piwik no script img

Tarifvertrag unterschriebenKirche wird normaler Arbeitgeber

In Niedersachsen unterschreiben die Diakonie und die Gewerkschaft Ver.di einen Tarifvertrag. Damit verlässt der kirchliche Sozialverband seinen Sonderweg.

Ab Montag geht es dann um's Geld: Ver.di will über höhere Gehälter sprechen. Bild: dpa

HAMBURG taz | Erstmals haben die Gewerkschaft Ver.di und die Diakonie für Niedersachsen einen Tarifvertrag unterzeichnet. Vertreter des evangelischen Wohlfahrtsverbandes und der Gewerkschaft bezeichneten den Vertrag als „bundesweit einmalig“. Der Tarifvertrag tritt am 1. Oktober in Kraft. Er regelt die Arbeitsbedingungen für den weitaus größten Teil der Beschäftigten in der niedersächsischen Diakonie.

Annette Klausing von Ver.di kündigte an, bereits am Montag die Arbeitgeber zu Verhandlungen über höhere Gehälter aufzurufen. Die Gewerkschaft wolle 100 Euro plus drei Prozent mehr Gehalt fordern. Ver.di und der Diakonische Dienstgeberverband Niedersachsen (DDN) sehen die Einigung als ersten Schritt für einen Branchentarifvertrag. Das würde die bisherigen Verhältnisse revolutionieren.

Der Einigung vorausgegangen war ein jahrelanger erbitterter Streit um die Geltung des kirchlichen Arbeitsrechts. Die Kirche und ihre mildtätigen Einrichtungen beharren im Umgang mit ihren MitarbeiterInnen in der Regel auf einem „dritten Weg“: Löhne und Arbeitsbedingungen werden von paritätisch besetzten Kommissionen aus Vertretern der MitarbeiterInnen und der Arbeitgeber im Wege des Interessenausgleichs festgelegt.

Künftig wird auf der Mitarbeiterseite in Niedersachsen eine Tarifkommission von Ver.di am Verhandlungstisch sitzen. Damit werde die Interessenvertretung der Beschäftigten „auf unabhängigere Füße gestellt“, sagte Klausing.

Auf Arbeitgeberseite hat der DDN den Tarifvertrag ausgehandelt. Ihm gehört der Großteil der diakonischen Betriebe im Land an. Sie beschäftigen 37.000 von mehr als 40.000 Mitarbeitern der Diakonie. Die Existenz eines solchen Arbeitgeberverbandes ist die Voraussetzung dafür, dass überhaupt Tarifverhandlungen geführt werden können.

Der Vorsitzende des DDN Niedersachsen, Hans-Peter Hoppe, betonte, dass sich für die Beschäftigten zunächst nichts ändern werde. Der neue Tarifvertrag übernehme direkt bisherige Arbeitsvertragsrichtlinien in der Diakonie. Er bedeute eine strukturelle, aber keine inhaltliche Veränderung. Der neue Vertrag entspreche den Kirchengesetzen und sei damit ein „kirchengemäßer Tarifvertrag“.

Ver.di-Sprecher Ulf Birch sagt, dass es sich um einen ganz normalen Tarifvertrag handele. Wie in anderen Branchen auch regele er Fragen der Arbeitszeit, des Urlaubs, des Entgelts, der Zulagen. Er räumt aber ein: „Das Ganze ist eher auf Konsens hin orientiert und auf die größtmögliche tarifpartnerschaftliche Einigung.“ Sonst wäre eine Übereinkunft nicht möglich gewesen.

Mit der Frage des Streikrechts habe der Tarifvertrag nichts zu tun. Das Bundesarbeitsgericht hatte im Jahr 2012 geurteilt, dass kirchlichen ArbeitnehmerInnen das Streikrecht nicht grundsätzlich verwehrt werden kann, die Kirche aber ein Recht auf Selbstbestimmung habe. In Streitfällen soll jetzt eine Schlichtung helfen.

Für Ver.di und den DDN ist ihr Tarifvertrag nur ein Anfang. „Der nächste Schritt wäre, die gesamte Altenpflegebranche einzubeziehen“, sagt Birch. Ziehen Verbände wie Caritas, Awo oder Paritäter mit, könnte die Landesregierung einen entsprechenden Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklären und damit gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle schaffen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • und mal so nebenbei-die Kirchen sind ja nur Verwalter vieler Schulen, Kitas KH usw, bei uns zB hat hat die Kommune die Verwaltung der kreiseigenen Kitas an die ev kirche abgegeben, dafür bekommt die Kirche 10.000.000€.für Verwaltungarbeiten werden von den Kommunen weitere 500.000€ gezahlt, also, nur weil Kommunen sich Arbeit vom Hals schaffen bekommt die Kirche einen Fuss in die sozialen , kommunalen Betriebe, zudem wirdan staatlichen Schulen der ReliUnterricht von freigestellten Lehrerinnen abgehalten, die zudem 2 Tage im Jahr in kirchlichen Einrichtungen geschult werden !

    und zu guter Letzt :

    http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/katholikentage-millionen-zuschuesse-stossen-zunehmend-auf-kritik-a-991970.html

  • naja, wieder mal hat eine Kirche ihre Sonderrechte zementiert, die eigentliche Frage der Konfessionszugehörigkeit der Angestellten bleibt ausgeklammert, dabei wäre die so wichtig, ein Bericht wegen eines KITAs in Hessen und aus den anderen Bundesländern, zeigt, dass Mitarbeiter schon in einer Kirche sein müssen, wie sagte der Pastor in Hessen: natürlich sind wir interessiert, dass unsere Angestellten im Sinne der christlichen Werte leben ! Aussagen vieler, die sich bei der Kirche bewerben: also ich bin zwar nicht christlich, aber ich bin jetzt in die Kirche eingetreten!

    • @Georg Schmidt:

      "[...] natürlich sind wir interessiert, dass unsere Angestellten im Sinne der christlichen Werte leben !" Das schreibt entgegen der häufigen Annahme, KEINE Zugehörigkeit zu irgendeiner Kirche vor. Vielmehr solle man sich an christliche Werte etc. halten. Ich arbeite selbst seit Jahren in einem katholischen KH und würde mich eher als Atheist bezeichnen. Das man sich jedoch "unchristliche" Bemerkungen verkneifen sollte, müsste klar sein.

      • @Spider J.:

        es geht hier wohl mehr um das RKK oder EV auf der Lohnsteuerkarte und man in Sünde lebt ( Ehe usw ) Frage: Zahlen Sie Kirchensteuer ?