Teilräumung von Berliner Hausprojekt: Morgens um halb acht in Mitte
Polizei und Gerichtsvollzieher räumen einen Bewohner eines linken Hausprojekts. Schon kurz darauf wollen Interessenten sein Zimmer besichtigen.
Neuneinhalb Jahre hat der fünfzigjährige Mann in dem linken Hausprojekt gelebt, seit den Morgenstunden ist er „obdachlos“, wie er sagt. Völlig unerwartet standen kurz nach halb 8 Uhr acht Polizisten vor seinem Bett, um ihn zu räumen. Sie ließen ihm keine Zeit, seine Mitbewohner zu informieren. Neben insgesamt 25 eingesetzten Beamten waren auch Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdienstes, einer der Hausbesitzer und ein Gerichtsvollzieher vor Ort. Sie vollstreckten den Räumungstitel für Simons Wohnung. Betroffen war auch ein zweites Zimmer, das als Gemeinschaftsfläche genutzt wird.
Das 1823 erbaute und unter Denkmalschutz stehende Eckhaus wurde im Mai 1990 besetzt; seitdem dient es wechselnden Bewohnern als alternatives Wohnprojekt. Mitten in der schick sanierten Spandauer Vorstadt, unweit des Rosenthaler Platzes und gegenüber dem Garnisonsfriedhof, wirkt es wie eine Trutzburg aus der Vergangenheit. Aus den Fenstern hängen Transparente, von der graubeigen Fassade blättert großflächig der Putz, Parolen gegen Soldaten und Nazis und einst bunte Graffiti sind längst verblasst.
Obwohl die Besetzergeneration schon 1991 Mietverträge erhielt, ist die Situation für die heutigen Bewohner unsicher. Seit der Rückübertragung des Hauses an eine Erbengemeinschaft ist es mehrfach verkauft worden. Die jetzigen Eigentümer, die Berliner Geschäftsleute Bernd-Ullrich Lippert und Frank Wadler, kauften das Gebäude im Jahr 2010 für 600.000 Euro und kamen den Bewohnern damit zuvor, die das Haus mithilfe des Mietshäusersyndikats selbst erstehen wollten.
„Ich habe meine Miete immer gezahlt“, sagt Simon, während er kettenrauchend und mit leerem Blick das Geschehen verfolgt. Dass der Hausverein „Linientreu“ seine Miete stets zahlte, reichte den Besitzern nicht. Seit Jahren überziehen Lippert und Wadler die Bewohner mit Prozessen. Zweimal scheiterten sie mit ihren Abmahnungen und Kündigungen – die Mietverträge von 1991 haben Bestand, urteilten die Gerichte. Doch die Besitzer klagten weiter, weil diejenigen, mit denen damals die Verträge abgeschlossen wurden, längst nicht mehr in dem Haus wohnen. In Simons Fall mit Erfolg.
Obwohl es keine richtigen Wohneinheiten gibt, erschienen keine zwei Stunden nach Räumungsbeginn Interessenten für das Zimmer. Sie hatten ein Inserat im Internet gelesen, so erzählen es Bewohner und Unterstützer des Hauses wie Wenke Rottstock. Zur Besichtigung sei es allerdings nicht gekommen, sagt die Frau mit dem grün-rot gefärbten Pferdeschwanz, die sich für das Hausprojekt engagiert.
Noch während der Räumungsarbeiten hängen Bewohner Transparente aus den Fenstern: „Kein Platz für Neuvermietung“ und „Wohnungen sind vermietet“ steht auf ihnen. Ihre Botschaft: Von außen eingesetzte Mieter, die mit dem Projekt nichts zu tun haben – das kann nicht funktionieren.
Lippert, der sich vor Jahren einen Schlüssel zum Objekt gerichtlich erstritt, war am Dienstag mit im Haus. Nach Ende der Räumung verließ er mit Security-Mitarbeitern den Ort. Telefonisch war er für die taz nicht zu erreichen. Die Bewohner kündigten ihm gegenüber derweil auf ihrem Blog an: „Wir sehen uns vor Gericht wieder.“
*Name geändert
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten