Theaterstück über die Zukunft der Pflege: FP3 soll’s richten

Das Staatstheater Oldenburg beschäftigt sich mit der Zukunft der Pflege. Das Stück „Requiem.exe“ versucht, etwas Optimismus in die Debatte einzubringen.

Ein Roboterarm auf einer rot beleuchteten Bühne.

Leerstelle Mensch: Der siebengliedrige Roboterarm FP3 bleibt auf der Oldenburger Bühne allein Foto: Stephan Walzl

Keine bloße theatrale Fantasie: Die Zahl der pflegebedürftigen Menschen in Deutschland wird sich von derzeit rund fünf Millionen Menschen auf knapp sieben Millionen im Jahr 2055 erhöhen. Denn die Lebenserwartung steigt weiter, die geburtenstarken Jahrgänge der „Baby­boomer“ gehen in Rente. Ein Mehrbedarf von 300.000 Pflegekräften ist dafür prognostiziert, von denen derzeit 1,7 Millionen sozialversicherungspflichtig in Deutschland beschäftigt werden. Was laut Gewerkschaft schon jetzt 100.000 zu wenig sind, aus Sicht des Berufsverbandes der Pflegeberufe sogar 200.000 zu wenig.

Der Mangel wird sich laut der Bundesagentur für Arbeit weiter vergrößern, derzeit kommen auf 100 gemeldete freie Stellen nur 33 entsprechend ausgebildete Arbeitsuchende. Zudem gibt es Fluchttendenzen: In einer 2021 veröffentlichten Studie gaben 40 Prozent der befragten Pflegenden an, den Beruf wechseln zu wollen – physische und psychische Überlastung und dazu noch die arg geringe Bezahlung. Ein brisantes Thema, mit dem sich auch Theater nicht so gern beschäftigen – weil auch die Tickets kaufenden Menschen sich damit nicht so gern beschäftigen. Werden sie doch möglicherweise unangenehm daran erinnert, dass sie selbst alt, gebrechlich, hilfsbedürftig werden – und würdelose letzte Jahre befürchten müssen.

Vielleicht auch deshalb ist die Premiere von „Requiem.exe“ im Technical Ballroom des Oldenburger Staatstheaters nur so schwach besucht gewesen. Dabei versucht Regisseur Kevin Barz dezenten Optimismus in die Debatte einzubringen, in Kooperation mit dem Oldenburger Forschungs- und Entwicklungsinstitut für Informatik-Werkzeuge und -Systeme (Offis) wird da für den Einsatz von Robotik, Mechatronik und künstlicher Intelligenz plädiert

„Guten Morgen“, frohlockt eine Pflegerin aus den Lautsprechern. „Na, wie isses?“ – „Noch müde?“ – „Ich mache mal das Licht an.“ – „Ich bringe schon mal die Pillen.“

Der leiernde, distanziert Nähe betonende Singsang des Heimpersonals wird geremixt und unter zeitlupige Videos gelegt, die den Arbeitsalltag in Oldenburger Pflegeheimen zeigen. Dazwischen geschnitten ist, wie sich vom Leben schrundige Hände streicheln. Es sind Bilder mit eigentümlichen Farbverschiebungen und Doppelbelichtungseffekten.

Sogar streicheln kann der Roboterarm

Dazu erklingt eine Mischung aus automatisiertem Glockenspiel und Klöter-Perkussion: Auf 24 Lichtstäben ist jeweils ein Drumstick montiert, der auf einen Klangstab schlagen kann, wodurch Notruf-Klingeltöne entstehen. „Ele Meta Phone“ hat Komponist Daniel Dorsch sein elektroakustisches Instrument getauft. Den natürlichen Klang des rhythmisch-melodischen Spiels überwölbt er mit brummenden, summenden oder wallenden Synthesizer-Sounds.

Bis die Videos zu fetten Beats pulsieren. Dann übernimmt ein von den Pflegekräften gewünschter „helfender Arm“: der siebengelenkige Industrieroboter „FP3“. Die Offis-Leihgabe ist Hauptdarsteller auf der menschenleeren Bühne. Eingeblendet wird die Aussage einer Pfleger:in, sie erfülle ihre Arbeit „wie ein Roboter“. Und da, so legt „Requiem.exe“ nahe, könne doch gleich ein solcher eingesetzt werden.

Weil FP3 aber „sehr dumm ist“, wie Barz sagt, musste vorab minutiös programmiert werden, wie er jetzt zu fröhlich blubbernder Musik tänzerisch-elegant seine Fähigkeiten darbietet: Tabletten in Döschen füllen, Möbel verrücken, putzen, Deo versprühen, auch einen Lappen aufheben, nass machen und damit herumruckeln – also einen Menschen waschen. Den kann FP3 auch in einen Rollstuhl heben oder auf die Toilette; die Zähne putzen, Essen servieren und ihn füttern. Auch mit einer Plastikhand kann der Roboterarm streicheln.

Das Objekt solcher Pflege muss aber wohl erst noch erfunden werden. Jedenfalls stellt sich Barz während der Aufführung auf der Bühne eine Menschenfigur her, per 3-D-Drucker, mit dem auch das Pflegezimmer-Miniatur-Bühnenbild gefertigt wird.

Ganz bewusst wird so die Leerstelle Mensch betont. Die Performance sieht super aus, klingt auch gut – aber für den Theatereinsatz reicht es nicht, nur dezent kritisch einige Möglichkeiten anzudeuten, wie sich Pflegekräfte entlasten lassen könnten. Es müssten auch Probleme, Gefahren und ethische Fragestellungen benannt werden. Das aber unterbleibt, und so wirkt „Requiem.exe“ am Ende wie eine FP3-Messepräsentation.

“Requiem.Exe“. Weitere Vorstellungen: 2., 4., 6. + 8. 6., Oldenburg, Technical Ballroom, Johannisstraße 6

Es ist die letzte von acht Produktionen im „Technical Ballroom“, der von einer Videowall gezierten Raumbühne in der „Exhalle“ des Theaters. Um die spartenübergreifenden Arbeiten kümmern sich Barz als künstlerischer Leiter, je eine Regie- und Aus­stat­tungs­as­sis­ten­t:in sowie drei Techniker:innen.

Die „Tagesschau“ haben sie hier schon als „Live-Deep-Fake“ mit positiven Nachrichten inszeniert, Obdachlosigkeit im interaktiven Game-Format behandelt, Klimawandel-Daten per Algorithmus in Musik überführen lassen, Fotoausstellungen durch KI kuratieren lassen, solche Sachen.

Rund 3.500 Be­su­che­r:in­nen konnte Barz bisher begrüßen, „auch ganz normale Abonnenten“. Er spricht von einer 75-prozentigen Auslastung und insgesamt 15 Prozent mehr Zuschauer:innen, als die Schauspiele vor Corona auf der heutigen Technical-Ballroom-Bühne angezogen hätten.

So viel Erfolg wird belohnt: Das Projekt geht weiter. Nach der Förderung durch die Kulturstiftung des Bundes übernimmt das Staatstheater die Finanzierung. Drei Premieren sind angekündigt. Zusammen mit den Wiederaufnahmen der zuvor nur en suite gespielten Produktionen kann ab Herbst ein richtiges Repertoire angeboten werden – an der Schnittstelle von analogem Theater und digitaler Technik.

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