dank!

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