Teppich-Recycling in Deutschland: Mission Zero vertagt
Alte Teppiche werden in Deutschland überwiegend verbrannt. Eine Wiederverwertung setzt sich nur sehr langsam durch.
Im Jahr 2016 wurden in der EU 700 Millionen Quadratmeter Auslegeware verkauft, allein in Deutschland waren es rund 180 Millionen Quadratmeter. Im selben Jahr wurden nach Angaben der Europäischen Kommission 1,5 Millionen Tonnen gebrauchter Teppichböden vernichtet. Der genaue Anteil Deutschlands daran wird nicht genannt, die jüngste absolute Schätzung stammt aus dem Jahr 2000: rund 400.000 Tonnen.
Seit die EU-Kommission 2013 eine Richtlinie zum effizienten Ressourceneinsatz in Gebäuden erlassen hat, experimentieren viele Hersteller mit ökologischeren Materialien und Nachhaltigkeitskonzepten. Der Firmenverband Gemeinschaft umweltfreundlicher Teppichboden, in dem sich nach eigenen Angaben 95 Prozent der Hersteller versammeln, hätte gern ein branchenübergreifendes Recycling.
Geschäftsführer Edmund Vankann gesteht aber ein, dass Recycling-Projekte bislang am unterschiedlichen Design der Hersteller scheiterten. Bis es dafür eine Lösung gibt, plädiert er für die thermische Verwertung: „Teppiche brennen gut“, sagt Vankann.
Immerhin Einzellösungen bieten dagegen die beiden größten Hersteller in Europa, Weltmarktführer Interface und Desso, die niederländische Tochter des US-Konzerns Tarkett. Interface verfolgt seit 1994 die „Mission Zero“, einen Null-Abfall-Plan, den das Unternehmen bis zum Jahr 2020 umsetzen will.
„Abfall ist Nahrung“
Kernelement: Müll vermeiden und erneuerbare Energien einsetzen. Außerdem will Interface den Stoffkreislauf seiner Produkte schließen, indem es gebrauchte Fliesen von seinen Kunden zurücknimmt und in einer eigenen Anlage recycelt.
Nach Recherchen der Deutschen Umwelthilfe hat Interface 2015 in Europa gerade einmal 900 Tonnen zurückgenommen – das entspricht 1,5 Prozent der im selben Jahr verkauften Menge. „Wir räumen ein, dass es zu diesem wichtigen Aspekt noch viel zu tun gibt“, sagt auch Erin Meezan, die Nachhaltigkeits-Managerin des Unternehmens.
Noch prominenter als Interface wirbt Konkurrent Desso mit Nachhaltigkeit. Die Idee: „Abfall ist Nahrung“. Die Teppichfliesen sollen komplett zurückgenommen, die Materialien wiederverwendet werden können.
Allerdings fällt schon beim Internetauftritt auf, dass die Rückenbeschichtungen nach der Trennung von den Fasern vor allem an den Straßenbau weiterverkauft, andere Komponenten zur Verbrennung an die Zementindustrie weitergegeben werden. Desso hat 2015 in Europa auch nur 1.342 Tonnen Auslegeware zurückgenommen, das waren drei Prozent der verkauften Menge.
„Desso und Interface arbeiten im Vergleich zu anderen Herstellern mehr am Recycling. Doch vieles steckt hier noch in den Kinderschuhen“, sagt Thomas Fischer von der Deutschen Umwelthilfe. Im Marketing erweckten die Unternehmen allerdings den Eindruck, die Kreislaufstrukturen seien voll aufgebaut. Für Fischer ist das „Greenwashing“.
Reduce, Reuse, Recycle
Das weisen die Firmen jedoch zurück. Desso schreibt: „Wir sind sicher, dass die vorgesehene Menge von 16.000 bis 20.000 Tonnen eingesammelter (Fliesen) erreicht werden kann, auch wenn es länger dauert als erwartet.“ Der Vorwurf des Greenwashings sei „völlig falsch und unbegründet, wenn man berücksichtigt, was die Firma täglich leistet“.
Eine Überarbeitung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes könnte Teppichrecycling stärker verbreiten. Eigentlich gilt nach der EU-Abfallrahmenrichtlinie eine fünfstufige Vorgehensweise: Vermeidung, Aufbereitung und Wiederverwertung, Recycling, Verbrennen, Deponieren. Letzteres ist für gebrauchte Teppiche seit 2005 verboten.
Teppiche weisen so hohe Brennwerte auf, dass die Entsorgungsindustrie bislang die ersten Stufen überspringen und die Fliesen gleich zur Verbrennung geben durfte. Diese sogenannte Heizwertklausel wurde Ende 2016 gestrichen. Ab Sommer 2017 sollen Entsorger alte Teppiche nach den ersten Stufen behandeln.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen