Terroranschlag am Breitscheidplatz: Erinnern an 13 Getötete
Am Sonntag jährt sich der islamistische Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin zum fünften Mal. Und die Kritik an den Behörden verstummt nicht.
Elf Menschen starben in den Trümmern, als der Attentäter Anis Amri mit dem entführten Lastwagen quer durch die Buden fuhr. Den Lkw-Fahrer hatte er vorher getötet. Am 5. Oktober dieses Jahr starb ein 49-jähriger Mann an Spätfolgen einer Verletzung, die er erlitten hatte, als er direkt nach dem Anschlag zu Hilfe eilte. Dabei wurde er mutmaßlich von einem Balken am Kopf getroffen. Seither musste er rund um die Uhr betreut werden. Er wird als 13. Todesopfer des Anschlags eingestuft.
Zum fünften Jahrestag des Anschlags werden am Sonntagabend Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) und Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) erwartet. Bei einer Andacht in der Gedächtniskirche wollen Steinmeier und Müller kurze Reden halten; die Predigt kommt vom evangelischen Bischof Christian Stäblein. Zugegen sind auch der katholische Erzbischof Heiner Koch, ein Rabbiner und ein Imam.
Am Mahnmal ist ein stilles Gedenken mit Blumen, Kränzen und Kerzen auf den Stufen geplant. Die Namen der 13 Toten werden vorgelesen; um 20.02 Uhr, der Uhrzeit des Anschlags, schlägt die Kirchenglocke 13 Mal.
Auch damals verletzte Menschen sowie Angehörige der Getöteten werden an dem Gedenken teilnehmen. Einige der mehr als 200 Betroffenen kritisieren die Behörden, weil sie sich nicht ausreichend betreut und unterstützt fühlen. Und weil ihrer Meinung nach die Hintergründe des Terroranschlags nicht vollständig aufgeklärt wurden.
„Ich kann das verstehen“, sagt Berlins Opferbeauftragter Roland Weber. Betroffene und Hinterbliebene hätten eine „unglückliche Kommunikation von Stunde null an“ erlebt. Die rund 200 Anträge an das Versorgungsamt nach dem Opferentschädigungsgesetz seien jedoch überwiegend positiv entschieden worden. Gegen die Entscheidungen gab es laut Weber vier Klagen bei Sozialgerichten und zwei Widersprüche.
Ein Großteil des vom Bund bereitgestellten Geldes für Opfer von Terroranschlägen wurde demnach an die Betroffenen und Hinterbliebenen des Berliner Anschlags gezahlt, rund 3,7 Millionen Euro. Insgesamt seien aus mehreren Töpfen bislang knapp 5,6 Millionen Euro geflossen, so der Opferbeauftragte des Bundes, Edgar Franke.
In Briefen an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundestagspräsidentin Bas forderten jüngst einige Opfer und Hinterbliebene eine weitere Aufklärung der Hintergründe der Tat. Im Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses seien viele Fragen offen geblieben, „und die Opfer und Ersthelfer wurden nicht gehört“, heißt es darin.
Tatsächlich hatten mehrere Untersuchungsausschüsse parallel Hunderte Zeugen befragt und festgestellt, dass dem Anschlag zahlreiche Fehler im Bundeskriminalamt (BKA), im Berliner Landeskriminalamt (LKA), im Verfassungsschutz, in Staatsanwaltschaften und anderen Behörden vorausgegangen waren.
Es gebe „keinen einzelnen Schuldigen“ und „keine Einzelfehler“, die direkt zum Anschlag geführt hätten, hieß es in Berlin. „Es ist die Summe dieser Fehler und Versäumnisse, die den Anschlag möglich gemacht haben.“ Zwar sei der abgelehnte Asylbewerber Anis Amri aus Tunesien als gewalttätiger und möglicherweise gefährlicher Islamist bekannt gewesen. Trotzdem wurde er nicht weiter observiert und abgehört, geschweige denn aus dem Verkehr gezogen.
Lehren aus dem Anschlag beim Berliner LKA
Nach dem Anschlag erhielt die Berliner Kriminalpolizei zusätzliches Personal. Im Berliner LKA gibt es eine neue Abteilung für Islamismus und islamistischen Terrorismus, außerdem neue Fahrzeuge, Waffen und Schutzkleidung.
Um besser einzuschätzen, wie hoch das Gewaltrisiko ist, das von einem bestimmten islamistischen Gefährder ausgeht, nutzen die Polizeibehörden von Bund und Ländern seit Juli 2017 ein neues Analyseinstrument. Radar-iTE soll der Polizei helfen, im Alltag die richtigen Prioritäten zu setzen. Damit von den aktuell rund 550 islamistischen Gefährdern vor allem diejenigen nicht aus dem Fokus geraten, bei denen die Wahrscheinlichkeit, dass sie einen Anschlag begehen, besonders hoch ist.
Dass dies nicht immer gelingt, zeigt das Beispiel des jungen Syrers, der in Dresden im Oktober 2020 ein homosexuelles Paar angegriffen und einen der beiden Männer mit dem Messer getötet hat. Er suchte und fand nach Erkenntnissen der Behörden erst in Deutschland Anschluss an die islamistische Szene. Seit 2017 hatten ihn die Behörden als Gefährder auf dem Schirm. 2018 verurteilte ihn das Oberlandesgericht Dresden zu einer Jugendstrafe, weil er für die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) geworben hatte. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis war der mutmaßliche Täter zwar observiert worden, aber nicht rund um die Uhr. Abschiebungen nach Syrien sind seit Jahren nicht möglich.
„Ich gehe davon aus, dass das Netz, was die Überwachung von Gefährdern angeht, jetzt engmaschiger ist als 2016“, sagt Alexander Throm (CDU). Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion gehörte in der zurückliegenden Wahlperiode dem Untersuchungsausschuss Breitscheidplatz des Bundestages an. Er plädiert dafür, das Instrument der Sicherungsverwahrung bei gefährlichen Islamisten zu nutzen. Auch mit Blick auf Abschiebehindernisse wie im Fall des Syrers aus Dresden. Für die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung – also in Fällen, wo sich jemand erst in der Haft der dschihadistischen Ideologie zuwendet – wäre eine Gesetzesänderung notwendig.
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