Teilwiederholung der Bundestagswahl: Auf sicherem Boden bei der SPD
Die in Umfragen abgestürzte SPD macht sich, angefeuert durch ihre Noch-Landeschefin Giffey, selbst Mut für die Wahlwiederholung am 11. Februar.
Berlin taz | Sie will ja nicht mehr Parteichefin sein – weil viele ihrer so genannten Parteifreunde es nicht wollen. Aber die blonde Mittvierzigerin, die am Donnerstagabend in der SPD-Bundeszentrale vor über 150 ihrer Genossen steht, ist immer noch die führende Entertainerin der Berliner Sozialdemokraten. Etwas mehr als vier Wochen vor der Teil-Wiederholung der Bundestagswahl ist die Umfragelage für die SPD miserabel – doch Franziska Giffey schafft es, den als Wahlkampfauftakt deklarierten Abend zu einem Wohlfühlmoment für ihre Partei zu machen.
Die SPD-Bundeszentrale, das ist jenes tortenstückartige Haus an der Ecke Stresemannstraße/Wilhelmstraße in Kreuzberg, in dem innen ein etwas kleineres Tortenstück rausgeschnitten ist. Das sorgt für einen natürlichen Versammlungssaal, in dem Plakate mit Erfolgsbotschaften hängen und wo führende SPDler seit den 90er-Jahren so manchen Sieg oder Dämpfer gefeiert oder betrauert haben.
Neben den nun wie Giffey moderierenden Parteivorderen steht dann immer derselbe, mit ausgestreckter rechter Hand, die linke in der Hosentasche vergraben: Willy Brandt, der 1992 verstorbene Exkanzler und Exparteichef, in Bronze 3,40 Meter hoch nachgebildet und gerade für viele ältere Genossen immer noch eine Erinnerung an bessere Zeiten.
Zu seinen Füßen also führt Giffey durch den Abend. Zwar wird sich auch Raed Saleh, ihr Co-Landesvorsitzender, als Moderator versuchen, und die Bundesparteioberen Lars Klingbeil und Kevin Kühnert werden gleichfalls aufmunternde Reden für die Genossen auf den Sitzreihen halten. Denn die sollen ja in den nächsten vier Wochen trotz Kälte und möglicherweise erneut Glatteis für Wahlkampf sorgen, Stände bemannen und befrauen, Flugblätter verteilen, an Haus- und Wohnungstüren klopfen. Doch fürs Lockere, sich auch mal selbst karikierende sorgt die Frau, die am 3. Januar angekündigt hat, dass sie SPD-Parteitag im Mai nicht wieder für den Landesvorsitz kandidieren will.
In den Umfragen abgestürzt
Zum Zeitpunkt jener anderen Wahl, die nun teilweise zu wiederholen ist, nämlich am 26. September 2021, kam die SPD bundesweit auf 25,7 Prozent. Aktuell sind in Umfragen davon je nach Befragungsinstitut noch 13 bis 17 Prozent geblieben. Würde die Bundestagswahl wie die Abgeordnetenhauswahl wegen der damaligen Wahlpannen komplett wiederholt, fielen in vier Wochen mit sehr großer Wahrscheinlichkeit alle vier direkt gewonnen SPD-Mandate weg, auch das von Generalsekretär Kühnert in Tempelhof-Schönberg.
Doch weil das Bundesverfassungsgericht am 19. Dezember entschied, nur in jedem fünftem Wahllokal erneut abstimmen zu lassen, bleibt der Partei Willy Brandts die Schmach erspart, in jener Stadt, in der er einst Regierungschef war, kein Direktmandat im Bundestag mehr zu haben.
Was aber nicht heißt, dass es nicht etwas zu verlieren gibt. Denn die vom Gericht beanstandeten Wahlbezirke verteilen sich sehr ungleich über die Stadt: Während das in Treptow-Köpenick noch nicht mal vier Prozent der Wählerschaft betrifft, sind es in Pankow 85 Prozent. Das bedeutet: Auch wenn die Wahl keinen Einfluss auf die Mehrheit der Ampel-Koalition im Bundestag hat, kann es in einzelnen Wahlkreisen spannend werden.
Für die SPD am wichtigsten ist dabei der Wahlkreis ihres früheren Regierenden Bürgermeisters Michael Müller in Charlottenburg-Wilmersdorf. Dort dürfen 42 Prozent der Wahlberechtigten, also fast jeder und jede Zweite, nochmal wählen. Müller lag hier 2021 nicht allzu weit vor der inzwischen zur Bundesministerin avancierten Lisa Paus von den Grünen, die in Umfragen weit weniger schlecht da stehen als die SPD. Und angesichts des gegenwärtigen Umfragebooms der Christdemokraten ist es auch gut möglich, dass der 2021 nur drittplatzierte CDU-Kandidat noch an beiden vorbei zieht. Viel hängt dabei von der Wahlbeteiligung ab.
Entsetzen über „Wannseekonferenz der Neuzeit“
All das kommt am Donnerstagabend im Willy-Brand-Haus aber nicht zur Sprache. Als sich die Wahlkreiskandidaten auf Giffeys Einladung hin vorne aufstellen, von ihr befragen und auch bespaßen lassen, ist eher davon die Rede, aus den aktuell sieben Mandaten noch mehr zu machen. Stattdessen dürften es eher weniger werden: Wegen der erwarteten geringen Wahlbeteiligung und damit weniger abgegebener Stimmen im Vergleich zu anderen Bundesländern droht nicht bloß der SPD, sondern auch anderen Parteien, dass ein Sitz verloren geht.
Bei der SPD würde das Ana-Maria Trăsnea treffen: Die frühere Staatssekretärin in der Senatskanzlei war erst im Mai über die Landesliste für Cansel Kiziltepe nachgerückt, die in der neuen schwarz-roten Landesregierung Bildungssenatorin wurde. An Kiziltepe zeigt sich besonders, wie skurril eine Wahlwiederholung fast zweieinhalb Jahre nach der ursprünglichen Wahl sein kann: Weil sie damals in Friedrichshain-Kreuzberg auf dem Wahlzettel stand, ist das auch jetzt der Fall, obwohl Kiziltepe, wie sie im Willy-Brandt-Haus klar macht, Sozialsenatorin bleiben will. Der Zehlendorfer SPD-Abgeordnete Ruppert Stüwe berichtet wiederum, die AfD-Kandidatin, die in seinem Wahlkreis erneut auf dem Zettel steht, könne gar keinen erneuten Wahlkampf machen, weil sie wegen Terrorverdachts und Umsturzversuchs in Haft sei.
Ein zentraler Gedanke des Abends ist auch die Aufforderung, aus der Wiederholungswahl, der bundesweit ersten 2024, ein Signal zu machen, vor allem gegen die AfD. Giffey zeigt sich weiter bestürzt durch das tags zuvor bekannt gewordene Treffen von AfD-Mitgliedern mit Rechtsextremen in einem Landhaus am Rande Potsdam, wo es um „Remigration“ von Deutschen mit Migrationshintergrund ging. Eine „Wannseekonferenz der Neuzeit“ sieht sie darin – deren Schauplatz am Heckeshorn und besagtes Landhaus liegen nur acht Kilometer Luftlinien auseinander.
Dass all das am Donnerstagabend nicht noch mehr Genossen miterleben – angesagt hatten sich deutlich mehr, war zu hören – hat wiederum viel mit dem Glatteis zu tun, das sich in den Stunden zuvor gebildet hatte. Giffey aber, die vor Veranstaltungsbeginn Journalisten anvertraut hat, sie sei am Arm ihres Dienstwagenfahrers sicher in den Saal gekommen, kann selbst den rutschigen Verhältnissen vor der Tür noch etwas Positives abgewinnen: Das zeige doch, sobald man bei der SPD angekommen sei, „sind Sie auf sicherem Boden.“