piwik no script img

Theateradaption von „Und alle so still“Ein Experiment mit dem Schweigen

Das Schauspiel Hannover zeigt Mareike Fallwickls Roman als Empowerment-Stück über Ausbeutung. Glorifiziert wird die Verweigerung der Figuren nicht.

Sie leiden reglos am System – die Theateradaption des Romans „Und alles so still“ in Hannover arbeitet mit Pathos und Empowerment Foto: Kerstin Schomburg

Die Zu­schaue­r:in­nen sind eingestimmt auf Empowerment. Und so brandet sofort Auf­tritts­ap­plaus auf, wenn die An­lei­ter:in­nen eines dafür gestalteten thea­tra­len Seminars ins Scheinwerferlicht treten. Der Abend am Schauspiel Hannover ist mit „Und alle so still“ betitelt und will über die pointierte Nacherzählung von Mareike Fallwickls gleichnamigem Roman auf einen revoluzzernden Solidaritätskurs einschwören, aber das eben über ein Experiment mit der Stille.

Weswegen das achtköpfige Ensemble erst mal vor zwei Bühnenbildmauern schweigt, gegen die es später anzurennen gilt, sodass sie im Schlussbild einstürzen und den Blick öffnen. Sie könnten, diese Mauern, aber auch Einfassungen von Schwimmbecken sein.

Denn Elin (Helene Krüger) erzählt vom morgendlichen Bad im Pool des Wellnesshotels ihrer Mutter, bei der die 20-Jährige immer noch lebt. Elin ist Influen­cerin, lässt sich dafür bezahlen, Produkte zu loben, damit ihre 1,2 Millionen Fol­lo­wer:­in­nen sie kaufen. Für dieses zynische Geschäftsmodell muss sie sich den Verhaltenswünschen und dem Marketing ihrer Geld- und Klickgeber anpassen und Hasskommentare und sexistische Beleidigungen ertragen, die auf der Bühne eingesprochen werden.

Zudem leidet Elin darunter, nie Kontakt zu Vater und Großeltern gehabt zu haben. Denn ihre Singlemutter verachtet fa­mi­liä­re Anbindung, hält das Sich-Durchschlagen für Feminismus. Das alles stresst. Zur Entspannung gönnt sich Elin täglich einen Fick mit irgendwem und die Umarmungen des Wassers; lässt sich „schwerefrei, normfrei, schmerzfrei“ treiben. Krüger gestaltet ihre Rolle halb spielend, halb erzählend, was den Duktus für Jorinde Dröses Inszenierung vorgibt.

Leiden am Patriarchat

Zweite Hauptfigur ist Pflegefachkraft Ruth (Johanna Bantzer). Damit sie bei ihren Ausführungen zumindest ein wenig ins Interagieren kommt, legt sich ein Schauspieler als Patient auf einen Tisch und lässt Ruth Fürsorgearbeit vollziehen, während sie von der Überschreitung ihrer Belastungsgrenze und schlechter Bezahlung berichtet. Die Autorin versteht Elins und Ruths Probleme strukturell: als Folge kapitalistischer Ausbeutung.

Bekräftigt wird diese Behauptung durch die dritte Hauptfigur, Nuri (Fabian Dott). Zu Hause sieht er „farbloses Schweigen, Schweigen der Erschöpfung. Schweigen der Gleichgültigkeit.“ Er kommt aus prekären Verhältnissen und absolviert täglich drei Jobs.

„Das Patriarchat ist ein Versprechen an die Männer, das nie eingelöst wird“, erklärt dieser Nuri, „es richtet uns Männer zugrunde, und wir merken es nicht. Wir lassen zu, dass wir von allen Emotionen abgetrennt werden, außer von der Wut, wir lassen zu, dass wir benutzt werden, für die Produktion, für Kriege, für einen ewigen Kreislauf aus Gewalt und noch mehr Gewalt. Und wir kapieren nicht, dass wir dabei draufgehen.“

So plakativ anklagend geht hier meist die Rede, die Figuren zu The­sen­trä­ger:in­nen macht, für die es immer wieder Gesinnungsapplaus gibt. Die Männer haben an diesem Abend keine Chance, sind bis auf Nuri allesamt Lachnummern. Aber es geht nicht um den Kampf Frauen gegen Männer, sondern gemeinsam gegen das Patriarchat. Allerdings in Stille. Also erst mal reglos zur Ruhe kommen. Hinlegen auf Treppen, Straßen und Plätze zur Demonstration des kollektiven Burn-outs. „Vollkommen friedlich, seltsam schön“ wirkt das auf der Bühne, auch in Hannovers Innenstadt; Videos davon prägen die eingeblendete Nachrichtensendung.

Naive Planlosigkeit

Auch hier machen Fallwickl/Dröse vieles richtig, indem sie den ­Verweigerungsschlummer nicht als bewusst gewaltfreien Widerstand glorifizieren. Vielmehr zeigen sie die naive Planlosigkeit, da die Frauen nicht weiter denken als: „Wir machen das für uns.“ Andererseits macht Ruth deutlich, dass in Krankenhäusern und Heimen viele Menschen sterben werden, wenn sich niemand mehr ­kümmert. Weiterzuar­beiten sei ihre menschliche Pflicht.

Position drei zur Stillstandsbewegung ist rohe Gewalt, mit der sich Ehemänner, Polizisten, Soldaten gegen die zerstörerischen Folgen fürs öffentliche wie auch private Leben wehren. Wozu Dröse auch Fotos von Trump, Musk, Weidel und so weiter projizieren lässt. Ihr schwesterliches Miteinander aber wird gefeiert, so dass der Queerchor Hannover final mit dem Ensemble „Give me real power“ schmettert.

„Und alle so still“ ist ein einfach konstruiertes, pathetisch inszeniertes Selbstverständigungsstück, ja geradezu Aufstachelungstheater, das Menschen wohl eine Prise mutiger aus der Vorstellung gehen lässt, als sie in sie hineingegangen sind.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Klingt ein bisschen nach Jugend- Agitationstheater aus den 70ern.



    Die waren auch so einfältig unterwegs. Alles kommt wieder.