Teil-Legalisierung von Cannabis: Ende einer Verfolgungsjagd
Aktuelle Zahlen zeigen, dass jedes zweite Drogendelikt in Berlin ein Cannabisdelikt war, dazu fast immer im Bagatellbereich. Das ist nun Geschichte.
Für eine Anrufung des Vermittlungsausschusses, was das Gesetz verzögern, wenn nicht ganz zu Fall hätte bringen können, gab es keine Mehrheit. Und auch Berlin enthielt sich am Ende der Stimme, da im schwarz-roten Senat offenkundig bis zuletzt keine Einigung zu der von Badenberg präferierten Verzögerungsschleife Vermittlungsausschuss hergestellt werden konnte.
Überlastung der Polizei, Überlastung der Justiz: Im Vorfeld der Entscheidung im Bundesrat mangelte es nicht an Klagen, was auf Berlins Strafverfolgungsbehörden und Gerichte im Fall der Cannabis-Legalisierung zukommt. Dabei hatten Polizei und Justiz auch durch die bisherige Kriminalisierung alle Hände voll zu tun. Denn faktisch ist fast jedes zweite, in Berlin verfolgte Drogendelikt ein Cannabisdelikt.
In der Polizeistatistik sind dabei allein in den vergangenen beiden Jahren etwas mehr als 17.700 Delikte im Zusammenhang mit Cannabis wegen Abgabe, Besitz oder Handels erfasst. Das geht aus einer noch nicht veröffentlichten Antwort der Senatsinnenverwaltung auf eine parlamentarische Anfrage des Grünen-Abgeordneten Vasili Franco hervor, die der taz vorliegt.
Drei von vier Verfahren wegen Kleinstmengen
Was die Zahlen vor allem zeigen: Über 90 Prozent der Verstöße betrafen Anzeigen aufgrund Abgabe, Besitz oder Handels von Cannabis in irrelevanten Mengen, wobei ganze 14.300 der 17.700 Anzeigen auf die Kategorie „allgemeine Verstöße“, also insbesondere den Privatkonsum entfielen.
Dass drei von vier Verfahren wegen Kleinstmengen geführt wurden, zeigt für Franco vor allem eines: „Dieser unnötige Aufwand war schlicht für die Mülltonne, da reihenweise Verfahren eingestellt wurden.“ Allen Beteiligten sei von Beginn an klar gewesen, dass geringfügige Besitzdelikte in Einstellungen münden, das sei in Berlin schon jetzt bei zwei Dritteln aller Drogenverfahren der Fall. Künftig wird man sich das zumindest bei Cannabis schenken können.
„Ich bin mir sicher, dass Polizei und Staatsanwaltschaft schon bislang Besseres zu tun hatten, als unnötig Papier für den Aktenschrank zu produzieren“, sagt Franco. Der drogenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion geht dann auch davon aus, dass die nun beschlossene Teil-Legalisierung die Berliner Strafverfolgungsbehörden um rund 5.000 Verfahren pro Jahr entlasten wird.
Oder auch nicht. Das zumindest fürchten Polizei und Justiz. Anders als Grüne und Linke warnen sie seit Wochen vor der erwarteten Mehrbelastung durch das Gesetz. Nicht zuletzt die Kontrolle der vorgesehenen Kiff-Verbotszonen sei kaum zu bewerkstelligen, kritisierte etwa Polizeipräsidentin Barbara Slowik.
Unübersichtlichkeit durch tausende Kiff-Verbotszonen
Ein nicht ganz von der Hand zu weisendes Argument: In einem Radius von bis zu 100 Metern um Kitas und Schulen bleibt Abgabe, Besitz oder Handel von Cannabis weiterhin illegal – und in Berlin gibt es nun einmal rund 3.000 Kitas und über 900 Schulen. Weder die Polizei noch die Konsument:innen werden einen Überblick darüber haben, wo genau ein Joint gerollt werden darf und wo nicht, erklärte der Sprecher der Gewerkschaft der Polizei, Benjamin Jendro, gegenüber der taz.
Ähnlich argumentierte am Freitag im Bundesrat Justizsenatorin Felor Badenberg – wobei sie unterschlug, dass selbst Vergehen in Kiff-Verbotszonen ab 1. April nur noch als Ordnungswidrigkeiten und nicht mehr als Straftaten geahndet werden. Badenberg belastete das wenig. Sie gab sich weiter davon überzeugt, dass das Gesetz auch die Berliner Justiz lahmlegen werde.
Immerhin sehe das eine Amnestieregelung für Altfälle vor. Dadurch müssten bereits abgeurteilte Straftaten wegen Drogenbesitzes aufgearbeitet werden. Für die Justizbehörden offenbar eine kaum zu stemmende Herkulesaufgabe, denn, so Badenberg: „Es müssen alle relevanten Akten erst mal gesucht werden.“
Die Berliner Staatsanwaltschaft spricht von rund 3.500 Verfahren. „Das bedeutet, dass mehrere tausend Akten händisch überprüft werden müssen, falls jemand noch inhaftiert ist, muss er möglicherweise sofort entlassen werden“, skandalisierte Badenberg die Cannabis-Freigabe bereits am Mittwoch im Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses.
Scheinargumente der Justizsenatorin
„Was ist das denn für eine abstruse Argumentation?“, sagt Grünen-Politiker Vasili Franco zur taz. Natürlich müssten dann zu Unrecht Inhaftierte entlassen werden. Auch dass die Justizbehörden ihre Akten bislang nicht hinreichend digitalisiert hätten, sei alles andere als ein Grund gegen die Teil-Legalisierung.
Mögen sich alle aufregen, für ihn stehe auch mit Blick auf die von der Innenverwaltung vorgelegte Statistik zu den Drogendelikten eines im Vordergrund, so Franco: „Das Ende der Kriminalisierung und Stigmatisierung von Cannabis-Konsument:innen beendet eine jahrzehntelange ungerechte und ineffektive Praxis.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“