Tauziehen um Carles Puigdemont: Politikfrust und Langeweile

In Spaniens Hauptstadt Madrid stoßen die Entwicklungen im Fall des ehemaligen katalanischen Regierungschefs auf geringes Interesse.

Carles Puigdemont beim Verlassen der Justizvollzugsanstalt Neumünster am Freitag

Carles Puigdemont beim Verlassen der Justizvollzugsanstalt Neumünster am Freitag Foto: dpa

MADRID taz | Und immer wieder Katalonien“, sagt der Kioskbesitzer unweit der Ma­drider Plaza Mayor, während er die Zeitungen des Tages auslegt. „Ich kann es nicht mehr sehen. Ich lese das alles schon gar nicht mehr, und wenn es im Fernsehen kommt, schalte ich um“, fügt er hinzu. Seit dem von Madrid verbotenen Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien am 1. Oktober vergangenen Jahres vergeht kaum ein Tag, an dem es die rebellische Region in Spaniens Nordosten nicht auf die Titelblätter schafft.

Auch heute ist das so. Egal welcher Couleur – alle Blätter haben nur ein Thema auf der ersten Seite: Die deutsche Justiz lässt den ehemaligen katalanischen Regierungschef Carles Puigdemont gegen Kaution frei und liefert ihn nicht wegen „Rebellion“ nach Spanien aus. Zwar kennt auch das deutsche Strafrecht mit „Hochverrat“ einen ähnlichen Straftatbestand. Doch dass man sich dessen schuldig macht, setzt den Einsatz von Gewalt voraus.

Die Richter in Schleswig-Holstein sehen dies nicht gegeben. Wenn es überhaupt zu einer Auslieferung kommt, dann wegen „Veruntreuung öffentlicher Gelder“, und darauf stehen maximal 8 Jahre Haft statt 30 wegen Rebellion. Der Beschluss der deutschen Richter ist ein schwerer Schlag für ihre spanischen Kollegen; darin sind sich alle Zeitungskommentare einig.

„Das musste ja so kommen“, sagt einer der ersten Kunden. Er ist Beamter in der nahe gelegenen Stadtverwaltung und greift zur meistgelesenen Tageszeitung Spa­niens, der liberalen El País. „Ministerpräsident Mariano Rajoy und seine Regierung haben alles auf die Justiz abgewälzt, anstatt Politik zu machen“, sagt er.

Freudiger Unterton

Das würde sich jetzt eben rächen, fügt er mit fast schon freudigem Unterton hinzu. Wäre es nach ihm gegangen, hätte Madrid mit Katalonien verhandelt. „Die Lösung ist einfach: ein Referendum in beiderseitigem Einverständnis.“

„Das würde die Befürworter der Unabhängigkeit doch eh nie gewinnen“, sagt ein anderer Kunde, ein Anwalt, der sein Büro gleich um die Ecke hat. Auch er liest El País. Hier in der Altstadt ist die konservative Presse ein Ladenhüter. Wenn überhaupt wird sie von den meist aus Lateinamerika stammenden Haushaltshilfen der Alten im Stadtteil gekauft. Sie lassen sich auf keine Gespräche ein. Sie haben es eilig.

„Ganz großes Theater, auf ganz großer Bühne“, sieht der Anwalt in Puigdemonts Flucht und dem, was der Katalane damit international ausgelöst hat. Auch wenn er als Jurist den Straftatbestand der „Rebellion“ ebenfalls als nicht gegeben sieht, „müssen Puigdemont und die anderen hart bestraft werden“, meint er. Denn sie hätten sich mit dem Referendum über die Verfassung hinweggesetzt.

Und bliebe dies ungeahndet, drohe die Gefahr, das weitere Regionen nachziehen. „Schau mal, die Katalanen reden immer öfter von den katalanischen Ländern. Sie sind nicht mit Katalonien zufrieden, sie wollen Valencia und die Balearischen Inseln mit dazu“, warnt er.

Riesiges Ablenkungsmanöver

Für die Frau mit der Yogamatte unterm Arm ist das alles „ein riesiges Ablenkungsmanöver“. „Wir verlieren Rechte und Sozialleistungen, die neoliberalen Reformen machen mit allem Schluss, was wir erkämpft haben, und wir reden nur über Fahnen“, sagt die Kunstlehrerin.

Tageszeitungen kauft sie schon lange nicht mehr. Sie greift zu der Guía del Ocio, dem Veranstaltungskalender von Madrid und Umland.

„Der Streit um Katalonien ist der Streit der Eliten um Einfluss und Reichtum“, ist sie sich sicher. Außerdem sei Spanien geostrategisch wichtig. „Deutschland, Russland, ja selbst Israel zieht da im Hintergrund die Strippen“, versucht sie zu erklären, was sie meint. „Was sie uns täglich verkaufen, ist eine völlig virtuelle Realität“, sagt sie mit einem abschätzigen Blick auf die Titelseiten und verlässt den Laden.

„Nationalismus ist in Zeiten der Globalisierung etwas völlig Überholtes“, sagt ein Mann Mitte vierzig, der seine zwei Windhunde ausführt. Er schimpft auf „die ganze Politik“, fühlt sich von allen betrogen und angesichts der Korruption auch bestohlen.

Und dann präsentiert er seine Lösung des Katalonienkonflikts. „Ich würde Puigdemont und alle die anderen in eine Kommune stecken. So eine Art Kibbuz oder so etwas wie Kristiania“, sagt er. „Von mir aus könnten dort auch alle diejenigen hin, die es in Spanien nicht mehr aushalten. Dann hätten wir endlich Ruhe vor ihnen und sie vor uns.“

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Reiner Wandler wurde 1963 in Haueneberstein, einem Dorf, das heute zum heilen Weltstädtchen Baden-Baden gehört, geboren. Dort machte er während der Gymnasialzeit seine ersten Gehversuche im Journalismus als Redakteur einer alternativen Stadtzeitung, sowie als freier Autor verschiedener alternativen Publikationen. Nach dem Abitur zog es ihn in eine rauere aber auch ehrlichere Stadt, nach Mannheim. Hier machte er eine Lehre als Maschinenschlosser, bevor er ein Studium in Spanisch und Politikwissenschaften aufnahm. 1992 kam er mit einem Stipendium nach Madrid. Ein halbes Jahr später schickte er seinen ersten Korrespondentenbericht nach Berlin. 1996 weitete sich das Berichtsgebiet auf die Länder Nordafrikas sowie Richtung Portugal aus.

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