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Terrorfall Anis AmriRätseln um Bilel Ben Ammar

Warum wurde der Amri-Kumpel so hastig abgeschoben? Weil er gefährlich war, sagt Innenminister Seehofer und weist weitere Spekulationen zurück.

„Durchaus nachvollziehbar“. Seehofer findet den Fall Bilel Ben Ammar unproblematisch Foto: dpa

BERLIN taz | Der Fall Bilel Ben Ammar bleibt bis heute rätselhaft. Eng befreundet war der Tunesier mit Anis Amri, dem Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz. Noch am Vorabend der Tat vom 19. Dezember 2016 trafen sich beide in einem Imbiss. Nach dem Anschlag mit zwölf Toten ging es dann ganz schnell: Bereits am 1. Februar 2017 wurde Ben Ammar abgeschoben. Verdächtig hastig, wie die Opposition seit Tagen kritisiert.

Wusste Ben Ammar mehr von der Tat? War er gar Helfer oder Mittäter?

Am Donnerstag nun nahm Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) zu dem Fall Stellung. Bilel Ben Ammar sei selber Gefährder gewesen und seit dem 14. Januar 2017 „vollziehbar ausreisepflichtig“. Eine Verwicklung in den Anschlag habe man ihm nicht nachweisen können, seine Haftentlassung stand bevor. Ben Ammar aber sei als „ausgesprochen gefährlich“ bewertet worden und alle Behörden seien mit der Abschiebung einverstanden gewesen. Dies, so Seehofer, sei letztlich „durchaus nachvollziehbar“.

Im Herbst 2014 war Ben Ammar nach Deutschland eingereist, lebte zunächst in Chemnitz. Mit mindestens einem Dutzend Identitäten trat der Tunesier auf, in seinem Asylheim pries er den IS – und schloss später Freundschaft mit Amri. Als Gefährder wurde Ben Ammar jedoch erst wenige Tage nach dem Anschlag von Berlin eingestuft, sein Asylantrag kurz darauf abgelehnt. Am 3. Januar 2017 wurde der Tunesier schließlich festgenommen und zwei Mal zu einer möglichen Beteiligung an dem Berlin-Attentat befragt. Ben Ammar wies das zurück: Er habe mit dem Anschlag nichts zu tun.

Seehofer widerspricht Verdächtigungen

Aber Fragen bleiben. Arbeitete Ben Ammar mit dem marokkanischen Geheimdienst zusammen, wie der Focus zuletzt berichtete? Dazu hätten die deutschen Nachrichtendienste keine Erkenntnisse, behauptet Seehofer. Was ist mit den Fotos vom Anschlagsort, die sich auf Ben Ammars Handy befanden? Das seien nur Fundstücke aus sozialen Medien. Ein Video vom Anschlag, das den Tunesier zeigen soll? Das Video sei nur aus großer Entfernung aufgenommen, eine „Identifizierung von Personen nicht möglich“.

Ein Foto eines Mannes mit blauen Handschuhen vom Tatort, das Ben Ammar ähnele? „Ein tatunbeteiligter ziviler Ersthelfer.“ Und der Verdacht, Ben Ammar habe auf dem Breitscheidplatz einen Mann mit einem Kantholz niedergeschlagen, um Amri die Flucht zu ermöglichen? Die Verletzung konnte nicht geklärt werden, widerspricht Seehofer auch hier. Ein Medizingutachten halte eine „Fremdeinwirkung aber für „eher unwahrscheinlich“. Wo sich Ben Ammar indes zur Tatzeit aufhielt, „konnte nicht ermittelt werden“, so der Innenminister.

Der Opposition reichen die Antworten nicht. Eine „reine Luftnummer“ kritisierte FDP-Innenexperte Benjamin Strasser Seehofers Auftritt. „Das Credo ist: Gehen Sie weiter, wir wissen von nix!“ Auch für die Linken-Politikerin Martina Renner sind „keine der zentralen Fragen beantwortet“. Wo sei Ben Ammar heute? Wie verankert war er in der dschihadistischen Szene? Warum blieb er trotz der schweren Vorwürfe nicht länger in Haft?

Untersuchungsschuss will Ben Ammar verhören

Seehofer räumte am Donnerstag ein, nicht zu wissen, wo sich Bilel Ben Ammar momentan befindet. Auch zu einem Foto eines Flugtickets nach Nizza vom 7. Juli 2016, das sich auf Ben Ammars Handy befand, könne er nichts sagen – wegen laufender Ermittlungen. Wenige Tage darauf gab es damals in Nizza einen islamistischen Anschlag mit einem Lkw, bei dem 86 Menschen starben.

Für den Amri-Untersuchungsausschuss im Bundestag bleibt Ben Ammar eine zentrale Figur, er will ihn als Zeugen anhören. Der SPD-Obmann Fritz Felgentreu verwies auf einen BKA-Vermerk, nach dem der Tunesier am Tattag auch Fotos vom Weihnachtsmarkt in Berlin-Spandau gemacht habe. War hier eine Fortsetzung des Anschlags geplant oder ein weiterer Angriff? „Vieles spricht dafür, dass Ben Ammar ein Mitwisser war“, so Felgentreu.

FDP-Mann Strasser kritisierte um so mehr, dass die Regierung „nicht die Spur des Willens zeigt“, den Aufenthaltsort Ben Ammars zu ermitteln. Dies müsse sich ändern.

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2 Kommentare

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  • Wenn er für unsere "Heimat" gefährlich war, wie unser "Heimatminister" Horst der 1. sagt, kann man das ja nicht in Frage stellen.



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    Alles andere würde die Bürger doch nur verunsichern! :-(



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    Gruss Sikasuu

  • Man darf gespannt sein, welche Akten länger verschlossen bleiben:



    Die Latte liegt mit 120 Jahren für den NSU Prozeß ganz schön hoch...