Theaterfestival „Figure It Out“: Berliner Zombies
Beim Theaterfestival „Figure It Out“ in der Schaubude gibt es echte Puppen als Untote – und ganz viel Musik.
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Es gibt sie noch, die Puppen, selbst in der dem digitalen Puppen- und Objektespiel sehr zugeneigten Schaubude. An den Eröffnungstagen des Festivals „Figure It Out“, das zugleich das 30 Jahre Schaubude feiert, war jedenfalls das eindrucksvolle Zusammenspiel von Puppen von menschlicher Größe mit menschlichen Performern bei der protofeministischen Gruselshow „The Truth about Helga“ der Berliner Gruppe Lovefuckers die Hauptattraktion.
Teilweise drei Spieler*innen mussten die Großfiguren bewegen. Zwei Hände waren an Füßen und Beinen beschäftigt, zwei weitere manipulierten Arme und Oberkörper, und natürlich musste auch noch an den Kopf Hand angelegt und dazu gesprochen, gegrummelt und gebarmt werden. Ein ganzer adliger Haushalt mitsamt Bedienenden wurde so in Szene gesetzt.
Es handelte sich um enormen Aufwand. Erzählt wurde eine Geschichte, die im fernen Jahr 1928 der tschechische Philosoph und bekennende Monarchieverächter Ladislav Klima ersonnen hat. Er lässt einen Fürsten in paradoxer Liebe zu einer in dessen Augen unansehnlichen Frau entbrennen. Er heiratet und schwängert sie. Sie wiederum entzieht sich durch Mord, erst am eigenen Kind, später an diversen erwachsenen Männern, den patriarchalen Normen.
Bei der Einführung der Figurenkonstellation lässt sich Regisseurin Ivana Sajevic leider etwas viel Zeit. Toll ist aber die Verwandlung der Puppen in einen immer mehr zerstörten und desolaten Zustand im Laufe der Performance. Vor allem bei Helga ist zunehmend unklar, ob es sich noch um ein lebendiges Wesen, einen Geist, eine Tote oder eine Untote handelt. Im Finale ist sie nur noch ein zotteliger Menschenkopf und wird begleitet von zwei Performerinnen, die sich selbst als wütende Rachegöttinnen inszenieren.
„Figure It Out“, bis 11. 6., Schaubude, www.schaubude.berlin/de/projects/figure-it-out-2023/programm
Bei diesem kombinierten Körper- und Figurentheater verschwimmen die Gewissheiten: Es wird völlig unklar, ja auch völlig nebensächlich, zu erkennen, wer hier wen bewegt, bespielt oder animiert – die Spieler*innen die Großpuppen oder ist es genau umgekehrt?
„Truth about Helga“ kann man auch als Musterbeispiel für nachhaltige Förderung in der freien Szene sehen. Das Projekt profitierte vom #takecare-Residenz- und Rechercheprogramm des Fonds Darstellende Künste; die eigentliche Produktion wurde aus Mitteln von Hauptstadtkulturfonds und der zweijährigen Basisförderung des Berliner Senats finanziert.
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Als wesentliche Bereicherung stellt sich auch die Zusammenarbeit mit dem kanadischen Doom-Duo Nadja heraus. Ein eindrucksvoll düsterer Klangteppich wird durch Bassistin Leah Buckareff und dem Kollegen Aidan Baker erzeugt, der alle Schwingungen noch durch eine ganze Batterie von Pitchern und Stretchern jagt, bevor sie den gesamten Raum erfüllen.
Der Umgang mit Klang spielt bei diesem Festival ohnehin eine hervorgehobene Rolle. Die Leipziger Gruppe Schroffke! erkundet mit „Undin“ vor allem über Töne die Lebensformen von mythischen Meereswesen. „Superhelden in Krisen“ ist ein Konzert des Bandprojekts Miaulina der beiden Puppenspieler*innen Claudia und Matthias Engel (8. 6.).
Ausflüge ins Digitale finden selbstverständlich auch statt: Zum einen in Form des Onlinegames „Der erste Kontakt“, in dem die Gruppe Anna Kpok Teilnehmer*innen auf die Kommunikation mit Außerirdischen vorbereitet. Zum anderen gibt es am 6. Juni den Salon für Künstlerische Forschung, in dem unter anderem neuartige Avatare für Puppen- und Objekttheater vorgestellt werden, mit denen man ganze Landschaften umgestalten kann.
Der Trailer dazu lässt Assoziationen zum legendären Fehlfarben-Song mit den Bergen, die explodieren, aufsteigen. Da ist man schon mitten in der Musik, die wichtig ist für das Festival.
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