Texte aus dem Osteuropa-Workshop Herbst 2022: Die Türen offen halten

Die taz Panter Stiftung lädt 14 Jour­na­lis­t:in­nen aus sechs postsowjetischen Staaten ein. Keine Selbstverständlichkeit. Doch der Austausch gelingt.

Die Tür öffnen – dazu möchte auch die taz Panter Stiftung ihren Beitrag leisten Foto: Illustration: Manuel Fazzini

Wenn am Ende des Tages die Sonne untergeht, zweifeln Menschen bisweilen daran, ob sie sich am anderen Morgen wiedersehen werden. Der 24. Februar 2022 ist eine Zäsur: Noch vor dem Aufstehen schlagen die ersten russischen Raketen in mehreren ukrainischen Städten ein, der Großangriff hat begonnen. Was viele als Beginn der russischen Invasion wahrnehmen, ist jedoch nur die Fortsetzung eines seit nunmehr acht Jahren andauernden Kriegs gegen das Nachbarland.

Im März 2022 startet die taz Panter Stiftung ein Projekt: Tagebucheinträge unter dem Titel: „Krieg und Frieden“, die fortan regelmäßig in der taz erscheinen. Die Idee ist, das Kriegsgeschehen und seine Bedeutung für den Alltag der Menschen aus unterschiedlichen Perspektiven zu dokumentieren und publizistisch zu begleiten. 17 Jour­na­lis­t:in­nen sind bereit, bei dem Projekt mitzumachen. Sie schreiben aus der Ukraine, Russland, Belarus, Moldau, aber auch aus den baltischen Staaten Estland und Lettland, den beiden Südkaukasusrepubliken Armenien und Georgien sowie aus Kirgistan in Zentralasien. Die Kol­le­g:in­nen sehen sich plötzlich ganz neuen Herausforderungen gegenüber, denn dieser Krieg hat unmittelbare Auswirkungen auf alle Staaten des postsowjetischen Raums.

Um mit dem Schriftsteller Wolfgang Borchert zu sprechen: Unsere Au­to­r:in­nen stehen „draußen vor der Tür“: Eine unserer Mit­strei­te­r:in­nen verlässt bereits 2014 die Krim, nachdem Russland die ukrainische Halbinsel annektiert hat. Ein anderer Kollege entzieht sich Verfolgung und wachsendem Druck in der Ost­ukrai­ne, er geht in den Westen seines Landes. Zwei unserer russischen Teil­neh­me­r:in­nen suchen Zuflucht in Estland und Lettland. Ihre Gründe dafür sind nicht nur der Krieg gegen die Ukraine, sondern auch wachsende Repressionen gegen Andersdenkende. Derzeit scheint es, dass ihnen, zumindest so lange Wladimir Putin und seine Entourage an der Macht sind, die Tür nach Russland verschlossen bleiben wird.

Eine belarussische Kollegin lebt ebenfalls im Exil – in Georgien. 2020 ist sie eine von Hunderttausenden, die nach der gefälschten Präsidentenwahl am 9. August vor allem in der Hauptstadt Minsk wochenlang gegen das Regime von Alexander Lukaschenko auf die Straße gehen.

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Heute, zwei Jahre später, sind die Proteste verstummt, doch das Regime geht mit beispiellosem Terror gegen die Bevölkerung vor. Mehr als 1.000 Menschen sitzen als politische Gefangene in Haft, darunter auch zahlreiche unabhängige Jour­na­lis­t:in­nen. Doch für sie, und das nicht nur in Belarus, ist Aufgeben keine Option, auch wenn die Tür geschlossen ist.

Die Tür öffnen – dazu möchte auch die taz Panter Stiftung ihren Beitrag leisten

Die Tür öffnen, und sei es nur einen Spalt breit – dazu möchte auch die taz Panter Stiftung ihren Beitrag leisten. Will heißen: kritischen Au­to­r:in­nen eine Plattform geben, damit ihre Stimmen gehört werden – auch hier.

In der ersten Novemberwoche öffnet die taz Panter Stiftung in Berlin die Türen für ihre Au­to­r:in­nen aus Osteuropa. Die persönliche Begegnung soll die Chance bieten, allen Widrigkeiten zum Trotz Kommunikationskanäle über Ländergrenzen hinweg offen zu halten.

14 Jour­na­lis­t:in­nen folgen dieser Einladung. Und sie nutzen diese Chance: Es wird diskutiert, gestritten, um Worte gerungen, und manchmal knistert auch die Luft. Doch am Ende steht die Erkenntnis: Wir können und wollen miteinander reden. Themen gibt es genug. Wie blicken wir auf den Krieg? Wie können wir als Jour­na­lis­t:in­nen arbeiten angesichts einer Situation, die es kaum zuzulassen scheint, unparteiisch zu bleiben. Vor allem dann nicht, wenn die Auswirkungen dieses Kriegs tagtäglich hautnah am eigenen Leib spürbar sind.

Die Texte aus diesem Workshop sind als achtseitige Sonderbeilage am 12. November in der taz erschienen und jetzt hier nachzulesen. Das alles ist keine Selbstverständlichkeit in Zeiten des Kriegs, wo Zwietracht und Hass immer mehr die Oberhand gewinnen und ein Austausch kaum noch möglich erscheint. Dennoch kann er gelingen.

Genau deshalb gilt es weiterzumachen. Dieser Workshop, den das Auswärtige Amt gefördert hat, ist nur der Anfang. Weitere müssen folgen. Denn selbst wenn die Waffen schweigen, wird dieser Krieg noch lange nicht zu Ende sein. Wir sind aufgefordert, immer wieder an die Tür zu klopfen, mal leise, mal laut, aber immer hörbar. Irgendwann werden wir sie öffnen. Oder vielleicht ganz aus den Angeln heben …

Tigran Petrosyan ist Leiter der Ost­europa-Projekte der taz Panter Stiftung

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