Theaterstück „Bernarda Albas Haus“: Von der Mutter eingesperrt
Ein erschütternder, provokanter Abend über Geschlechterrollen und Gewalt: „Bernarda Albas Haus“ am Hamburger Schauspielhaus.
Das wird kein netter Abend in „Bernarda Albas Haus“: Unheil grummelnd kommt die Musik daher, aggressives Männergelächter weht vorüber. „Wenn du weinen willst, kriech unter dein Bett und steck dir die Faust in den Mund. Wisch dir die Tränen ab“, sagt Mutter Bernarda – 1. Szene, 1. Satz – zu einer Tochter, da haben sie gerade den Vater beerdigt. Eine Folge: Acht Jahre lang darf keine Frau das Haus verlassen.
Ihren fünf Kindern sucht die Matriarchin (Julia Wieninger) die Gefühle auszutreiben, sie von der Außenwelt abzuschotten und dabei eine Fassade absoluter Tugendhaftigkeit aufrechtzuerhalten. Dafür ist die Bühne so beeindruckend wie bedrückend hergerichtet: Sie zeigt den Querschnitt durch zwei Etagen eines Hauses und liefert in dialogischer Polyphonie vielfältige Einblicke in die Parallelhandlungen, mit denen Küche, Esszimmer, Hof und Gefängniszellen-Klausen eindrucksvoll simultan bespielt werden.
Die demente Großmutter (Bettina Stucky) hat sich längst in eine eigene Welt geflüchtet und die Töchter wissen gar nicht, wohin mit ihrer Lebenslust: Sie verzehren sich nach den abwesenden Männern, posieren hinter den verschlossenen Türen dieses Treibhauses der Frustration in Unterwäsche vorm Spiegel, rasieren die Beine, rauchen, masturbieren, binden die Brust ab, daddeln mit dem Handy, tanzen. Was Bernarda auf ihren Kontrollgängen sofort verbietet.
Aber wenn ein Mann am Haus vorbeispaziert, stürmen die jungen Frauen an die Fenster. Top-Projektionskörper ihres Begehrens und ihrer Fluchtträume ist Peter (Joël Schnabel): In Federico Garcia Lorcas Ursprungstext von 1936 eine Fantasiegestalt, wird daraus in Hamburg ein immer wieder aus dem Dunklen herbeischleichender Archetypus Mann von raubtierhafter Eleganz.
Bernarda Albas Haus von Alice Birch nach Federico García Lorca / übersetzt von Ulrike Syha / Regie: Katie Mitchell
Nächste Vorstellungen: 7. + 26. 12.; 3. + 8. 1., Hamburg, Deutsches Schauspielhaus
Die autoritäre Herrschaft Bernardas wird gerne als Abrechnung mit dem rigiden Katholizismus gelesen und als Kritik an der aufziehenden faschistischen Franco-Diktatur; aber auch als hoffnungsvoller Verweis auf das notwendige Scheitern jeden Totalitarismus. Die umgangssprachlich aktualisierte, präzisierend komprimierte Neufassung von Alice Birch (2024) ist dagegen eher eine gruppenpsychologische Untersuchung von Zwangssituationen, betont das Wechselspiel von Unterdrückung und Ungehorsam.
Die jungen Frauen wollen nicht nur nähen, bügeln, kochen, sie fordern Freiheit – was Bernarda mit dem Argument verweigert, sie müsse ja unnachgiebig für ihrer aller Sicherheit kämpfen. Die ineinander collagierte, sich überschneidende Konversation kommt daher beim Stichwort „Angst“ zusammen. Und da wird Regisseurin Katie Mitchell deutlich: Was bei Lorca nur angedeutet war, hier herrscht daran kein Zweifel: Bernardas Ehemann hat Tochter Angustias missbraucht, auch Bernarda selbst ist wohl Opfer ehemännlicher Gewalt.
Draußen marodiert zudem eine machistische Trump-Gesellschaft und verlustiert sich in Massenvergewaltigungen. Einmal stürmt der männliche Pöbel das Haus und will eine Schutz suchende Frau lynchen, die ihr unehelich Geborenes aus Scham getötet hat. Bei Lorca stimmt die archaisch strenge Bernarda in die mörderische Hetze ein, bei Mitchell bietet sie ihr die vielleicht einzig mögliche Flucht an: den Selbstmord.
Winingers Bernarda schlägt und verbrüht ihre Kinder, wenn sie nicht gehorchen, zeigt in einsamen Momenten aber auch ihre eigene Unsicherheit, ein Aufflackern von Zweifeln und wie sie leidet unter gesellschaftlichem Druck und Gewalterfahrungen. Als die jüngste Tochter Adela, eine impulsive Rebellin, lustvollen Sex mit Peter hat, der eigentlich Angustias heiraten soll, versucht Bernarda ihn zu erschießen. Adela sieht ihre Zukunft an Peters Seite getötet, begeht Selbstmord. Allgemeines Entsetzen. So endet das Stück bei Lorca und Birch.
Mitchell setzt aber noch Tragik obendrauf: Da es anscheinend keinen Schutz vor Mannsbildern gibt, dafür aber das Verlangen nach ihnen, und es ferner niemandem hilft, wenn Frauen das System patriarchaler Machtausübung kopieren, gibt Bernarda Pillen zum kollektiven Selbstmord an die Töchter aus. Erschütternd ist diese Radikalisierung der Ohnmacht – aber auch ein provokanter Weckruf: Sich selbst abzuschaffen anstelle des Machismo, darf nicht die Lösung sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!