Teure Geburtshilfe: Hobby: Hebamme
In Bremerhaven sind seit diesem Jahr nur noch Entbindungen in der Klinik möglich, weil freiberufliche Hebammen sich ihren Beruf nicht mehr leisten können.
![](https://taz.de/picture/121640/14/Hebamme_dpa.jpg)
Imke Helmke gibt auf. 15 Jahre hat die Bremerin neben ihren Diensten in der Klinik freiberuflich Mütter und Neugeborene im Wochenbett betreut. Ende Februar ist Schluss. Es lohnt sich nicht mehr. Sie ist nicht die einzige: Nach Schätzungen des Deutschen Hebammenverbands hörte zwischen 2008 und 2010 ein Viertel der freiberuflichen Hebammen auf, 2013 zehn Prozent.
Die Ursache ist zum einen die seit Langem schlechte Vergütung, zum anderen die stetig steigende Prämie für die Haftpflichtversicherung. Diese ist besonders für die, die freiberuflich in Kliniken, Geburtshäusern oder zu Hause Geburten begleiten, unbezahlbar geworden. In Bremerhaven sind seit diesem Jahr daher nur noch Geburten in der Klinik möglich. In Bremen sieht es besser aus: Es gibt eine Handvoll Hebammen, die in Kliniken Beleggeburten betreuen sowie Hausgeburtshebammen und zwei Geburtshäuser.
Doch auch die müssen zunehmend Schwangere vertrösten. Das 2002 gegründete Geburtshaus Bremen sucht seit Sommer 2013 zwei neue Kolleginnen. Deshalb gibt es für Geburten im August bereits eine Warteliste.
Seit 2010 weisen Hebammenverbände darauf hin, dass Freiberuflerinnen in der Geburtshilfe ihre Haftpflichtversicherung nicht mehr zahlen können. Ab Juli beträgt sie 5.000 Euro, eine Steigerung um 20 Prozent gegenüber 2013. Ihr Nettolohn: 8,50 Euro.
Ab Juli 2015 gibt es keinen Versicherer mehr, der für Geburtsschäden haften will.
Nicht die Zahl der Schäden steigt, sondern die Summen, die herausgehandelt werden.
Die Anzahl von außerklinischen Geburten sinkt.
Engpässe gibt es auch in der Versorgung von jungen Familien nach der Geburt, weil sich wie Imke Helmke immer weniger Hebammen die Nachsorge-Besuche leisten können. „Das lohnt sich nur in Vollzeit, bei 40 Stunden und mehr“, sagt Heike Schiffling, Vorsitzende des Bremer Hebammenverbands.
In den ersten zehn Tagen zahlen die Kassen einen täglichen Hebammenbesuch und bis zu 16 weitere in den ersten acht Wochen. Imke Helmke erklärt, warum ihr diese Besuche so wichtig waren. „Heute gehen die meisten Frauen am Tag der Geburt nach Hause oder spätestens drei Tage später. Und dann sind sie alleine, wenn die Milch einschießt, sich die Hormone umstellen und sie plötzlich eine Familie sind, mit einem Neugeborenen, das sie noch kennenlernen müssen.“
Früher, als Familien noch größer waren, hätten Frauen vieles schon als Kinder mitbekommen und später Hilfe gehabt, wenn sie selbst Mutter wurden. „Wenn es heute Probleme gibt mit dem Stillen oder dem Schlafen, wenn sie sich um die Gewichtszunahme des Kindes sorgen oder seine Ausscheidungen nicht deuten können, dann ist da niemand.“ Sie könnten mit all ihren Sorgen natürlich auch zum Arzt oder der Ärztin gehen. „Das wäre aber zusätzlicher Stress und oft wegen des Rückbildungsprozesses und Wundheilung kaum möglich.“ Und für die Versicherung teurer.
Dass sie diese Arbeit jetzt nicht mehr machen wird, falle ihr schwer, sagt die 53-Jährige. „Das war eine Herzensangelegenheit, obwohl ich wusste, dass es viel Arbeit ist, die schlecht honoriert wird.“ Doch als sie bei der letzten Einkommenssteuer ihre Beraterin fragte, mit welchen finanziellen Verlusten sie rechnen müsse, wenn sie nicht mehr neben ihrer Dreiviertelstelle Hausbesuche machen würde, habe die nur gesagt: „Welche Verluste?!“
Denn weil die Krankenkassen die Hebammenleistungen so gering vergüten, hat Helmke zuletzt mit ihrer Arbeit nur noch ihre Betriebsausgaben wieder herein geholt. Ihr sei allmählich klar geworden, dass sie die Wochenbettbetreuung nur noch aus Idealismus machte – verbunden mit einem sehr hohen Zeitaufwand. „Selbst wenn ich gerade eine Nachtschicht im Krankenhaus hinter mir hatte, konnte es sein, dass ich noch zu einer Frau gefahren bin, die gerade ein Kind bekommen hatte.“ Manche habe sie auch zwei Mal am Tag gesehen. „Wenn die anriefen und sagten, ich weiß nicht weiter, kannst du noch mal kommen, bin ich eben hin.“ Wenn jetzt jubelnd Frauen anriefen, die sie nach der Geburt des ersten Kindes betreut hatte, sie seien wieder schwanger, müsse sie ihnen sagen, dass sie ihnen nicht mehr beistehen könne.
Eine Lösung für das Problem ist derzeit nicht in Sicht. Bremen, das sagte am Freitag ein Sprecher des Gesundheitssenators, werde auf einem Treffen der Landesgesundheitsbehörden einen Beschlussvorschlag einbringen. Der soll die Bundesregierung auffordern, einen Bericht zur Versorgung mit Hebammenhilfe vorzulegen, der für vergangenen Herbst angekündigt war. Die gesundheitspolitischen SprecherInnen von SPD und Grünen, die über das Thema am Mittwoch im Parlament sprechen wollen, sagten, Bremen könne keine eigenen Mittel aufbringen, um Hebammen besser abzusichern. Beide warnten davor, dass weitere ihren Beruf aufgeben werden, wenn sie nicht bald ein Signal bekämen, dass ihre finanzielle Situation verbessert werden soll.
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