Linke Hausprojekte in Berlin: Das Verschwinden der letzten Freiräume
Beim Intersquat-Festival wollen Aktivisten aus ganz Europa über Freiräume diskutieren. Davon gibt es nicht mehr viele in der Stadt. Einst besetzte Häuser sind geräumt, andere stehen kurz davor. Drei Beispiele
"Schade ist das da drüben", sagt der Imbisswirt. Von seiner gelben Wurstbude blickt er direkt in die offenen Fensterhöhlen des traurigen Vierstöckers gegenüber - Nummer 183, auf der anderen Seite der Brunnenstraße. Nur Touristen kämen noch vorbei und machten Fotos, sagt der Mann. Sonst passiere da nichts. "Dafür sind jetzt ein paar Leute obdachlos."
600 Polizisten hatten die Brunnenstraße 183 in Mitte im November 2009 geräumt. Und den stadtbekannten Umsonstladen im Erdgeschoss gleich mit. Zuvor waren alle Verhandlungen zwischen Senat, Bewohnern und dem Eigentümer gescheitert. Bauarbeiter rissen die Fenster aus den Rahmen, Securities verrammelten die Eingänge.
Am Freitag beginnt das Intersquat-Festival. Neun Tage lang soll über Freiräume diskutiert werden. Geplant sind Workshops, Demos und Ausstellungen. Mehrere hundert Teilnehmer werden erwartet, auch ausländische Aktivisten. 2009 fand Intersquat in Rom, 2008 in Paris statt.
Was weiterhin fehlt, ist ein zentrales Veranstaltungsgelände. Gespräche mit dem Senat scheiterten. Man verhandle noch mit privaten Grundstückseigentümern, so die Veranstalter am Mittwoch. Erstmal gibt es einen Info-Punkt in der Köpi (Köpenicker Str. 137).
Los gehts am Freitag mit einer Demonstration gegen die Mehrzweckhalle am Ostbahnhof. Start ist vor dem RAW-Tempel an der Revaler Straße, 18 Uhr. (ko)
Seitdem pfeift der Wind durch die kahlen Räume. An der Fassade prangt noch immer das gemalerte "Wir bleiben alle". Am früheren Eingang zum Umsonstladen kleben grellgelbe Plakate, die für einen Nachtflohmarkt werben. Darüber weht ein zerfetzter schwarz-roter Wimpel. Bauarbeiter, sagt der Imbissmann, habe er seit der Räumung nicht gesehen.
Die Brunnenstraße, sagt Eric, stehe symptomatisch für einen Prozess, der demnächst wieder ins Rollen kommen könnte. Der linke Aktivist gehört zu den Mitorganisatoren des Intersquat-Festivals, das ab Freitag neun Tage lang über Freiräume in der Stadt diskutieren will (siehe Kasten). Die Zeiten für selbstbestimmtes Wohnen seien nicht rosig, sagt Eric. Die Liebigstraße 14, die Rigaer 94, die Bödi 9, der Linienhof, die Reiche 63, das Tacheles - alle räumungsbedroht. "Überall steigen die Mieten, das setzt Hausprojekte zunehmend unter Druck." Sanierungen lohnen wieder, ehemalige Hausbesetzer dagegen nicht. Deren - zumeist Anfang der 90er Jahre verhandelte - Mieten liegen oft weit unter dem Mietspiegel.
In der Brunnenstraße hat der Räumungsverursacher ein freundliches Gesicht mit Brille und ergrautem Bart. 2006 erwarb Manfred Kronawitter das seit 1990 besetzte "Brunnen 183"-Haus. Er ist ein Passauer Allgemeinmediziner, dessen Sohn seit Jahren in der Berliner Antifa-Szene aktiv ist. Ein Mehrgenerationenhaus wolle er errichten, sagt Kronawitter. Energieeffizient, nachhaltig. "Was Vernünftiges." Leider würden sich die Genehmigungen und das architektonische Planen immer noch hinziehen. "Wir wollen aber noch vor Jahresende anfangen."
Moritz Heusinger schüttelt den Kopf. "Absoluter Wahnsinn" sei das, was da gerade in der Brunnenstraße passiere. Oder gerade nicht passiere. Der Rechtsanwalt hatte die gut 30 Bewohner der Brunnenstraße bis zum Schluss betreut. "Erst lässt Kronawitter mitten im Winter räumen und dann lässt er das Haus einfach verfallen", schimpft Heusinger. Den früheren Bewohnern versetze dies einen zweiten Stich. Dabei hätte die Räumung gar nicht vollzogen werden dürfen, so der Rechtsanwalt. Nur drei Räumungstitel hätte Kronawitter vorweisen können, die Polizei aber habe das ganze Haus geräumt. "Weil den Bewohnern das Geld fehlt, konnten wir da juristisch aber nichts machen."
Der Vorwurf macht Kronawitter fuchsig. Eine "Lüge, freche Lüge" sei das. Zum Zeitpunkt der Räumung habe es keinen einzigen legalen Mieter mehr im Haus gegeben. Er hätte sich das auch alles anders gewünscht, sagt der Arzt. Bis zum Schluss sei er kompromissbereit gewesen, auch ein zentral gelegenes Ersatzgrundstück zu akzeptieren.
Die Ex-Brunnen-183-Bewohner haben sich derweil auf andere Hausprojekte in der Stadt verteilt, manche haben normale Mietwohnungen bezogen. Auch der Umsonstladen fand Unterschlupf - im Keller der Kastanienallee 86, dort wo einst die Galerie Walden war. Die Obhut währte nicht lange. Vor anderthalb Wochen wurde der Laden auch dort vom Eigentümer geräumt. Er will im Souterrain ein Ladengeschäft eröffnen.
Es sind genau diese Szenarien, vor denen sich die Bewohner der Friedrichshainer Liebigstraße 14 fürchten. Im November 2009 wurden auch der letzte Mietvertrag des Hauses vor Gericht als ungültig erklärt. 1990 wurde das Haus erst besetzt, später legalisiert. "Extrem anstrengend" lebe es sich gerade im Haus, sagt Hanna Fischer*, Bewohnerin der Liebig 14. "Jeden Tag kann der Räumungsbescheid kommen. Du kannst nichts mehr richtig planen."
Seit Jahresbeginn saßen die Bewohner an Runden Tischen mit dem Bezirk. Am Montag findet das nächste und wohl letzte Treffen statt. Wer stets fehlte, waren die Eigentümer - ein Ingenieur und ein Familientherapeut, denen auch andere alternative Hausprojekte im Kiez gehören. Es gebe keine Kommunikation, keine Kompromisse von deren Seite, bedauert Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne). Alle Ideen - eine Stiftung, ein Rückkauf durch das Land, ein Umzug in ein Alternativhaus - seien ergebnislos durchdekliniert. "Wir sind an einem sehr schwierigen Punkt angekommen", so Schulz. Es sehe leider nicht gut aus für die Liebig 14.
Die 25 Bewohner des Hauses wollen sich nicht einfach ihrem Schicksal fügen. "Wir müssen jetzt anderweitig politisch aktiv werden", sagt Hanna Fischer. Am Montag wird es eine Demo für das Haus geben. "Wir brauchen mehr Öffentlichkeit, für die Situation unseres Hauses, aber auch für eine Stadtentwicklung, die immer mehr Leute ohne dicken Geldbeutel aus der Innenstadt vertreibt." Es wäre "bitter", wenn noch ein Hausprojekt verloren ginge, murmelt Fischer. "So viele gibt es ja nicht mehr."
Es war im Juni 2005, als das Hinterhaus der Yorckstraße 59 in Kreuzberg geräumt wurde. 16 Jahre lang hatten dort rund 60 Linke gewohnt, hatten die "Antirassistische Initiative Berlin" beherbergt. Drei Jahre nach der Räumung attestierte das Berliner Kammergericht, dass der Polizeieinsatz ohne ausreichende Rechtsgrundlage stattfand. Da wohnten die Ex-Yorcker längst im Bethanien. Nach ihrer Räumung hatten sie zwei Etagen des Seitenflügels besetzt - ihr "NewYorck". Dort leben die meisten von ihnen bis heute, inzwischen mit Mietverträgen.
Ihr früheres Alternativdomizil in der Yorckstraße 59 ist längst grundsaniert. Eine sauber verputzte Backsteinfassade erhebt sich im grau gepflasterten Innenhof. Dunkle, metallene Garagentore im Parterre, darüber große, spiegelnde Fensterfronten der ehemaligen Fabriketagen. "13 Lofteinheiten, bis zu 280 Quadratmeter groß, hochwertige Ausstattung", beschreibt der Hausverwalter, die Bau Partner GmbH, den Status quo. Binnen sechs Monaten seien alle Lofts verkauft gewesen. Eins ging an den Schauspieler Til Schweiger.
An die einstigen Besetzer erinnern nur noch einige letzte rote Farbspritzer auf den Pflastersteinen vorm Vorderhaus. Zwei, drei Jahre sei es her, dass der letzte Farbbeutel flog, erinnert sich Irina Schertz*, Mieterin im schlichter ausgestatteten Seitenhaus. Seitdem habe der Protest nachgelassen. Sie habe die Besetzer gemocht, sagt Schertz. Leute mit guten Ideen waren das, und die Kinder konnten auf dem Innenhof spielen. "Heute fahren die da ständig mit ihren Autos drüber." Die aus den Lofts.
Mit dem Eigentümer, einem Hamburger Unternehmensberater, hätten hier viele zu kämpfen, erzählt Schertz. Erst vor kurzem habe er eine "saftige Mieterhöhung" gefordert. Ohne plausiblen Grund. Da hätten sich die Bewohner zusammengetan und dagegen geklagt - mit Erfolg.
* Namen geändert
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