The xx mit neuem Album: Intimität als Show
Am Freitag erscheint „I See You“, das neue Album von The xx. Und tatsächlich hat sich die britische Band damit neu erfunden.
Mit einem Fanfarenschlag beginnt „I See You“ von The xx. Ungewohnt dancy geht es hinein in dieses neue, mit Spannung erwartete dritte Album des Londoner Trios: Ein Viervierteltakt bringt den Song ziemlich schnell nach vorn, auch wenn der Gesang von Oliver Sim und Romy Madley Croft einsetzt, der bisher jeden Song auf wundervoll intime Weise heruntergekühlt hat.
„Dangerous“ heißt dieser Auftakt und scheint vorzuwarnen für das, was die ehemals so stillen Shootingstars des elektrifizierten Synthie-Pop vorhaben. „They say you are dangerous / But I don’t care“ – das klingt ungewohnt selbstbewusst für The xx. Es waren gerade die hintersinnig-feinen Arrangements, die die Band aus dem Londoner Stadtteil Wandsworth 2009 auf einen Schlag berühmt machte, ihnen Platin in Großbritannien einbrachte und sie auf ausverkaufte Tourneen rund um die Welt schickte.
Für die drei damals 20-Jährigen, die zuvor lediglich in Pubs für ein zufällig anwesendes Publikum gespielt hatten, das „uns eigentlich gar nicht sehen wollte“, ein Schock. Dem plötzlichen Ruhm war seinerzeit die Vierte im Bunde, die Keyboarderin Baria Qureshi, nicht gewachsen und stieg aus, seither firmieren The xx als Trio.
Was in „Dangerous“ anklingt, zieht sich durch das gesamte neue Werk: Statt der Melodieführung aus kühlen Keyboard-Riffs, Bass, elektronischer Gitarre und Beats, die eher das i-Tüpfelchen als die Säule des Sounds darstellten, ist das dritte Album der ehemaligen Kinder des Sublimen nun viel tanzbarer. Aber man erahnt auch eine reichere Instrumentierung, die zwar noch immer nicht analog eingespielt ist, aber dennoch den Sound von The xx langsam auftaut.
The xx: „I See You“ (Young Turks/Beggars/Indigo).
Ab 12. Februar auf Tour.
Reicheres Klangbild
„Say Something Loving“ klingt fast schon übertrieben euphorisch, zerlegt ein Sample der 70er Pop-Zwillinge Alessi Brothers auf einem dubbigen Beat. „Lips“ wartet mit einem gedoppelten Hintergundchor, knartschiger Geräuschkulisse und Claps auf, „Replica“ arbeitet mit einer soulig-warmen Gitarre und Steel Drums, die Produzent Jamie Smith bereits bei seinem Soloalbum gern eingesetzt hat.
Smith, dessen Nachname auch bei seinem Soloprojekt durch ein seiner Stamm-Band verbundenes xx gestrichen wurde, gilt als der schüchternste der drei zurückhaltenden Bandmitglieder. Dennoch schaffte sein Soloalbum „In Colours“ (2015) den Spagat zwischen Kritikerdarling und Mainstream-Erfolg: Field Recordings und jede Menge Material aus der privaten Samplebibliothek wurde mit einer Lektion in Sachen Rave-Historie zusammengebracht.
Gut möglich, dass seine Weiterentwicklung als DJ und Produzent nun auch etwas mit dem reicheren Klangbild bei The xx zu tun habe, aber als einzige Erklärung sei das doch etwas zu einfach, erklärt er im Interview mit der taz.
Und doch, er stimmt zu, „I See You“, das neue Album von The xx, sei wesentlich variantenreicher: „Wir haben an diesen Tracks komponiert. In den drei Jahren ihrer Entstehung haben wir uns als Menschen verändert, unsere Musikgeschmäcker haben sich weiterentwickelt. Wir hören alle eine ziemlich große, eklektizistische Bandbreite an Musik.“
Freundschaft neu entdeckt
Außerdem leben die drei Mitglieder von The xx nicht mehr an einem Ort. Die Songs entstanden zum Teil auf Reisen, in verschiedenen Studios in Reykjavík, New York, Texas und Los Angeles. Zwischendurch hängen sie freilich immer wieder in der Londoner Wohnung von Oliver Sim ab.
Dort haben sie durch die Arbeit an „I See You“ auch ihre Freundschaft wieder neu entdeckt: „Wir haben teilweise weit von einander entfernt unabhängig voneinander gearbeitet. Und wir haben einander vermisst. Ich denke, im Grunde haben wir in diesem Album gelernt, wie zentral unsere Freundschaft ist für die Komposition der neuen Songs, ja, für das Musikmachen bei The xx überhaupt. Wir sind uns jetzt näher als je zuvor. Das kann man definitiv auf dem neuen Album hören!“
The xx brechen mit „I See You“ aus dem goldenen Käfig aus, in den sie sich nach dem Erfolg des Debüts „xx“ eingesperrt hatten. Die frühen Songs entstanden beim Drauflosspielen im Proberaum dreier Schulfreunde, Sim und Madley Croft kennen sich seit dem Kindergarten, Smith stieß als Elfjähriger dazu. Zunächst war die Musik gar nicht dazu gedacht, von mehr als nur den engsten Freunden gehört zu werden, dann waren nach dem Überraschungserfolg des Debütalbums alle Augen auf die Band gerichtet. Auch ihr Privatleben wurde von Medien und Fans ausgeleuchtet.
Dem zum Trotz zogen sich The xx für das zweite Album „Coexist“ (2012) zurück in ein kleines Studio in London, fest entschlossen, das Geheimnis des Erstlings zu reproduzieren – mit wenig Erfolg, wie Jamie Smith zugibt: „Ich glaube, dass das zweite Album zum Teil zu kalt anmutete und zu kalkuliert war. Wir haben uns daran orientiert, was die Leute gedacht haben, wie wir klingen. Aber dieser ursprüngliche Sound, der so vielen Leuten etwas bedeutet hat, kam eigentlich von den eingeschränkten Möglichkeiten, die wir hatten. Wir waren eine Pub-Band, ohne Studiobacking, ohne Begleitmusiker. Wir mussten immer zu dritt auf der Bühne dafür sorgen, dass alles gut klingt.“
Die Worte des anderen
Dazu gehört seit jeher der sehr leise Gesang von Sim und Madley Croft, um den alles weitere sorgsam herum arrangiert werden musste, was den xx-Sound stets besonders intim erschienen ließ – und das Augenmerk auf die Songtexte legte. Diese haben Romy Madley Croft und Oliver Sim nun zum ersten Mal nicht nur miteinander, sondern auch füreinander geschrieben. Sie singen nun die Worte des anderen, ihre lyrische Expression verschmilzt.
Jamie Smith redet da nicht hinein, weiß aber, wie sehr seine Bandmates daran gewachsen sind: „Sie haben sich einander diesmal wirklich geöffnet. Und das hat auch der Musik neue Offenheit gegeben: Es gab keine Regeln.“
Der Titel des Albums, „I See You“, ist einem Signatur-Song von Velvet Underground entlehnt. „I’ll be your mirror /Reflect what you are / […] Please put down your hands / Cause I see you“, singt Nico auf dem VU-Debüt 1967. Diesem folgt das Album von The xx nun auch auf inhaltlicher Ebene: Die Reflexion durch dein Gegenüber kann dir mehr verraten, als du glaubst, macht uns das Londoner Trio weis.
Zudem betonen The xx damit das Artifizielle ihres künstlerischen Konstrukts, die Wiederholung als zentrales Element von Kreativität: „Mirroring situations / Accurate imitation / Do I watch and repeat“. In „Performance“ stellen sie sogar ihre Intimität als Show heraus.
Lernen vom Ungemütlichen
Diesen Song haben sie bereits im März 2014 gespielt, als der Kompositionsprozess von „I See You“ gerade begonnen hatte. Die Band absolvierte damals 25 Konzerte in zehn Tagen für jeweils nur 45 Zuschauer in der New Yorker Armory – eine große Halle, verkleinert durch Stoffbahnen, was auf seltsam ironische Weise das intime Pub-Feeling, in dem The xx herangewachsen ist, wiederherstellen sollte.
Die Tickets gingen für vierstellige Beträge weg. Bei diesen Exklusivkonzerten, bloß eine Gitarrenhalslänge von Zuschauerinnen wie Beyoncé oder Madonna entfernt, wollten sich The xx auch mit ihrer eigenen Verletzlichkeit konfrontieren. Im Song „Performance“ heben sie diese Erfahrung auf eine Metaebene und hallen dem Publikum entgegen: „I put on a performance / I put on a brave face […] / The show is wasted on you / So I perform for me.“
„Wir alle lernen vom Ungemütlichen“, sagt Jamie Smith und denkt an die Armory-Konzerte zurück. Damit zeigt sich der Weg vom zweiten Album „Coexist“ im Nachhinein als der falsche. Mit dem Nachfolger, für den sich The xx aus ihrer Komfortzone begeben haben, geloben die drei Endzwanziger, nun auch mehr von sich zu zeigen. Es klingt wie ein guter Vorsatz: Sei nicht so schüchtern. Wie zum Beweis hat Madley Croft erst kürzlich ihre Verlobung auf Instagram bekannt gegeben. Doch sie singt auch: „I’m still playing hide and seek.“
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