Theaterstück „Pride“ von Falk Richter: Nichts ist normaler als queer
Zu Beginn der Intendanz von Vasco Bönisch zeigt das Staatstheater Hannover erstmals auf Deutsch Falk Richters „Pride“. Ein Wagnis ist das nicht.

In diese Beziehung ist die Krise längst eingezogen. Hat es sich ungemütlich gemütlich gemacht, in den tiefen Taschen der Baggy Jeans und im grellen Neongelb der Jogginghosen. Exaltierte Besserwisser-Brillen haben den Blick geschärft auf alles Unperfekte von Partner*in oder Partner. Da hilft kein noch so gefühliges „Ich höre das und es darf hier sein“ und erst recht kein „Ich möchte dir danken. Für diesen Raum, den du gibst“.
Die Krise ist längst sesshaft geworden bei dem von Leyb Elias und Shirin Eissa gespielten, queeren Paar aus Falk Richters Stück „Pride“. Schrecklich geübt ist es in Ich-Botschaften und in gewaltfreier Kommunikation.
Zur deutschen Erstaufführung gebracht hat Richter – nach der Uraufführung 2021 in Kopenhagen – „Pride“ nun selbst, und zwar zur Eröffnung der Spielzeit am Staatsschauspiel Hannover. Es ist zugleich der Auftakt der neuen Intendanz von Vasco Bönisch. Der vormalige Chefdramaturg am Schauspielhaus Bochum folgt auf Sonja Anders, die das niedersächsische Theater sechs Jahre lang geleitet hat.
Präzise seziert Falk Richter in „Pride“ den Zustand mancher, queerer Paare oder solcher, die es werden könnten. Erzählt von verblasster Leidenschaft und verletzten Gefühlen, von verborgenen Wünschen und von häuslicher Gewalt. Schließlich leben (auch) diese Paare in mehr oder weniger „normalen“ Beziehungen, in denen ein „Alles, was ich sagen wollte, ist, dass du ein bisschen weniger Weißbrot abends essen solltest“ zum ultimativen Beziehungskiller werden kann.
Fakten und Persönliches
Schön ist das nicht. Und nicht besonders schillernd – auch wenn das die grellen Kostüme von Andy Besuch vermuten lassen. Tatsächlich inszeniert Richter seine Einblicke in die queere Community mit Alltagssorgen, Bodenhaftung und auch mit feiner Ironie. „We don’t have to be better people just because we are queer“, heißt es in einer dieser kaleidoskopartig angeordneten Szenen. Und dieser Satz macht klar, wie ähnlich alles Zwischenmenschliche ist. Ganz egal, ob regenbogenbunt, hetero-normativ oder rentnerbeige.
Mit „Pride“ hat Richter einen so strahlkräftigen wie ehrlichen Abend geschaffen, der neben den pointiert inszenierten Paarszenen angefüllt ist mit aufklärenden Fakten über Queerness und Transition, über Stigmatisierungen, Ausgrenzungen und Übergriffe, über unsichere Identitäten und beunruhigende Testosteron-Treatments.
Es ist ein Abend, der außerdem sehr persönliche Performer*innen-Biografien als fragile Monologe auf die Bühne bringt, sie dort auf Tanzeinlagen, Bronski Beat und literarische Richter-Texte treffen lässt und so immer wieder die Grenze zwischen Authentizität und Figurenspiel verwischt.
Und es ist ein eindringlicher Abend, der einer Mehrheitsgesellschaft von einer Minderheit erzählt – mit herausragenden Gesangseinlagen von Jonathan Eduardo Brito und Shirin Eissa! – von queerer Geschichte und Gegenwart, von Coming-outs in Niedersachsen und von Neonazis in Bautzen.
Rausch im fluiden Raum
Wolfgang Menardi hat für diesen gleichermaßen dokumentarischen, appellativen und rauschhaften Abend ein fluides Raumgebilde aus metallenen Rahmen entworfen. Auf weißem Lackfolienboden stehen Stühle, Spiegel und viele, bedeutungsvoll flackernde Grabkerzen. Mittendrin hängt eine Discokugel, ragen zwei pinkfarbene Baumstämme trostlos in Richtung Bühnenhimmel.
„Pride“, Staatstheater Hannover, Schauspielhaus, wieder am 27. 9., 19.30 Uhr
Die sieben überzeugenden Spieler*innen und Tänzer*innen verirren und verlieren sich in diesem Labyrinth wie in dem der Identitäten. Sie suchen nach Halt und echten Gefühlen, nach Wegen aus der Einsamkeit und nach gesellschaftlicher Akzeptanz. Extrem lässig changieren ihre Looks zwischen Glamour, Camp und Glitzer, zwischen Turnschuhen, High Heels und Plateau, erzählen von Identität, Sex und Geschlecht, von Angst, Freiheit und Widerstand.
„Pride“ ist fern von Schulstoff oder Shakespeare. Doch seine theatralen Allies sind für Hannover nicht neu: Man findet sie in Matthew Lopez’ Netflix-glatt komponiertem, queeren Epos „Das Vermächtnis“, das Sonja Anders in der Regie von Ronny Jakubaschk 2022 auf den Spielplan gesetzt hatte, oder in Ran Chai Bar-zvis berührender Bühnenadaption von Kim de l’Horizons „Blutbuch“ aus dem Jahr darauf.
Mit „Wenn man etwas riskiert, dann muss man es am Anfang riskieren“, zitiert Vasco Bönisch in seiner Begrüßungsrede seinen Vorvorgänger, den Intendanten Ulrich Khuon, und labelt diesen Auftakt als „auch ein bisschen Risiko“.
Das stimmt nicht wirklich. Aber ein klares Bekenntnis, wohin die Reise geht, ist es durchaus. Und zum Spielzeitmotto „Liebe will riskiert werden“ passt’s auch. Denn von der Liebe erzählt „Pride“ durchaus: brüchig, unruhig, menschlich und stolz.
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