Theaterstück in Braunschweig: Empörungspanorama
Wütende Kommentarspalten im Internet dienten Caren Jeß als Inspiration für „Eleos“. Zu sehen ist das Stück am Staatstheater Braunschweig.
Ach, dieser Rotz und der faulige Missmutgeschmack im Mund, der Aggressionsschaum davor, diese Angstwutklößchen und bitteren Enttäuschungskrümel im Hals, der Beschimpfungsschorf auf den Lippen, Stresseiterbeulen und Jähzornbrei im Magen.
All das und noch viel mehr muss raus aus dem grummelnden Körper zur Entspannung der Befindlichkeit. Denn wer keinen sozial kompatiblen Ausdruck fürs innere Poltern, Nagen und Beben findet, der ist gefährdet, selbstzerstörerische Verhaltensweisen wie Sucht- und Essstörungen oder Depressionen zu entwickeln. Sagen Ärzte.
Und das denkt wohl auch die gebürtige Eckernförderin Caren Jeß. Dramatisiert sie doch mit artifiziellen Sketchen in stilistisch stets neuer Spielart die dem Alltag abgeschauten Artikulationsmuster und Verhaltensweisen von Menschen in Rage. Aber die Autorin lässt das eben nicht erscheinen wie Psychodreck, Charaktermangel, vierte Todsünde, sondern so, als würde Gold den Kehlen der nervlich Überforderten entströmen.
Natürlich nicht inhaltlich, aber formal gülden glitzern lässt sie den leisen Grimm zwischendurch wie auch den großen destruktiven Furor. Sprachspielerisch und -musikalisch sowie mit feinem Humor komponiert Jeß die Momente heftiger Emotionen und betitelt das Kompendium „Eleos. Eeine Empörung in 39 Miniaturen“. Am Staatstheater Braunschweig feiern die Empörungsmonologe, -dialoge und -chöre ihre deutsche Erstaufführung.
Empörung als Bindemittel populistischer Gruppierungen
Die Exaltationen starten mit genervt gestöhnten „or“, weil jemand den letzten Kaffee ausgetrunken hat oder ein Kind nicht lernt, auf Französisch bis 3 zu zählen.
Auf der anderen Seite der Empörungsskala klingt etwa die große Schimpfsuada gegen Bauarbeiter so: „Mit all ihren scheißmeganervtötenden Geräten / sollen sie alle / zur Hölle / fahren / sich bohren / sich da reinpresslufthammern / in den Abgrund des ewigen Feuers / da sollen sie / alle das / alles das / Magma / exen!“ Zugespielte Musik erzeugt angstflirrende Atmosphäre.
Natürlich will die Autorin den Jammer, wofür Aristoteles einst den Begriff Eleos benutzte, nicht nur rauslassen. Ist Empörung doch beispielsweise auch Bindemittel von populistischen Gruppierungen. Gerade weil sie Menschen so machtvoll in Aufruhr bringt, kann sie Aufregung in Verbitterung, Ausgrenzung in Hass und die Kraft, gesellschaftliche Veränderungen in Gang zu setzen, in Fanatismus umschlagen lassen.
Da diese negativen Effekte der Affekte bekannt sind, setzt Jeß nicht auf die Moralkeule, sondern deutet die Empörungsinhalte jeweils nur an. Auch das spielfreudige Darstellerquintett zeigt nie die Fratze der Aufgebrachtheit, also den mit errötender Haut, zitternder Stimme, beschleunigtem Atem, geblähten Nasenflügeln, stechendem Blick in den Flucht-/Angriffsmodus wechselnden Menschen, sondern spielt leiser, feiner, um Hinhören und Losdenken zu ermöglichen, damit sich Einsichten in unsere Schwachstellen vermitteln.
„Feministische Frauen sind doof!“
Etwa bei Teenies. Aufgereiht wie Hennen auf einer Stange ätzen sie gegen die Feinde ihres Wahns, „Star“ oder „Prinzessin“ sein zu wollen: „Feministische Frauen sind doof! Sie sind solche Spielverderber! Sie sehen hässlich aus! Und ihre Sternchen sollen sie sich in den Poschi drücken.“
In der Bühneninstallation, einem aus dreieckigen Holzgittern gezimmerten Kletterhügel, erklingt bald „Es reicht mir“, das aber nicht als Fremdschämen dem pubertären Gegacker gilt, sondern mit der Wendung „Es reicht nicht“ dem hinzutretenden Lebenspartner zugeignet wird.
Beziehungskrise ist nun zu spielen und der Frust ungelebten Liebeslebens mit filmmusikalischem Pathos zu konterkarieren. Später beschimpfen Zirkusartisten wie erstarrte Beckett-Figuren wahllos Passanten – das ist ihre Art, mit den Enttäuschungen eines entbehrungsreichen Außenseiterdaseins und den Anklagen wegen angeblicher Tierquälerei umzugehen.
Mitleidiges Lächeln provoziert hingegen ein Paar, das Emojis sowie Chatfloskeln hin und her schickt und dabei ein Liebeslied trällert – unfähig, sich über Gefühle auszutauschen. Eindrucksvoll zudem, wenn das Ensemble brav auf der Stelle marschiert, Befehle skandiert, aber auch politisch anmerkt, „was wir links liegen lassen, taucht rechts wieder auf“.
Discogetue und sexuelles Miteinander
So kommen alle vorschriftsmäßig marschkritisch aus dem Sprech- und Bewegungstakt, den ein Techno-Beat wieder aufnimmt. Sofort fallen die Darstellenden in Discogetue und konstatieren entsetzt, wie kompliziert sexuelles Miteinander anzubahnen und auszugestalten ist.
Auch strukturiert im „klock / klock“-Rhythmus eines Tennismatchs ist Empörung zu erleben, indem zwei Spielerinnen für jeden Schlag reichlich Wutkraft evozierende Erinnerungen aus dem Gedächtnis kramen. Ganz leise erklingt Traurigkeit, wenn Kühe wie Menschen ihr Leben besingen: „Wir käuen / wir k käu / k k käu / wir k käuen / k k käu / k k / käu / wir käuen wider“.
Aber das Empörungspanorama unserer erregten Gesellschaft wirkt final ratlos. Vielleicht weil die Proben von Corona arg beeinträchtigt wurden. Regisseur Nils Zapfe findet für einige Miniaturen der herrlich disparaten Partitur sinnfällige, für andere schlichte Umsetzungen, für wiederum andere hat er keine Ideen oder streicht einfach Text. Alle Veränderungen in Spiel- und Sprechhaltung sowie Kostümierung bleiben äußerlich – und folgenlos.
Nie findet der Abend inszenatorisch in einen amalgamierenden Flow für das wortakrobatische Szenen-Puzzle, alles bleibt Stückwerk und die Empörung vor allem Anlass für spaßige Entinnerlichung eines grundsätzlichen Unbehagens. Chronisch ironisch statt ansatzweise kathartisch.
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