Theater von Leila Hekmat: Dekadenz und Orgasmen
Leila Hekmats schräg-absurder Theaterabend „Gloriette“ läuft seit Freitag im Berliner HAU. Es ist ein wilder Mix, die Commedia dell'Arte lässt grüßen.
Gleich hebt sich der Vorhang für die erste Arbeit der US-amerikanischen Künstlerin Leila Hekmat an einem institutionellen Theater. Zu erwarten sind: Opulenz, Dekadenz und umwerfende Kostüme. Das sind die Markenzeichen Hekmats, die sich vor allem mit Installationen, Performances und Ausstellungen einen Namen gemacht hat. Jetzt also ihr Debüt auf der Theaterbühne, zu dem sie das Berliner HAU eingeladen hat. Eine interdisziplinäre musikalische Komödie, die am Freitag Premiere hatte.
Endlich, der Vorhang hebt sich. Und die Bühne ist: leer. Nur Nebelschwaden wabern herum, rokokoartige Musik mit Flöte und Cembalo tönt vom linken Rang. Und aus dem Off erzählt eine Stimme, dass das Kaufhaus „Gloriette“ bald öffnen wird. Der „ideale Erholungsort für den heimatlosen modernen Geist“.
Es ist die große Leere, das Nichts, um das es in Leila Hekmats schräg-absurden Theaterabend „Gloriette“ geht. Das Nichts, das bleibt, sogar wenn die Konsumwelt untergeht, die Leere, die unter der menschlichen Haut-Hülle lauert. Und es geht um die Chancen, die dieses Nichts bietet. Um die Offenheit, die Möglichkeiten, die sich darin verbergen. Und nicht zuletzt um das Neue, das aus dieser Leere zu entstehen vermag.
Das „Gloriette“ liegt am Rande Venedigs und droht durch den steigenden Meeresspiegel langsam zu versinken. In den Verkaufshallen aber geht der Betrieb weiter. Verkäuferinnen und Verkäufer kümmern sich scheinbar unbekümmert um ihre sehr speziellen Abteilungen. „I’m feeling kind of empty. I need to fill my holes“, ich fühle mich irgendwie leer, ich muss meine Löcher füllen, ist ein Satz, den die Figuren auf der Bühne immer wieder sagen.
Fetischkleidung und Hausfrauenschick
Zehn Tänzer und Performer sind es, viele von ihnen verbindet eine langjährige Zusammenarbeit mit Hekmat. Sie tragen die typischen Hekmat-Kostüme. Und die sind wie immer fantastisch: ein wilder Mix aus klerikalen Gewändern, elisabethanischer Mode, Fetischkleidung und 50er-Jahre-Hausfrauenschick. Dazu maskenhaftes, schrilles Make-up, Rokoko-Lockenperücken, allerlei Hauben und Kopftücher. Und natürlich: auf die Kleidung genähte Fake-Penisse und -Brüste.
Leila Hekmat: „Gloriette“. Hebbel am Ufer, Berlin
Nächste Aufführungen: 9. + 10.12.
Groteske Typen sind es, die an die Commedia dell'Arte erinnern. Eine dekadente Gesellschaft, abgeschottet von der Außenwelt, ständig auf der Suche nach Lustbefriedigung, Sinn und Transzendenz. Und nach sich selbst.
Das Kaufhaus Gloriette hat dafür einiges im Angebot: Plateauschuhe, die einen nicht nur „high“ machen, sondern näher zu Gott bringen. Orgasmen in diversen Stärken und Formen. Die Verkäuferinnen und Verkäufer selbst bieten sich feil mit dem wenig zweideutigen Werbeslogan: „Come inside me. I’m on sale“.
Oder die sogenannte „Undulating Undies“, wellige Unterwäsche, von den plätschernden Wellen der venezianischen Kanäle inspiriert. Aber auch allem anderen Fließenden, Offenen, Queerem: „I can see you are an open ended person, proud of your pussy. What about some undulation Undies?“, wird gesungen. (Ich kann sehen, dass Sie eine Person mit offenem Ende sind, stolz auf Ihre Pussy. Wie wär’s mit welliger Unterwäsche?)
Fantastische Szenerien
Hekmat hat ihr Stück in Szenen eingeteilt. Mit jedem Vorhang, der sich hebt, öffnet sich der Blick auf eine neue fantastische Szenerie: ein mit Pflanzen behängtes Fahrrad, aus denen bunt bestrumpfte Beine ragen. Ein menschhohes hölzernes Spielpferd auf Rädern wird auf die Bühnen geschoben. Eine schwarz glänzende Gondel, die als Bartresen dient. Ein Mini-Karussell auf Rädern, zum Friseursalon umfunktioniert.
Die Musik spielt eine wichtige Rolle an diesem Abend. Roman Lemberg und Roman Ole haben für Hekmat fast schon eine Art barocke Oper komponiert, manchmal mit Anleihen aus dem Jazz und Ausflügen in die sakrale Musik, einige Stellen erinnern an englische Lullabies oder Balladen.
In einer anrührenden Koloratur-Arie besingt Roman Ole alias „Fagotta“ eine Art Coming-Out: „I tried to hide what I felt in my soul. But now I feel, I must be real, I’ll play my own role.“ (Ich habe versucht zu verstecken, was ich in meiner Seele fühle, aber jetzt fühle ich, dass ich echt sein muss, ich spiele meine eigene Rolle.) Jeder Körper sei schick und okay, endet die Arie. Das wirkt wie ein Moment der Echtheit, und vielleicht ist er es auch, aber natürlich wird er schnell wieder mit einem spöttischen Kommentar aufgelöst. Und weiter geht’s, im irrwitzigen Tanz der versinkenden Konsumgesellschaft.
So hoch der Schauwert auch ist, sosehr es Spaß macht, sich von Hekmats schlauen Wortwitz verwirren zu lassen, der Musik zuzuhören und den verwegenen Performern zuzusehen: Für einen knapp zweieinhalbstündigen Abend fehlt dann doch irgendwann die dramaturgische Entwicklung, entkommt die immerwährend frivole Endzeitstimmung nicht einer gewissen Redundanz.
Und trotzdem ist der Abend originell, schlau und irritierend genug, dass man sich am Ende unbedingt wünscht: Hoffentlich wird das Kaufhaus „Gloriette“ niemals untergehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!