„Tatort“ aus Zürich: Das Krimi-Matriarchat
Im neuen „Tatort“ ermitteln zwei Frauen im alt-linken Milieu. Überzeugend ist neben ihrem Zusammenspiel auch jene von Form und Inhalt.
Das geht ja gut los: „Noch kein Diensthandy, aber schon eine Brandleiche“, bilanziert die junge Ermittlerin Tessa Ott, Neuzugang bei der Kantonspolizei Zürich.
Es ist ihr erster Tag als Profilerin und noch nicht mal Mittag. Aber schon spät genug für ein verschmortes Mordopfer mit Kopfschuss und buddhistischem Tattoo und eine arrivierte Kollegin, die von den Methoden der Neuen nichts hält: „Ah, die Kaffeesatzleserin!“
Und ja, das geht auch filmisch gut los: Mit einer Bild-Ton-Collage aus Schweizer Punk und Archivmaterial von Straßenschlachten, 80er-Jahre-Agitation, nackten Brüsten und Mozart, Law-and-Order-Ansagen und Rauchbomben, dazwischen Tessa Ott, die zum ersten Einsatz radelt und dabei dieselben Straßen passiert, die auch in den Schwarz-Weiß-Bildern von damals zu sehen sind.
Wie diese ersten zwei Minuten Inhalt und Form zum Prolog verquicken, ist meisterinnenhaft. Schnell wird nämlich klar: Es gibt Verbindungen zu den Jugendunruhen im Jahr 1980, als für Millionen das Züricher Opernhaus renoviert wurde, für ein alternatives Jugendzentrum aber keine Franken übrig waren: linke Aktionsgruppen und Polizei standen sich offen feindselig gegenüber. Jetzt kommt diese Vergangenheit zurück und verstrickt die nassforsche Tessa Ott und Platzhirsch Isabelle Grandjean in eine komplizierte Ermittlung – Stunk zwischen beiden inklusive.
Fabelhaftes Zusammenspiel
Während sich Ludwigshafen und Göttingen erst zu rein weiblichen Tatorten entwickelten, ist Zürich von Anfang an als Matriarchat konzipiert – das spürt man. Zwar wird auch Ott und Grandjean die bewährte Stutenbissigkeit ins Skript geschrieben (Ott duzt Grandjean, Grandjean siezt Ott). Doch wie Grimme-Preisträgerin Carol Schuler und die frankophone Anna Pieri Zuercher das mit Blicken schauspielerisch auslegen, ist fabelhaft.
Zürich-„Tatort“: „Züri brännt“, So., 20.15 Uhr, ARD
Und auch der Blick von Regisseurin Viviane Andereggen auf ihre Frauenfiguren ist angenehm klischeebefreit, inspiriert von der Filmkultur Spaniens, Italiens und Frankreichs. Man hat es bei „Züri brännt“, benannt nach einem berühmten Videoprojekt aus dem Kreise der Jugendunruhen, aber nicht mit einem verkopften Akademiker-Tatort zu tun. Die Spurensuche führt in die Sitzblockaden-Szene, deren Angehörige heute entweder Chefredakteur oder Punklegende sind.
Die Ermittlungsmethoden sind zuweilen alles andere als zimperlich, und dann hat dieser Tatort auch seine David-Fincher-Momente. Ein spannendes Debüt.
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