Theatertreffen in Berlin: Das Fieber, der Wahn, der Sex
Mit der letzten Aufführung von Frank Castorfs „Baal“-Inszenierung und der „Lächerlichen Finsternis“ von Wolfram Lotz endet das Theatertreffen.
„Geschichten, die man versteht, sind nur schlecht erzählt. Schon wieder so ein Satz aus der Konzeptprobe“, stöhnt übel gelaunt der Dämon, die Schauspielerin Bibiana Beglau, in „Baal“. Gerade hat ein Kollege eine Kiste in eines der vielen im Bühnenbild versteckten Kabuffs geschleppt und „500 Seiten Fremdtexte“ auf den Tisch geknallt. Empörtes Abwinken allgemein, wegen Franks Hang zum Fremdtext – mit Frank ist Frank Castorf gemeint –, ist dies ja die letzte Aufführung von „Baal“. Der Suhrkamp Verlag hat weitere Vorstellungen untersagt, mit gerichtlicher Unterstützung, um Brechts Urheberrechte zu wahren. Die letzte Genehmigung galt der Aufführung in Berlin, beim Theatertreffen.
Das Publikum im Haus der Berliner Festspiele weiß den Einschub zu schätzen. Nicht bitter, nicht beleidigt geht Frank Castorfs Inszenierung aus dem Residenztheater in München mit ihrem Ende um, sondern selbstironisch und bissig. Jetzt ist sie auf Tuchfühlung mit ihrem Publikum; aber da hat sie auch lange für kämpfen müssen. Denn einfach ist es nicht, in dieser Schichtung aus Texten und Bildern, aus Brechts expressivem „Baal“ und „Apokalypse now“, dem über lange Szenen nachgespielten Film von Francis Ford Coppola, ein Bein auf die Erde zu kriegen.
Großartig ist das Bühnenbild von Aleksandar Denic, ein abgestürzter Hubschrauber, an den nasse Unterstände, Opiumhöhlen, Speisezimmer und Radiostationen andocken. Visuell witzig sind auch die Verschränkungen von Filmzitat und Bühnengeschehen in den Videos.
„Good Morning Vietnam“ beginnt eine Szene, akustisches Aufputschmittel pocht durch die Mikros, aber schnell beginnen die Texte zu driften, verlieren sich zwischen Träumen und Wäldern, grausige Visionen brechen mitten in die Sätze ein. Das ist Bertolt Brecht, das ist sein Baal, der Dichter, der im Reden und im Rausch dauernd die Grenze zwischen Ich und Welt aufbricht, mit der Landschaft verschmilzt und mit den Gestorbenen und dabei alle Unterscheidungen verliert, auch die moralischen.
Geruch des Todes
Das ist auch die Schnittstelle zwischen Brechts Text in der Tradition der Poètes maudits und Castorfs Bildern über den Vietnamkrieg: der Gestus des Überschreitens, des Außer-sich-Seins. Der Schnaps des Dichters und die Drogen der Soldaten verstärken nur, was schon da war, den Kampf gegen Angst, Orientierungslosigkeit und den Geruch des Todes.
Castorfs „Baal“ unterlegt dem Text eine prophetische Dimension, lässt die mit sexueller Gier, Amoralität und selbstzerstörerischer Lust aufgeladene Sprache in einem Krieg laufen, der seine eigenen Fantasien von der Freisetzung des nicht mehr zu bändigenden Bösen hervorgebracht hat.
Doch bis man sich das zusammendenken kann, ist schon viel Text vorbeigerauscht; oder ausgespuckt wie in Anfällen, derweil die Körper der Spielenden sich in Kopulationen verhaken. Das Fieber, der Wahn, der Sex, sie sind immer schon da, auf der Bühne, aber der Verstand hinkt hinterher. Mit ihm das Vermögen des Zuschauers, sich mit diesem Denken in Bildern und Stimmungen treiben zu lassen.
Auch die „Lächerliche Finsternis“ von Wolfram Lotz bezieht sich auf Coppolas Film, fordert aber den Verstand der Zuschauer mehr. Lotz’ fintenreiche Sätze dringen wie Pfeile mit kleinen Widerhaken ins Hirn ein, verhakeln sich mit gewohnten Denkrichtungen, zerren daran und stiften Verwirrung. Die Produktion war aus dem Burgtheater Wien zum Theatertreffen eingeladen, es war das erste Mal für Dusan David Parizek.
Mehr als ein Gendermix
Dass der Regisseur den Text von Lotz, in dem es nur Männerrollen gibt, Offiziere, Piraten und Missionare, von vier Schauspielerinnen spielen lässt, ist mehr als ein modischer Gendermix. Weil er die diffuse wie unausgesprochene Vorstellung, Frauen könnten sich wie auch immer von den Zumutungen einer militärischen Logik freihalten, durchbricht, hört man den Reden anders zu und spürt verschärft das Unangemessene der Sprechweisen.
Lotz erzählt von einer Reise in geheimer Mission, die ein Bundeswehroffizier (Catrin Striebeck) durch Afghanistan machen muss. Die Stellvertreter europäischer Mächte, denen er begegnet, ergehen sich in rassistischen Tiraden gegen die Eingeborenen oder verlieren sich in dunklen Träumen, die vielleicht auch von der Angst vor sich selbst handeln.
Der Text, ursprünglich ein Hörspiel, wird als postkolonialistische Farce gelesen, in der das Unvermögen, Ungerechtigkeiten wie das Leerfischen der Meere in der globalisierten Welt zu regeln oder Ausbeutungen wie der Arbeiter beim Coltanabbau zu verhindern, zu neuen rassistischen Ausfällen führt. Dorothea Hartinger spielt diese überforderten Typen in gnadenlosen Karikaturen, durch verschiedene Dialekte wuselnd, die das Exotische ihrer Situation irgendwie als hausgemacht markieren. Die Funktion des comical reliefs im Angesicht globaler Konflikte wird selten so fett ausgespielt.
Das beginnt schon beim ersten Monolog, wenn die junge Schauspielerin Stefanie Reinsperger in Wiener Dialekt, Jogginghose und mit großer Wurstigkeit sich als Pirat aus Somali vorstellt, der vor einem Gericht in Hamburg für Verständnis für seine Situation wirbt. Die Asymmetrie der Machtverhältnisse kontert sie durch die Souveränität des Auftritts, als Pirat mit Diplom auf Augenhöhe mit den Richtern.
Wer spricht für wen?
„Die lächerliche Finsternis“ ist kein perfektes Stück, will es auch nicht sein. Lotz selbst wirft Gegenstimmen ein, über das fragwürdige Verhältnis von Imagination und Realität, von deren medial gespiegeltem Bild und der Kunst. Damit passte er gut in eine Ausgabe des Theatertreffens, die gerade dort, wo es politische Aktualität für sich beanspruchen konnte, oft die Frage aufrief, wer für wen sprechen kann, wer wen repräsentieren darf.
Das Theatertreffen präsentiert eine Auswahl von Theaterkritikern. Es macht damit Theater wichtig – aber es wäre gerne mehr. Das zeigte dieses Jahr der Versuch, politische Bewegung anzustoßen, indem nach jeder Vorstellung ein Appell an die Bundesregierung vorgelesen wurde, ihre Flüchtlingspolitik zu ändern.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!