Textgenerator „Poetron“: Gedichte? Vorsicht vor KI
Günter Gehl entwickelte schon 1985 den skurrilen Textgenerator „Poetron“. Als KI-Pionier und Vorläufer von ChatGPT möchte er aber nicht gelten.
Seit dem ersten Besuch vor 17 Jahren hat sich nicht viel verändert am einfachen gelben Haus im mittelsächsischen Hainichen, das Günter Gehl mit seiner Frau Andrea bewohnt. Er selber ist der sensible, hintersinnige, gemütvolle Sachse geblieben. Etwas fülliger mag er wirken, da er nun kurz vor der Rente steht. Auch sein „Poetron“-Textgenerator ist nach wie vor im Internet zu finden: Aber im Netz und speziell auf dem Gebiet künstlicher Intelligenz hat sich seither enorm viel verändert.
Nicht weit entfernt vom Haus der Gehls erinnert ein Museum an den hier geborenen Dichter der Aufklärung Christian Fürchtegott Gellert. Ob diese Nähe Auswirkungen auf die poetische Leidenschaft des studierten Mathematikers Günter Gehl hatte, mag man lächelnd erörtern. Jedenfalls befriedigten ihn die Theoretische Mathematik und die frühen Programmiersprachen Cobol, Fortran oder PL 1 wenig.
„Deshalb habe ich mir etwas gesucht, das mehr Spaß macht und herausfordert!“, wie er meint. Seine andere Hirnhälfte neigte also zur Lyrik, und beide verband er bei der Entwicklung eines skurrilen Gedichtgenerators.
„Ich habe meine eigenen und richtige Gedichte genommen und versucht, sie zu abstrahieren“, schildert er das Verfahren. Textsynthese laufe im Grunde heute ähnlich: ein ausgeklügelter Auswahl- und Kombinationsalgorithmus plus ein möglichst großer Datenspeicher. Als er 1985 damit begann, gab es weder in der DDR noch in der Bundesrepublik ein breit verfügbares Internet. Mit dem Siegeszug des WWW ab 1991 aber konnte bald jeder weltweit auch Günter Gehls „Poetron-Zone“ aufrufen.
Geschickte Simulation von Phantasie
Verglichen mit dem Besuch 2006 fällt im Gespräch eine weitere Veränderung auf. Damals betonte er die spielerische Leichtigkeit seines ebenso der Software wie der Sprachlust zuzuordnenden Experiments. „Ein Scherzprogramm“ – am unteren Bildschirmrand las man die Aufforderung „Humor bitte einschalten!“.
Neben dem Lyrikprogramm fand sich damals noch das inzwischen gelöschte „Labber“ für Kurzgeschichten auf der Seite. Mit dem „Sloganizer“ kann man sich hingegen bis heute für Werbesprüche oder Wahlkampfreden aufmunitionieren.
Auch damals schon programmierte Gehl für eine US-Softwarefirma. Inzwischen aber scheint die Unschuld der frühen Jahre verloren gegangen zu sein angesichts der lawinenartigen, kaum gesteuerten und über die dienende Funktion hinausgehenden Entwicklung künstlicher Intelligenz. „Ich gehöre zu den Klassikern des deutschen Internets“, hatte er in den Zweitausendern noch selbstbewusst gelächelt. Heute möchte er lieber nicht als Pionier und Vorläufer von ChatGPT angesprochen werden.
Ein Vergleich mit der hippen KI-Plattform zeigt, dass sich Günter Gehl bis heute nicht verstecken muss. ChatGPT ist keine Lyrikmaschine und klingt nach der Aufforderung zu einem Journalistengedicht nicht gerade inspiriert:
Die Mächtigen fürchteten seinen Bericht,
denn er enthüllt ihre dunkle Sicht.
Er war ein Hüter der Pressefreiheit
mit großer Integrität und Klarheit.
Poetron ergeht sich hingegen in blumigen Ornamenten:
Du ergötzliche Erde!
Journalist lache und liebe, allzeit!
Ja, Wahrheit schreiben und mehren ist allgemein,
so verzehrlich und gemein!
Wenn Maschinen fragen, ob Menschen denken können
In den mittlerweile über 14 Millionen synthetisch hergestellten Poetron-Gedichten meint man den Stil des Programmierers zu erahnen. Die symbolische Küchenmaschine mit Rührschüssel auf der Website besitzt Charakter. Gehl verrät andeutungsweise den Trick, wie er über einen Zufallsgenerator und ein Archiv von Starkwörtern verblüffende Wendungen einbaut und so Fantasie simuliert. Kann die Maschine also doch menschliche Kreativität perfekt nachäffen?
Damit geht es an Kernfragen, die vom Ethikrat bis zur Wirtschaftslobby derzeit viele zu lauten Statements veranlassen. Das Original aus Hainichen formuliert weder vorbehaltlose Begeisterung noch vernichtende Kritik.
Zunächst ist auch der Insider fasziniert vom rasanten Fortschritt bei Rechenleistung und Speicherkapazität, der erweiterte Anwendungsfelder von KI erst möglich macht. „Plötzlich ist quantitative Anreicherung in eine neue Qualität umgeschlagen“, drückt er es dialektisch aus. Die Zusammenfassung langer und komplizierter Texte beispielsweise werde absehbar keine Domäne des Menschen mehr bleiben.
Dann kommt der Dichter und Philosoph zum Vorschein, der um die Verführbarkeit von Menschen weiß. Derzeit werde viel in KI hineininterpretiert. Neuronale Netze seien ja schon in den 1940er Jahren erfunden worden. Ist das Intelligenz? Was ist wirklich neu? „Wenn jemand mit uns redet und sich halbwegs vernünftig artikulieren kann, denken wir, dass der intelligent ist und mitdenkt“, beschreibt Gehl unsere Anfälligkeit gegenüber guter Rhetorik.
Wenn die Maschine das scheinbar besser kann, erliegen wir ihr. „Intelligenz ist etwas, das man einsetzt, wenn man nicht weiterweiß“, sagt eine Redensart.
Für die nächsten Jahre sieht der Entwickler noch keine unmittelbare Gefahr, dass sich Algorithmen verselbstständigen und Macht entfalten könnten. „Interessant wird es, wenn Maschinen anfangen nachzudenken, ob denn der Mensch überhaupt denken kann“, bezieht er sich auf den polnischen Autor Stanisław Lem.
Stamm aus der Flasche
Zurückdrehen aber könne man die Entwicklung nicht mehr, „der Geist ist aus der Flasche“. Es komme auf das Training von Bots und Systemen am, um Missbrauch einzuschränken. An solche Kontrollmöglichkeiten unter ethischen und ästhetischen Vorzeichen glaubt Günter Gehl und verweist auf frühere Debatten um die Stammzellenforschung.
Als seine Frau Andrea dazustößt, fällt sie ein apodiktisches Urteil. „Günter hat aus Spaß programmiert, aber KI dient heute nur dazu, Geld zu verdienen und Einfluss und Macht zu gewinnen.“
Ihr Mann zeigt sich gelassener und durchaus kampagnenerfahren. „Wir hatte solche Hypes auch schon in der DDR, als jeder Flaschenzug plötzlich ein Industrieroboter war. Verweigern werden wir uns nicht mehr können, aber es kommt auf den moralischen Aspekt an“, schließt er.
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