Theater-Festival im norwegischen Bergen: Ein Revolutionsmarsch

Plötzlich ist Brecht wieder taufrisches politisches Theater – dank Tore Vagn Lid, entdeckt auf dem Festival „Nordische Impulse“ in Bergen.

Regisseur Tore Vagn Lid hat erneut Brecht inszeniert und sich an die Rekonstruktion des gewaltigen „Fatzer“-Fragments gewagt. Bild: Thor Brødreskift

„Nordische Impulse“ hat Intendant Per Boye Hansen das traditionsreiche Festival im norwegischen Bergen untertitelt. Das größte Mehrspartenfestival in Nordeuropa sollte nicht länger ein reiner Gastspielbetrieb sein, kein Durchlauferhitzer mehr für die „üblichen Verdächtigen“ des internationalen Musik- und Theaterzirkus. „Wir wollten einen deutlichen Wechsel, mehr Eigenproduktionen und eine eigene Farbe entwickeln. Vor allem aber wollte ich mehr Zeitgenössisches“, resümiert Hansen nun mitten in der siebten und seiner letzten Spielzeit in der alten Hansestadt sein Schaffen.

Impulse setzt das knapp 200 Veranstaltungen umfassende Festival tatsächlich nicht nur im Kulturleben Norwegens und Skandinaviens, sondern insbesondere das, was dort im Theater passiert, strahlt stark ab in die Theaterwelt des Kontinents. Spätestens, seit Brechts „Maßnahme“ in der Inszenierung des Bergener Regisseurs Tore Vagn Lid 2008 zum „Young Directors Project“ der Salzburger Festspiele geladen wurde, beobachtet die Szene aufmerksam, was in Bergen produziert wird.

Auch der wilde Vegard Vinge, der unlängst beim Berliner Theatertreffen mit seiner zwölfstündigen Ibsen-Performance gleichermaßen schockierte wie faszinierte, ist ein Gewächs aus Bergen: Bereits 2009 sorgte seine Gruppe mit Ibsens „Wildente“ zuerst in Bergen, später europaweit für Furore. „Das alte Stammpublikum mied die ’Wildente‘, dafür kam aber ein neues. Gerade 2009 gab es einen merklichen Aufschwung in der Besucherzahl, der bis heute stabil ist“, quittiert Hansen erfreut die Aufgeschlossenheit der Bergener.

Regisseur Tore Vagn Lid hat auch für diesen Festspieljahrgang erneut Brecht inszeniert und sich an die Rekonstruktion des gewaltigen „Fatzer“-Fragments gewagt. Lid hat an der Theatermacher-Schmiede in Gießen studiert und beherrscht das ästhetische Vokabular und die technischen Finessen des derzeit handelsüblichen Theaters perfekt. Und doch findet er einen ganz eigenen Ton der Unverstelltheit, die frappierend direkt und klar wirkt.

Aufwändige Livemusik

Im Logen-Theater – dem einstige Ballsaal des ehemaligen Logenhauses der Freimaurer – steht auf einer kleinen Bühne ein Wohnwagen, daneben das Skelett eines Esels. Über den Köpfen der Zuschauer tummeln sich Ratten in Glasröhren, im Parkett sitzt das Publikum auf einzelnen Stühlen um runde Tische, auf denen sich Architekturminiaturen geheimnisvoll drehen. „Borse“ steht auf einer, „Bordellen“ auf einer anderen. Ein sparsam eingesetztes Video zeigt immer wieder die berühmte Maslow’sche Bedürfnispyramide, die im Verlauf der Geschehnisse systematisch abgearbeitet wird, und Auszüge aus dem „Fatzer“-Fragment, die mittels simuliert altertümlicher Microfichemethode klackend herangezoomt werden. Suggestiv setzt Tore Vagn Lid auch die selbst arrangierte, aufwändig bestückte Livemusik ein: Ein solistisch besetzter Chor intoniert Eisler, Schostakowitsch und Händel über rauschenden Klavierklängen, die Bergen Brass Band stimmt krachend Revolutionsmärsche an.

Eindride Eidsvold zeigt „Fatzer“ als virilen, schlitzohrigen, aber durchaus charismatischen Typen, dem das Klischee des triebgesteuerten Egoisten viel zu eng ist. Seine drei Mitstreiter sind scharf konturierte Typen, Hanne Dieserud ist eine ganz heutige „Therese“ der globalisierten Welt. Überhaupt ist der gute alte Brecht in Lids hinreißend gut getimter Inszenierung kein staubiges Thesentheater, sondern tatsächlich taufrisches politisches Theater. Ohne jene Verkrampftheit, die man im deutschsprachigen Theaterraum bei dem Versuch, politisch zu werden, immer wieder durchleiden muss. Nein, Lid setzt ganz selbstverständlich, freilich mit aktuellen Werkzeugen, Brecht’-sche Theatermittel der Verfremdung ein, bleibt aber ganz unverblümt und schämt sich der Haltung nicht. Ganz ohne Ironie. Eine temporeicher, packender Abend, der im Juni bei den Mülheimer „Fatzer“-Tagen gastiert.

Eine ironische und kabarettistische Abrechnung mit dem globalen Kunstprinzip präsentierte das Künstlerduo Elmgreen & Dragset im benachbarten Theater „Den Nationale Scene“ mit „Happy Days in the Art World“. Das für seine Kunst im öffentlichen Raum gefeierte Künstlerpaar nimmt in der knapp etwas über einstündigen Performance die eigene Existenz als Duo – von Schauspielern gespielt – und den Kunstbetrieb an sich wort- und pointenreich aufs Korn und lässt von Vernissageritualen bis hin zu Esoterikgewäsch nichts aus.

Ein großer Spaß insbesondere für Kenner der Kunstszene. Auf der Bühne steht lediglich ein Etagenbett, wie man es aus Jugendherbergen oder auch Gefängnissen kennt, am Schluss dreht sich das obere Bett nach unten um. Das dürfte den Bergenern bekannt vorkommen, denn ein gleichartiges Objekt von Elmgreen & Dragset steht im örtlichen Kunstmuseum.

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