Telefonseelsorge überlastet: Nur jeder zehnte Anruf kommt durch
Die Telefonseelsorge ist zunehmend überlastet. Gesundheitsminister Lauterbach (SPD) will mit den Ländern eine Hotline für Suizidgefährdete entwickeln.
15 Millionen Anrufe habe es 2023 gegeben und 1,1 Millionen Gespräche, sagte Helmut Ellensohn, Vorsitzender der Telefonseelsorge, im Gespräch mit der taz. Die Kapazitäten der 104 Stellen mit 7.500 Ehrenamtlichen reichen nicht aus, die vielen Ratsuchenden zu bedienen. Der Bedarf habe zugenommen. „Es ist ein Dilemma“, so Ellensohn. Es sei auch zunehmend schwieriger, Ehrenamtliche für die Telefonseelsorge zu gewinnen. Interessent:innen für diese Arbeit müssen eine 140-stündige Schulung durchlaufen.
Anrufer:innen bei der Telefonseelsorge (Nummer 0800-111-0-111) werden oftmals durch Bandansagen aufgefordert, später nochmal anzurufen oder auf Chats und E-Mails der Telefonseelsorge verwiesen. Jede E-Mail werde aber innerhalb von 72 Stunden beantwortet.
Auch andere Servicestellen sind überlastet: Die Online-Suizidprävention „U 25“ der Caritas, die sich an Jüngere wendet, konnte im vergangenen Jahr nur 20 Prozent der Neuanfragen annehmen. Das Online-Hilfsangebot „Mano“ konnte aufgrund der hohen Nachfrage in den ersten Monaten nur elf Prozent der Ratsuchenden freischalten. Dies hatten Fachleute der Suizidprävention bereits im Herbst vergangenen Jahres moniert und die Gründung und auskömmliche Ausstattung einer zentralen Informations- und Koordinationsstelle zur Suizidprävention mit einer allzeit erreichbaren Telefonnummer für Suizidgefährdete und deren Angehörige gefordert.
20 Millionen Euro gefordert
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kündigte nun am Donnerstag die lange erwartete „Nationale Suizidpräventionsstrategie“ an, zu der in den kommenden Monaten ein Gesetz vorgelegt werden soll. Im Rahmen der Strategie soll eine bundesweite Koordinierungsstelle für Beratungs- und Kooperationsstellen eingerichtet werden. Diese soll in den kommenden Jahren unter anderem eine Aufklärungskampagne zur Enttabuisierung von psychischen Erkrankungen und Suiziden konzipieren sowie Schulungen für Fachkräfte im Gesundheitswesen und in der Pflege entwickeln, sagte der Minister.
Darüber hinaus soll gemeinsam mit den Ländern eine zentrale Krisendienst-Notrufnummer eingerichtet werden. Diese soll Hilfesuchende unmittelbar an entsprechende Angebote in Ländern und Kommunen weitervermitteln, in Kooperation mit den bestehenden Beratungsstellen.
Die Finanzierung dieser Maßnahmen ist allerdings unklar. Verschiedene Institutionen der Suizidprävention hatten für deren Ausbau Bundesmittel in Höhe von 20 Millionen Euro gefordert. Bisher sind im Bundeshaushalt keine Gelder dafür vorgesehen. Man könne die Kosten „auf die Schnelle noch nicht abschätzen“, sagte Lauterbach am Donnerstag. Die Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention, Ute Lewitzka, forderte am Donnerstag, für die in der Strategie geplanten Maßnahmen müsse es „klare Verantwortungsübernahmen für eine auskömmliche Finanzierung geben“.
Rheinbrücken mehr sichern
Lauterbach sagte, man müsse auch „methodenbegrenzende Maßnahmen“ durchführen, also etwa die Zugangsbeschränkung zu Mitteln und Orten für einen Suizidversuch. Er nannte als Beispiel dafür die Sicherung von bestimmten Rheinbrücken durch Auffangnetze. Tatsächlich ist die Reduktion der Suizidzahlen etwa durch die Sicherung hoher Gebäude oder die Verkleinerung der Packungsgrößen bei Medikamenten gut belegt.
Laut Statistik nahmen sich im Jahre 2022 rund 10.000 Menschen das Leben, das ist im Vergleich zum Vorjahr ein Anstieg von zehn Prozent. Die Suizidzahl bewegt sich seit 20 Jahren um dieses Niveau herum, trotz der Verbreitung von Antidepressiva und des Ausbaus psychotherapeutischer Behandlungen.
70 Prozent der freiwillig Gestorbenen sind Männer. Die Suizidraten bei Männern im Alter von 85 bis 90 Jahren sind mehr als siebenmal so hoch wie bei jungen Männern zwischen 30 und 35 Jahren.
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