Theaterstück „Die gläserne Stadt“: Hanseaten auf Kollisionskurs

Das Hamburger Schauspielhaus widmet sich in dem Stück „Die gläserne Stadt“ dem Cum-Ex-Steuerskandal. Herausgekommen ist ein unterhaltsames Spektakel.

Christoph Jöde, Ute Hannig und Lina Beckmann stehen hinter einem Geländer und blicken pikiert.

Famos bediente Komödienmechanik: Christoph Jöde, Ute Hannig und Lina Beckmann im Stück „Die gläserne Stadt“ Foto: Thomas Aurin

Es war mit vielen Milliarden Euro der wohl größte Diebstahl von Steuern im Nachkriegsdeutschland. 2021 erklärte der Bundesgerichtshof die „Cum-Ex“-Geschäfte für strafbar. Wie sie funktionierten, ist inzwischen gut aufgearbeitet, auch die Täter aus dem Milieu der Hamburger Privatbank M.M. Warburg sind bestens bekannt – nicht zuletzt dank Helge Schmidts theatraler „Recherche zum entfesselten Finanzwesen“ am kleinen Hamburger Lichthof-Theater 2018, Titel: „Cum-Ex Papers“.

Ob Olaf Scholz in seiner Zeit als Hamburgs Erster Bürgermeister daran beteiligt war, Schadensbegleichungen zu verhindern, darüber wird weiterhin gestritten – der SPD-Politiker, heute bekanntlich Kanzler, kann sich auf Nachfragen an nichts erinnern. Die ersten Verantwortlichen sind allerdings bereits verurteilt worden, weitere Verfahren laufen.

Inhaltlich scheint das Thema durchdekliniert. Und auf der großen Bühne geht es wohl nur noch als Satyrspiel. Felicia Zeller erhielt den Auftrag dazu, vielleicht weil sie sich mit „Der Fiskus“ – Uraufführung 2020 am Staatstheater Braunschweig – beeindruckend komödiantisch der Steuerkriminalität angenähert hatte: Für das Deutsche Schauspielhaus überschrieb sie nun Nikolai Gogols Gesellschafts- und Verwechslungskomödie „Der Revisor“ (1835). Aus der korrupten Gesellschaft Russlands werden also polit-ökonomische Kabale im heutigen Hamburg. Einige Figuren und die grobe Handlungsstruktur der Vorlage bleiben dabei zu erkennen – und umso weniger vom Text.

Herrlich vermittelt aber Zellers frisch rhythmisierte Sprache mit den nicht zu Ende geführten Sätzen, wie die Floskelei ins Leere läuft. Sehr hübsch passt das für Olaf-Scholz-mit-Augenklappe (Samuel Weiss); andere sagen mit minimalem Wortaufwand maximal wenig oder heben zu Ausreden an, in Lügen sich verheddernd. Es fehlt auch nicht an üblichen Drohungen: Würden die Bosse belangt, hätte das schlimme Folgen für Arbeitsplätze und Wirtschaftskraft!

„Die gläserne Stadt“: wieder am 16. + 29. 6. sowie 7. 7., Hamburg, Deutsches Schauspielhaus

Das Ensemble kreiert eine Ansammlung von Pfeffersack-Karikaturen, mal mit weiß besockten Füßen und noch weißerem Gebiss sonnenbankbraun debil dauergrienend, mal mit Zigarre oder Pfeife als Spott-Kapitalist. Hinzu gesellt sich ein windig eitler Jurist oder eine devote Ärztin, deren Klinik am Tropf der Börsengeschäfte hängt. Nicht fehlen darf auch der Hochstapler, der als neues Wahrzeichen den „Nasenturm“ bauen will.

Im Programmheft sind die Rollen-Vorbild-Klarnamen bewusst ungeschickt unkenntlich gemacht, also gut lesbar. Virtuos parodistisch widmet sich Lina Beckmann als „Dr. Bernd Baktus“ dem Bankier Christian Olearius – der Warburg-Miteigentümer steht in Bonn vor Gericht wegen Hinterziehung in Höhe von knapp 280 Millionen Steuer-Euro –, prototypisiert zu einem dickhodigen Kaufmann im hanseatischen Gewand.

Auf ganz andere Art überzeugt Carlo Ljubek als Chlestakow: Wie bei Gogol für einen Revisor gehalten, respektive nun für einen Steuerprüfer, ist er eigentlich ein obdachloser Migrant, im Schiffsbauch hausend, wohin sich auch der Hamburger Geldadel zurückgezogen hat. In der Hoffnung, er wäre wie sie, also bestechlich, lassen die Anwesenden reichlich Geldscheine flattern und verteilen Geschenke. Chlestakow nimmt, was er kriegen kann und führt die selbstverliebten Snobs wie ein Dompteur durch die Bühnenmanege.

Noch nie wurde wohl eine sprachlich so feine Satire Zellers so pompös hergerichtet wie jetzt von Regisseur Victor Bodo: Seine Ausstattungs- und Effekte-Opulenz hat fast Musicalausmaße, entsprechend wird auch solistisch gesungen und getanzt; „De Hamborger Veermaster“ dann singt das Publikum mit. Beeindruckend auch die für Bodo typischen surrealen Szenen. Und das Publikum amüsiert sich köstlich über die mit großer Theaterliebe verhohnepiepelte Geldaristokratie, die so hinterhältig wie kaltblütig auf ihren Vorteil bedacht ist. Den Zusehenden indes verkünden Zeller wie Gogol: „Ihr lacht doch über euch selbst!“

Slapstick-Einlagen und Sprachspielkalauern

„Die gläserne Stadt“ bedient die Komödienmechanik famos, von der Figurenzeichnung über Slapstick-Einlagen und Sprachspielkalauern bis hin zur klamaukigen Ekstase. Kokain wird zu einer armdicken Line auf den Boden gekippt, sodass alle ihre Nase darin baden und sich zusätzlich hemmungslos besaufen, während der Bürgermeister und die Steuerbehörden-Chefin ihr zukünftiges Vorgehen ausfechten, und das Schiff Kollisionskurs auf die Elphi nimmt.

Es ist ein die Albernheit nicht scheuendes Spektakel am Rande der Farce. Die Spaß-Offensive macht es sich zwar einfach, liefert keine neuen Erkenntnisse, bietet aber eine sehr unterhaltsame Abrechnung mit der Kungelei. Über all das mal herzhaft empört lachen zu können, ermöglicht befreiendes Durchatmen – ohne die Betrügereien am Gemeinwohl irgendwie abzumildern.

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