„The Souvenir – Part II“ im Kino: Der Film als Film im Film

Mit „The Souvenir – Part II“ setzt Regisseurin Joanna Hogg ihre autobiografische Erinnerung an die Achtziger fort. Sie tut es in verschachtelter Form.

eine junge Frau steht vor einem alten Monitor

In Trauer: Julie (Honor Swinton Byrne) in „The Souvenir – Part II“ Foto: Universal / ParkCircus

„Ich komme hier nicht weiter, wenigstens ein Drehbuch wäre schön!“, beklagt sich vehement der junge Kameramann bei seiner Regisseurin und Filmschul-Kollegin Julie, nachdem sie immer wieder die Kameraposition geändert haben will. Sie sagt nichts, ein naives Lächeln verrät jedoch ihre tiefe Unsicherheit.

Es ist ja auch keine einfache Aufgabe, die sich Julie mit ihrem Abschlussfilm gestellt hat: die eigene Trauer nach dem plötzlichen Tod ihres charismatischen, etwas älteren Freunds Anthony zu inszenieren. Von ihm bekommen wir in „The Souvenir – Part II“ nur die allgegenwärtige Abwesenheit mit.

Joanna Hoggs Fortsetzung ihres autobiografischen, mehrfach ausgezeichneten Spielfilms „The Souvenir“ (2019) wirkt wie eine Matrjoschka, in der das „echte“ und das „gefilmte“ Leben ineinander verschachtelt sind. Wie erzählt man das eigene Leben, in einer Phase von Trauer und Zerbrechlichkeit, 40 Jahre danach?

Hogg entscheidet sich für vielfältige Register, mal so realistisch, wie es nur geht – Julie schlüpft in eine fast journalistische Rolle, wenn sie mehrere Menschen, die Anthony kannten, wörtlich interviewt –, mal völlig surreal, nahezu durchgeknallt: Julie, die sich in ihrem Abschlussprojekt selbst spielt, schwebt in das Gemälde „Le Souvenir“ (1778) des französischen Malers Jean-­Honoré Fragonard hinein und landet über eine imaginäre Treppe in einer traumähnlichen Welt, in der sie zeigt, dass sie alles andere als naiv sein kann.

„The Souvenir – Part II“. Regie: Joanna Hogg. Mit Honor Swinton Byrne, Jaygann Ayeh u.a. England 2021, 106 Min. Läuft im FSK

Hogg benutzt hier zum Teil genau dieselben Einstellungen und übernatürlichen Motive wie in ihrem wirklichen Abschlussfilm „Caprice“ von 1986, wo die junge Hauptfigur durch das ­Cover des gleichnamigen ­Modemagazins in eine oberflächliche, bunte Welt eindringt und ihre Idole enttarnt.

Um alle Ebenen noch ­etwas mehr miteinander zu vermischen und zu verbinden: Die Hauptdarstellerin in „Caprice“ war Tilda Swinton, damals Mitte zwanzig und noch als Matilda im Abspann genannt, die in der Rolle von Julies wohlhabender Mutter auch in beiden ­Teilen von „The Souvenir“ mitwirkt, und im wahren Leben die Mutter von Honor Swinton Byrne ist – die „selbstverständlich“ Julie spielt.

So verwickelt das alles auch klingen mag, gelingt es Hogg in „The Souvenir – Part II“, einen überhaupt nicht forcierten oder artifiziellen Zugang zur Erinnerung der eigenen Vergangenheit zu gewähren.

Manchmal tut sie das mit Längen: Einige Szenen in Julies geschütztem, reich geblümten, ländlichen Elternhaus machen die Zeit Sekunde für Sekunde spürbar, das Zerbrechen einer Zuckerdose zum Beispiel wird zu einem erschütternden, bedrückenden Ereignis. Manchmal gewährt sie den Zugang sogar mit einer jugendlichen Rage wie in der wilden Liebesszene zwischen Julie und ­einem ­Schauspielkommilitonen aus der Filmschule.

Abgesehen von ihrer persönlichen Geschichte reflektiert Joanna Hogg in „The Souvenir – Part II“ auch die schöpferische Kraft des Kinos. Die elegant eingebauten Filmzitate, von Musicals bis zu Klassikern von ­Orson Welles reichend, genauso wie die sparsam verwendeten 1980er-Jahre-Songs, von denen man nur kurze Ausschnitte zu hören bekommt und meistens erst nur eine Stimme erkennt (die von Nico zum Beispiel oder Mark Hollis von Talk Talk), sind nicht leere Kommentare zu dem, was wir auf der Leinwand sehen und hören, sondern eine Einladung, in die von Hogg geschaffene Version der eigenen Erinnerungen einzutauchen.

Dass sie dabei kein konventionelles Drehbuch benutzt hat, versteht sich.

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