„Tatort“ aus Kiel: Wacken – und mittendrin Borowski
Wer Heavy Metal nicht mag, wird hier keine Freude haben. Es geht um eine verschwundene junge Frau, die kurz vor dem Festival nach Wacken getrampt war.

Sagen wir so: Wenn man alle paar Minuten dem Reflex nachgibt, den Film auf lautlos zu schalten, bekommt man nicht viel mit. Oder anders: Wenn Sie kein Heavy Metal mögen, dann werden Sie mit diesem „Tatort“ keine Freude haben. Das hat erst mal nichts mit der Handlung selbst zu tun, mit der Story, die rund um das alljährliche Wacken-Festival angesiedelt ist.
Aber da ist eben die Musik. Sie ist überall, kriecht in jede Ritze, als Teil der Filmrealität. Da sind trotzende Jugendliche ganz in Schwarz mit Kajal-umrandeten Augen, die zu Hause aufdrehen, in einer Metal-Band spielen, mittelalte Metal-Podcast-Macher, Typen mit Metal-Fanshop. Also dauernd laut.
Nur: Stumm gestellt fallen die Dialoge eben mit weg. Wenn Borowski (Axel Milberg) und Sahin (Almila Bagriaçik) die Strategie besprechen, wenn sie Leute vernehmen, im Dorf rumfragen.
Die Lage der NDR-Folge „Borowski und das unschuldige Kind von Wacken“: ein totes Baby, eine verschwundene junge Frau, die kurz vor Festivalstart nach Wacken getrampt war, eine Kommune im Vorbereitungsstress, ein Bauernhofehepaar mit Dorfkneipe, allen voran der echte Gründer und Festivalchef (wirklich rührend übrigens, wie er sich im Presseheft freut, dass er mitmachen durfte, vom Stolz seiner Mutter erzählt und dem Kostüm, das fast besser gewesen sei als sein echtes.). Und ein Mann, der sich von Polen aus auf den Weg macht und seine Frau samt Baby sucht.
„Borowski und das unschuldige Kind von Wacken“, So., 20.15 Uhr, ARD
Verzweiflung und Sturheit
Das Ermittlungsduo kommt also im Sommer von Kiel aus in die Pampa gezuckelt. Sie wohnen und arbeiten im Bestattungsunternehmen des Dorfs, das Dröhnen des Teenagers des Hauses permanent im Ohr. Und sie wissen weniger als das Publikum: Es ist einer dieser Filme, der uns, auf dieser Seite des Bildschirms, schneller offenbart, was läuft. Peu à peu wird der Vorhang zur Seite gezogen, bis der Blick frei ist auf das ganze Drama. Derweil sucht die Kripo noch nach Spuren.
Auch ohne Ton unübersehbar: die sanfte Dynamik zwischen Milberg und Bagriaçik, das feine Spiel von Anja Schneider und Andreas Döhler als Bauernhof-Wirts-Paar, seit Schulzeiten zusammen, sie hochschwanger, beide aufs Festival wartend, des Geldes wegen. Die Verzweiflung und Sturheit, die Irina Potapenko ihrer Christina, der jungen Frau, verleiht.
Wer Ayşe Polats „Im toten Winkel“ gesehen hat – lief auf der Berlinale und startet Januar 2024 im Kino, eine bemerkenswert erzählte Geschichte über eine kurdische Familie in der Türkei –, wird zwischendurch, wenn’s mal ruhig ist, diese Momente wiedererkennen: den Mut der Regisseurin, eine Szene für sich wirken zu lassen, ohne Worte. Damit hilft Polat, den Dreh- und Angelpunkt der Geschichte der österreichischen Drehbuchautorin Agnes Pluch besser sichtbar zu machen: Zwei Paare, die in ein Desaster schliddern, dann in noch eins, sich ineinander verhakend. Weil sie sich nach einem anderen Leben sehnen.
Der Kontrast zur Sommerkulisse wirkt hervorragend: Denn währenddessen tauchen drumherum immer mehr Menschen in Schwarz auf. Hände in die Luft reckend, Finger zu Hörnern gespreizt, feist grölend.
Und mittendrin Borowski, der sein 20-Jähriges im „Tatort“-Universum feiert. Nachts in der Festivalmeute, kurz vorm Headbangen. Kurz vor der Schlussblende ist damit auch klar: An die Kai-Korthals-Storys mit Lars Eidinger, die die Legende der Kommissarsfigur über die Jahre geprägt haben, kommt diese Folge um Längen nicht ran.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!